Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Strom hinüber. Als das Boot lange genug hinabgeru-
dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog
das Wasser wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den
Kahn ausserordentlich schnell und heftig hinüber. Da
stieg ich, und ein gefälliger Fremder, den ich in Schaf-
hausen
kennen lernte, aus, und wir gingen an dem
Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man über
Terrassen herab, da ist ein kleines hölzernes Häuschen an
der Felsenwand gebaut, in dieses tritt man hinein, und
ist alsdann dem Sturze des Stroms so nahe, als man
ohne Gefahr kommen kan. Und hier versteht einer des
andern Worte nicht mehr -- So rauschts, so lärmts,
so schlägts und donnerts hier! Man meint, mit einem
ewigen, unaufhörlichen, tausendmal wiederhallenden
Donnerwetter umgeben zu seyn. Man glaubt, in eine
grosse und breite Strasse von Milch hinab zu sehen, die
sich aus unerschöpflichen Abgründen immer mehr und
mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa-
rabeln von Wasser, die auf- und unter einander entstehen,
und im Augenblick, weggedrängt von andern Millionen
aufspringender Wassersäulen, in einander fliessen, selbst
Schaum sind und Schaum bleiben, bis sie die Felsenbahn
hinabgerast sind, unterscheiden. Aber unmöglich ist's
auch hier, den feinen Wasserstaub genauer zu bemerken.
Man sieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er steigt
gleich dünnen Wolken in die Höhe, und Wolken auf
Wolken; der Wind faßt ihn, trägt ihn davon, und em-
pfängt gleich wieder neuaufgestäubtes Wasser, aber der
feinste Puder ist grober Sand gegen diese äusserst subtili-
sirte Wasserkügelchen. Dies alles zusammengenommen
begeisterte mich und meinen Gefährten. Wir wagten
etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher schreibe,

etwas,
T 3

Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgeru-
dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog
das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den
Kahn auſſerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da
ſtieg ich, und ein gefaͤlliger Fremder, den ich in Schaf-
hauſen
kennen lernte, aus, und wir gingen an dem
Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber
Terraſſen herab, da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an
der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man hinein, und
iſt alsdann dem Sturze des Stroms ſo nahe, als man
ohne Gefahr kommen kan. Und hier verſteht einer des
andern Worte nicht mehr — So rauſchts, ſo laͤrmts,
ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meint, mit einem
ewigen, unaufhoͤrlichen, tauſendmal wiederhallenden
Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in eine
groſſe und breite Straſſe von Milch hinab zu ſehen, die
ſich aus unerſchoͤpflichen Abgruͤnden immer mehr und
mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa-
rabeln von Waſſer, die auf- und unter einander entſtehen,
und im Augenblick, weggedraͤngt von andern Millionen
aufſpringender Waſſerſaͤulen, in einander flieſſen, ſelbſt
Schaum ſind und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn
hinabgeraſt ſind, unterſcheiden. Aber unmoͤglich iſt’s
auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemerken.
Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt
gleich duͤnnen Wolken in die Hoͤhe, und Wolken auf
Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn davon, und em-
pfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer, aber der
feinſte Puder iſt grober Sand gegen dieſe aͤuſſerſt ſubtili-
ſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammengenommen
begeiſterte mich und meinen Gefaͤhrten. Wir wagten
etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher ſchreibe,

