der Minuten zu erinnern, wo ich wirklich nichts mehr sah und hörte, alles Selbstgefühl verlor, und nur schwebend über dem prachtvollen Abgrunde hing. Ich bilde mir ein, als ich wieder aufsah, ich hatte die Natur in ihrer Geburtsstunde angetroffen. So mag etwa Erde und Meer gebraust, getobt, gewüthet haben, als die gebäh- rende Natur den Rhein und den Savannah aus ih- rem allmächtigen Becken ausgoß, und ihnen diese Riegel, diese Dämme, diese Felsenwände entgegenpflanzte!
Die Fische kommen selten so weit, was aber daher kömmt, wird unaufhaltsam fortgerissen. Darneben ist ein Forellenfang angelegt. Auch von Sand, Schlamm, Kies etc. sieht man nichts in der Menge von Schaum.
Die Rückreise nahm ich über die Rheinischen Wald- stätte, über Lauchingen, Thüngen, Waldshut, Lauffenburg, Seckingen und Rheinfelden. Eine herrliche Strasse; oft lange hart am Rhein hin, oft weit davon, aber alsdann zieht sie sich durch die schönsten Felder, und über kleine zu beiden Seiten mit Oertern be- setzte Berge. Man stürzte eben die Brachfelder, und hatte oft 6. Pferde, oft 6. Ochsen, hintereinander gespannt am Pfluge. In die Hügel säen sie Klee. Das Joch der Ochsen ist nur ein leichter über den Nacken gebogener Bengel zur Befestigung der Stricke. Der blühende Rebs verschönerte ganze Fluren. Ueberall fand ich auf dieser Strasse Baadenschen Wein, köstlichen Luzerner Käse und herrliche Milch. Die Wutach überschwemmt oft bei Thüngen und Waldshut grosse Gegenden mit Steinen. Wegen der erschrecklichen Hitze kam ein Don- nerwetter, (schon den 20sten April) das in den Gebürgen majestätisch tönte. Die Strassenbettelei ist unmässig.
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der Minuten zu erinnern, wo ich wirklich nichts mehr ſah und hoͤrte, alles Selbſtgefuͤhl verlor, und nur ſchwebend uͤber dem prachtvollen Abgrunde hing. Ich bilde mir ein, als ich wieder aufſah, ich hatte die Natur in ihrer Geburtsſtunde angetroffen. So mag etwa Erde und Meer gebrauſt, getobt, gewuͤthet haben, als die gebaͤh- rende Natur den Rhein und den Savannah aus ih- rem allmaͤchtigen Becken ausgoß, und ihnen dieſe Riegel, dieſe Daͤmme, dieſe Felſenwaͤnde entgegenpflanzte!
Die Fiſche kommen ſelten ſo weit, was aber daher koͤmmt, wird unaufhaltſam fortgeriſſen. Darneben iſt ein Forellenfang angelegt. Auch von Sand, Schlamm, Kies ꝛc. ſieht man nichts in der Menge von Schaum.
Die Ruͤckreiſe nahm ich uͤber die Rheiniſchen Wald- ſtaͤtte, uͤber Lauchingen, Thuͤngen, Waldshut, Lauffenburg, Seckingen und Rheinfelden. Eine herrliche Straſſe; oft lange hart am Rhein hin, oft weit davon, aber alsdann zieht ſie ſich durch die ſchoͤnſten Felder, und uͤber kleine zu beiden Seiten mit Oertern be- ſetzte Berge. Man ſtuͤrzte eben die Brachfelder, und hatte oft 6. Pferde, oft 6. Ochſen, hintereinander geſpannt am Pfluge. In die Huͤgel ſaͤen ſie Klee. Das Joch der Ochſen iſt nur ein leichter uͤber den Nacken gebogener Bengel zur Befeſtigung der Stricke. Der bluͤhende Rebs verſchoͤnerte ganze Fluren. Ueberall fand ich auf dieſer Straſſe Baadenſchen Wein, koͤſtlichen Luzerner Kaͤſe und herrliche Milch. Die Wutach uͤberſchwemmt oft bei Thuͤngen und Waldshut groſſe Gegenden mit Steinen. Wegen der erſchrecklichen Hitze kam ein Don- nerwetter, (ſchon den 20ſten April) das in den Gebuͤrgen majeſtaͤtiſch toͤnte. Die Straſſenbettelei iſt unmaͤſſig.
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der Minuten zu erinnern, wo ich wirklich nichts mehr ſah
und hoͤrte, alles Selbſtgefuͤhl verlor, und nur ſchwebend
uͤber dem prachtvollen Abgrunde hing. Ich bilde mir
ein, als ich wieder aufſah, ich hatte die Natur in ihrer
Geburtsſtunde angetroffen. So mag etwa Erde und
Meer gebrauſt, getobt, gewuͤthet haben, als die gebaͤh-
rende Natur den Rhein und den Savannah aus ih-
rem allmaͤchtigen Becken ausgoß, und ihnen dieſe Riegel,
dieſe Daͤmme, dieſe Felſenwaͤnde entgegenpflanzte!
Die Fiſche kommen ſelten ſo weit, was aber daher
koͤmmt, wird unaufhaltſam fortgeriſſen. Darneben iſt
ein Forellenfang angelegt. Auch von Sand, Schlamm,
Kies ꝛc. ſieht man nichts in der Menge von Schaum.
Die Ruͤckreiſe nahm ich uͤber die Rheiniſchen Wald-
ſtaͤtte, uͤber Lauchingen, Thuͤngen, Waldshut,
Lauffenburg, Seckingen und Rheinfelden. Eine
herrliche Straſſe; oft lange hart am Rhein hin, oft
weit davon, aber alsdann zieht ſie ſich durch die ſchoͤnſten
Felder, und uͤber kleine zu beiden Seiten mit Oertern be-
ſetzte Berge. Man ſtuͤrzte eben die Brachfelder, und
hatte oft 6. Pferde, oft 6. Ochſen, hintereinander geſpannt
am Pfluge. In die Huͤgel ſaͤen ſie Klee. Das Joch
der Ochſen iſt nur ein leichter uͤber den Nacken gebogener
Bengel zur Befeſtigung der Stricke. Der bluͤhende
Rebs verſchoͤnerte ganze Fluren. Ueberall fand ich auf
dieſer Straſſe Baadenſchen Wein, koͤſtlichen Luzerner
Kaͤſe und herrliche Milch. Die Wutach uͤberſchwemmt
oft bei Thuͤngen und Waldshut groſſe Gegenden mit
Steinen. Wegen der erſchrecklichen Hitze kam ein Don-
nerwetter, (ſchon den 20ſten April) das in den Gebuͤrgen
majeſtaͤtiſch toͤnte. Die Straſſenbettelei iſt unmaͤſſig.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/333>, abgerufen am 25.11.2024.
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