Strom hinüber. Als das Boot lange genug hinabgeru- dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog das Wasser wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den Kahn ausserordentlich schnell und heftig hinüber. Da stieg ich, und ein gefälliger Fremder, den ich in Schaf- hausen kennen lernte, aus, und wir gingen an dem Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man über Terrassen herab, da ist ein kleines hölzernes Häuschen an der Felsenwand gebaut, in dieses tritt man hinein, und ist alsdann dem Sturze des Stroms so nahe, als man ohne Gefahr kommen kan. Und hier versteht einer des andern Worte nicht mehr -- So rauschts, so lärmts, so schlägts und donnerts hier! Man meint, mit einem ewigen, unaufhörlichen, tausendmal wiederhallenden Donnerwetter umgeben zu seyn. Man glaubt, in eine grosse und breite Strasse von Milch hinab zu sehen, die sich aus unerschöpflichen Abgründen immer mehr und mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa- rabeln von Wasser, die auf- und unter einander entstehen, und im Augenblick, weggedrängt von andern Millionen aufspringender Wassersäulen, in einander fliessen, selbst Schaum sind und Schaum bleiben, bis sie die Felsenbahn hinabgerast sind, unterscheiden. Aber unmöglich ist's auch hier, den feinen Wasserstaub genauer zu bemerken. Man sieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er steigt gleich dünnen Wolken in die Höhe, und Wolken auf Wolken; der Wind faßt ihn, trägt ihn davon, und em- pfängt gleich wieder neuaufgestäubtes Wasser, aber der feinste Puder ist grober Sand gegen diese äusserst subtili- sirte Wasserkügelchen. Dies alles zusammengenommen begeisterte mich und meinen Gefährten. Wir wagten etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher schreibe,
etwas,
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Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgeru- dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den Kahn auſſerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da ſtieg ich, und ein gefaͤlliger Fremder, den ich in Schaf- hauſen kennen lernte, aus, und wir gingen an dem Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber Terraſſen herab, da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man hinein, und iſt alsdann dem Sturze des Stroms ſo nahe, als man ohne Gefahr kommen kan. Und hier verſteht einer des andern Worte nicht mehr — So rauſchts, ſo laͤrmts, ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meint, mit einem ewigen, unaufhoͤrlichen, tauſendmal wiederhallenden Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in eine groſſe und breite Straſſe von Milch hinab zu ſehen, die ſich aus unerſchoͤpflichen Abgruͤnden immer mehr und mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa- rabeln von Waſſer, die auf- und unter einander entſtehen, und im Augenblick, weggedraͤngt von andern Millionen aufſpringender Waſſerſaͤulen, in einander flieſſen, ſelbſt Schaum ſind und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn hinabgeraſt ſind, unterſcheiden. Aber unmoͤglich iſt’s auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemerken. Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt gleich duͤnnen Wolken in die Hoͤhe, und Wolken auf Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn davon, und em- pfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer, aber der feinſte Puder iſt grober Sand gegen dieſe aͤuſſerſt ſubtili- ſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammengenommen begeiſterte mich und meinen Gefaͤhrten. Wir wagten etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher ſchreibe,
etwas,
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Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgeru-
dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog
das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den
Kahn auſſerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da
ſtieg ich, und ein gefaͤlliger Fremder, den ich in Schaf-
hauſen kennen lernte, aus, und wir gingen an dem
Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber
Terraſſen herab, da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an
der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man hinein, und
iſt alsdann dem Sturze des Stroms ſo nahe, als man
ohne Gefahr kommen kan. Und hier verſteht einer des
andern Worte nicht mehr — So rauſchts, ſo laͤrmts,
ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meint, mit einem
ewigen, unaufhoͤrlichen, tauſendmal wiederhallenden
Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in eine
groſſe und breite Straſſe von Milch hinab zu ſehen, die
ſich aus unerſchoͤpflichen Abgruͤnden immer mehr und
mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa-
rabeln von Waſſer, die auf- und unter einander entſtehen,
und im Augenblick, weggedraͤngt von andern Millionen
aufſpringender Waſſerſaͤulen, in einander flieſſen, ſelbſt
Schaum ſind und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn
hinabgeraſt ſind, unterſcheiden. Aber unmoͤglich iſt’s
auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemerken.
Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt
gleich duͤnnen Wolken in die Hoͤhe, und Wolken auf
Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn davon, und em-
pfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer, aber der
feinſte Puder iſt grober Sand gegen dieſe aͤuſſerſt ſubtili-
ſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammengenommen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/331>, abgerufen am 25.11.2024.
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