etwas,
T 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0331" n="293"/>
Strom hinu&#x0364;ber. Als das Boot lange genug hinabgeru-<lb/>
dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog<lb/>
das Wa&#x017F;&#x017F;er wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den<lb/>
Kahn au&#x017F;&#x017F;erordentlich &#x017F;chnell und heftig hinu&#x0364;ber. Da<lb/>
&#x017F;tieg ich, und ein gefa&#x0364;lliger Fremder, den ich in <hi rendition="#fr">Schaf-<lb/>
hau&#x017F;en</hi> kennen lernte, aus, und wir gingen an dem<lb/>
Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man u&#x0364;ber<lb/>
Terra&#x017F;&#x017F;en herab, da i&#x017F;t ein kleines ho&#x0364;lzernes Ha&#x0364;uschen an<lb/>
der Fel&#x017F;enwand gebaut, in die&#x017F;es tritt man hinein, und<lb/>
i&#x017F;t alsdann dem Sturze des Stroms &#x017F;o nahe, als man<lb/>
ohne Gefahr kommen kan. Und hier ver&#x017F;teht einer des<lb/>
andern Worte nicht mehr &#x2014; So rau&#x017F;chts, &#x017F;o la&#x0364;rmts,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chla&#x0364;gts und donnerts hier! Man meint, mit einem<lb/>
ewigen, unaufho&#x0364;rlichen, tau&#x017F;endmal wiederhallenden<lb/>
Donnerwetter umgeben zu &#x017F;eyn. Man glaubt, in eine<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e und breite Stra&#x017F;&#x017F;e von Milch hinab zu &#x017F;ehen, die<lb/>
&#x017F;ich aus uner&#x017F;cho&#x0364;pflichen Abgru&#x0364;nden immer mehr und<lb/>
mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa-<lb/>
rabeln von Wa&#x017F;&#x017F;er, die auf- und unter einander ent&#x017F;tehen,<lb/>
und im Augenblick, weggedra&#x0364;ngt von andern Millionen<lb/>
auf&#x017F;pringender Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;a&#x0364;ulen, in einander flie&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
Schaum &#x017F;ind und Schaum bleiben, bis &#x017F;ie die Fel&#x017F;enbahn<lb/>
hinabgera&#x017F;t &#x017F;ind, unter&#x017F;cheiden. Aber unmo&#x0364;glich i&#x017F;t&#x2019;s<lb/>
auch hier, den feinen Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;taub genauer zu bemerken.<lb/>
Man &#x017F;ieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er &#x017F;teigt<lb/>
gleich du&#x0364;nnen Wolken in die Ho&#x0364;he, und Wolken auf<lb/>
Wolken; der Wind faßt ihn, tra&#x0364;gt ihn davon, und em-<lb/>
pfa&#x0364;ngt gleich wieder neuaufge&#x017F;ta&#x0364;ubtes Wa&#x017F;&#x017F;er, aber der<lb/>
fein&#x017F;te Puder i&#x017F;t grober Sand gegen die&#x017F;e a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t &#x017F;ubtili-<lb/>
&#x017F;irte Wa&#x017F;&#x017F;erku&#x0364;gelchen. Dies alles zu&#x017F;ammengenommen<lb/>
begei&#x017F;terte mich und meinen Gefa&#x0364;hrten. Wir wagten<lb/>
etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher &#x017F;chreibe,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 3</fw><fw place="bottom" type="catch">etwas,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0331] Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgeru- dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den Kahn auſſerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da ſtieg ich, und ein gefaͤlliger Fremder, den ich in Schaf- hauſen kennen lernte, aus, und wir gingen an dem Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber Terraſſen herab, da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man hinein, und iſt alsdann dem Sturze des Stroms ſo nahe, als man ohne Gefahr kommen kan. Und hier verſteht einer des andern Worte nicht mehr — So rauſchts, ſo laͤrmts, ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meint, mit einem ewigen, unaufhoͤrlichen, tauſendmal wiederhallenden Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in eine groſſe und breite Straſſe von Milch hinab zu ſehen, die ſich aus unerſchoͤpflichen Abgruͤnden immer mehr und mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa- rabeln von Waſſer, die auf- und unter einander entſtehen, und im Augenblick, weggedraͤngt von andern Millionen aufſpringender Waſſerſaͤulen, in einander flieſſen, ſelbſt Schaum ſind und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn hinabgeraſt ſind, unterſcheiden. Aber unmoͤglich iſt’s auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemerken. Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt gleich duͤnnen Wolken in die Hoͤhe, und Wolken auf Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn davon, und em- pfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer, aber der feinſte Puder iſt grober Sand gegen dieſe aͤuſſerſt ſubtili- ſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammengenommen begeiſterte mich und meinen Gefaͤhrten. Wir wagten etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher ſchreibe, etwas, T 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/331
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/331>, abgerufen am 25.11.2024.