liches Landgut Rocherwiese, nach Eicheldingen in der Grafschaft Nellenburg. Schmal und steinigt ist dieser Weg, und geht meist zwischen Tannen- und Birkenwäl- dern hin. Die Stimme der Guckucke ertönte von allen Seiten. Das Auge erfrischte sich am frühen Morgen an dem herlichen Grün der Thäler, an der waldichten Stirne der Berge, die von weitem ihr Haupt erhoben, und an den Stauden, die an der Seite des Wegs nun anfingen zu blühen. Doch ist hier auch so kaltes Land, daß die Schlehen, die bei uns schon im März verblüht hatten, nun erst ihre Knospen entwickelten. Achtzig- neunzig- auch hundertjährige Leute sind in diesen Gegenden gar nicht selten. Ein 68jähriger Mann lief vor mir her, um mir den Weg zu zeigen, und lief über eine Stunde immer so schnell, daß das Pferd seinen gewohnten Reit- trap fortgehen konnte.
In Eicheldingen trank ich zuerst den Seewein, d. h. weisser Wein, der am Bodensee wächst, und fand da eine recht artige Nation. Katholisch sind sie, aber nicht dumm und nicht plump, vielmehr recht höflich und gesittet. Weil dieser Ort nur noch wenige Stunden von Costanz ist, so wird man hier schon recht gut bedient, und kan allerlei haben. Auch ist die Sprache, die Mund- art des Landes viel verständlicher und angenehmer, als im Herzogthume Würtemberg.
Noch lief der Weg über einige Dörfer, Orsingen, Wallwich, Stahringen, Mardelfingen etc. fort, bis ich den Bodensee erblickte. Hier ist meistens gemachte Chaussee, und schon schweizerische Prospekte. Man hört schon überall in den Bergen und Waldungen die Flö- ten und Schallmeien der Hirten. Man hört schon überall
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liches Landgut Rocherwieſe, nach Eicheldingen in der Grafſchaft Nellenburg. Schmal und ſteinigt iſt dieſer Weg, und geht meiſt zwiſchen Tannen- und Birkenwaͤl- dern hin. Die Stimme der Guckucke ertoͤnte von allen Seiten. Das Auge erfriſchte ſich am fruͤhen Morgen an dem herlichen Gruͤn der Thaͤler, an der waldichten Stirne der Berge, die von weitem ihr Haupt erhoben, und an den Stauden, die an der Seite des Wegs nun anfingen zu bluͤhen. Doch iſt hier auch ſo kaltes Land, daß die Schlehen, die bei uns ſchon im Maͤrz verbluͤht hatten, nun erſt ihre Knoſpen entwickelten. Achtzig- neunzig- auch hundertjaͤhrige Leute ſind in dieſen Gegenden gar nicht ſelten. Ein 68jaͤhriger Mann lief vor mir her, um mir den Weg zu zeigen, und lief uͤber eine Stunde immer ſo ſchnell, daß das Pferd ſeinen gewohnten Reit- trap fortgehen konnte.
In Eicheldingen trank ich zuerſt den Seewein, d. h. weiſſer Wein, der am Bodenſee waͤchſt, und fand da eine recht artige Nation. Katholiſch ſind ſie, aber nicht dumm und nicht plump, vielmehr recht hoͤflich und geſittet. Weil dieſer Ort nur noch wenige Stunden von Coſtanz iſt, ſo wird man hier ſchon recht gut bedient, und kan allerlei haben. Auch iſt die Sprache, die Mund- art des Landes viel verſtaͤndlicher und angenehmer, als im Herzogthume Wuͤrtemberg.
Noch lief der Weg uͤber einige Doͤrfer, Orſingen, Wallwich, Stahringen, Mardelfingen ꝛc. fort, bis ich den Bodenſee erblickte. Hier iſt meiſtens gemachte Chauſſee, und ſchon ſchweizeriſche Proſpekte. Man hoͤrt ſchon uͤberall in den Bergen und Waldungen die Floͤ- ten und Schallmeien der Hirten. Man hoͤrt ſchon uͤberall
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liches Landgut Rocherwieſe, nach Eicheldingen in der
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dern hin. Die Stimme der Guckucke ertoͤnte von allen
Seiten. Das Auge erfriſchte ſich am fruͤhen Morgen
an dem herlichen Gruͤn der Thaͤler, an der waldichten
Stirne der Berge, die von weitem ihr Haupt erhoben,
und an den Stauden, die an der Seite des Wegs nun
anfingen zu bluͤhen. Doch iſt hier auch ſo kaltes Land,
daß die Schlehen, die bei uns ſchon im Maͤrz verbluͤht
hatten, nun erſt ihre Knoſpen entwickelten. Achtzig-
neunzig- auch hundertjaͤhrige Leute ſind in dieſen Gegenden
gar nicht ſelten. Ein 68jaͤhriger Mann lief vor mir her,
um mir den Weg zu zeigen, und lief uͤber eine Stunde
immer ſo ſchnell, daß das Pferd ſeinen gewohnten Reit-
trap fortgehen konnte.
In Eicheldingen trank ich zuerſt den Seewein,
d. h. weiſſer Wein, der am Bodenſee waͤchſt, und fand
da eine recht artige Nation. Katholiſch ſind ſie, aber
nicht dumm und nicht plump, vielmehr recht hoͤflich und
geſittet. Weil dieſer Ort nur noch wenige Stunden von
Coſtanz iſt, ſo wird man hier ſchon recht gut bedient,
und kan allerlei haben. Auch iſt die Sprache, die Mund-
art des Landes viel verſtaͤndlicher und angenehmer, als
im Herzogthume Wuͤrtemberg.
Noch lief der Weg uͤber einige Doͤrfer, Orſingen,
Wallwich, Stahringen, Mardelfingen ꝛc. fort, bis
ich den Bodenſee erblickte. Hier iſt meiſtens gemachte
Chauſſee, und ſchon ſchweizeriſche Proſpekte. Man
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/300>, abgerufen am 22.11.2024.
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