sie dies Moos im Spätjahr, drei Wochen, und jetzt im Frühjahr erlaubt man ihnen eine Woche; sie lassen es erst eine Zeitlang faulen, und führen es dann Karren- weise hieher. Dadurch wird zugleich der See und der Rhein gereinigt, und das Bette immer offen erhalten. Zum Spargel soll der Boden des Paradieses lange nicht so gut seyn, wie die Gegend bei Ulm; aber dort wächst auch, so viel ich weis, das Kappiskraut nicht so schön, wie in Costanz. Der Nutzen dieser Felder, und die Menge der Leute, die sich hier im Sommer um des Ver- gnügens willen sammelt, ist so gros, daß ein Bürger dem andern 60 Gulden Zins zahlte, nur um in einem kleinen Häuschen diesen Sommer hindurch Wein schen- ken zu dürfen.
Auf dem grünen Rasenplatze, der in der Mitte ist, linker Hand der Strasse, wenn man aus der Stadt kommt, da soll, nach der Tradition, Hussens Schei- terhaufen gestanden haben. Urkunden hat man nicht davon, aber in solchen Sachen glaub' ich der Tradition. Ist es nicht begreiflich. daß so ein grausames, und die Menschheit empörendes Schauspiel auch bei aller Verfin- sterung der Zeiten doch immer auf viele gute Menschen gewirkt haben muß, und daß noch lange nachher die Vä- ter nie da vorbeigegangen sind, ohne ihren Kindern von dem merkwürdigen Tode der zwei berühmten Männer aus Böhmen zu erzählen? Die Reformation kam darzu, und gab dem Urtheil über Huß und Hieronymus eine veränderte Richtung. Die Protestanten in der Schweiz können für die Erhaltung dieser betrübten Merkwürdigkei- ten ihrer Kirche nicht ganz unbesorgt gewesen seyn. So kam die Nachricht bis auf unsre Zeiten. Eine lange Reihe
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ſie dies Moos im Spaͤtjahr, drei Wochen, und jetzt im Fruͤhjahr erlaubt man ihnen eine Woche; ſie laſſen es erſt eine Zeitlang faulen, und fuͤhren es dann Karren- weiſe hieher. Dadurch wird zugleich der See und der Rhein gereinigt, und das Bette immer offen erhalten. Zum Spargel ſoll der Boden des Paradieſes lange nicht ſo gut ſeyn, wie die Gegend bei Ulm; aber dort waͤchſt auch, ſo viel ich weis, das Kappiskraut nicht ſo ſchoͤn, wie in Coſtanz. Der Nutzen dieſer Felder, und die Menge der Leute, die ſich hier im Sommer um des Ver- gnuͤgens willen ſammelt, iſt ſo gros, daß ein Buͤrger dem andern 60 Gulden Zins zahlte, nur um in einem kleinen Haͤuschen dieſen Sommer hindurch Wein ſchen- ken zu duͤrfen.
Auf dem gruͤnen Raſenplatze, der in der Mitte iſt, linker Hand der Straſſe, wenn man aus der Stadt kommt, da ſoll, nach der Tradition, Huſſens Schei- terhaufen geſtanden haben. Urkunden hat man nicht davon, aber in ſolchen Sachen glaub’ ich der Tradition. Iſt es nicht begreiflich. daß ſo ein grauſames, und die Menſchheit empoͤrendes Schauſpiel auch bei aller Verfin- ſterung der Zeiten doch immer auf viele gute Menſchen gewirkt haben muß, und daß noch lange nachher die Vaͤ- ter nie da vorbeigegangen ſind, ohne ihren Kindern von dem merkwuͤrdigen Tode der zwei beruͤhmten Maͤnner aus Boͤhmen zu erzaͤhlen? Die Reformation kam darzu, und gab dem Urtheil uͤber Huß und Hieronymus eine veraͤnderte Richtung. Die Proteſtanten in der Schweiz koͤnnen fuͤr die Erhaltung dieſer betruͤbten Merkwuͤrdigkei- ten ihrer Kirche nicht ganz unbeſorgt geweſen ſeyn. So kam die Nachricht bis auf unſre Zeiten. Eine lange Reihe
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ſie dies Moos im Spaͤtjahr, drei Wochen, und jetzt im
Fruͤhjahr erlaubt man ihnen eine Woche; ſie laſſen es
erſt eine Zeitlang faulen, und fuͤhren es dann Karren-
weiſe hieher. Dadurch wird zugleich der See und der
Rhein gereinigt, und das Bette immer offen erhalten.
Zum Spargel ſoll der Boden des Paradieſes lange nicht
ſo gut ſeyn, wie die Gegend bei Ulm; aber dort waͤchſt
auch, ſo viel ich weis, das Kappiskraut nicht ſo ſchoͤn,
wie in Coſtanz. Der Nutzen dieſer Felder, und die
Menge der Leute, die ſich hier im Sommer um des Ver-
gnuͤgens willen ſammelt, iſt ſo gros, daß ein Buͤrger
dem andern 60 Gulden Zins zahlte, nur um in einem
kleinen Haͤuschen dieſen Sommer hindurch Wein ſchen-
ken zu duͤrfen.
Auf dem gruͤnen Raſenplatze, der in der Mitte iſt,
linker Hand der Straſſe, wenn man aus der Stadt
kommt, da ſoll, nach der Tradition, Huſſens Schei-
terhaufen geſtanden haben. Urkunden hat man nicht
davon, aber in ſolchen Sachen glaub’ ich der Tradition.
Iſt es nicht begreiflich. daß ſo ein grauſames, und die
Menſchheit empoͤrendes Schauſpiel auch bei aller Verfin-
ſterung der Zeiten doch immer auf viele gute Menſchen
gewirkt haben muß, und daß noch lange nachher die Vaͤ-
ter nie da vorbeigegangen ſind, ohne ihren Kindern von
dem merkwuͤrdigen Tode der zwei beruͤhmten Maͤnner aus
Boͤhmen zu erzaͤhlen? Die Reformation kam darzu,
und gab dem Urtheil uͤber Huß und Hieronymus eine
veraͤnderte Richtung. Die Proteſtanten in der Schweiz
koͤnnen fuͤr die Erhaltung dieſer betruͤbten Merkwuͤrdigkei-
ten ihrer Kirche nicht ganz unbeſorgt geweſen ſeyn. So
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/313>, abgerufen am 25.11.2024.
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