Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

6. Stunden davon. Vor der Stadt ist eine Brücke
darüber gebaut, unter welcher sie schon sehr breit und rau-
schend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall
hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canstatt.
Solche Plätze liebe ich ungemein; am Abend war ich
beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht
wegkommen. Durch wilde Wasser aus den Bergen wird
die Donau öfters so gros, daß sie übertritt, das ganze
Thal einnimmt und in die Stadt kommt.

In Duttlingen ist alles noch mehr Schwarzwäl-
disch, als bisher. Fast alle Personen von beiderlei Ge-
schlecht sind starke, dicke, in der Grösse mittelmässige,
aber runde, stammhafte Menschen, mit gesundem Blut
und derben Fleisch. Man heizte noch in jedem Zimmer
ein, und die Leute können, wie alle Bauern, starke Hitze
ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret-
tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch
sehr wenige Blüten. Am Morgen war ein starker Reif
und ziemlicher Frost eingefallen. Die kleinen eßbaren
Hopfen,
die in unsrer Gegend schon lange vorbey wa-
ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechseln, fin-
gen hier erst an. Die Viehzucht ist beträchtlich in diesem
Städtchen. Ihr bestes Brod ist Spelzbrod. Der
Karakter der Leute ist Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun-
terkeit, Lustigkeit ohne Ausgelassenheit und Wildheit, selbst
an Feiertägen!

Man sagte mir hier den nächsten Weg nach Costanz,
und ich ritt zwischen zwei Poststrassen, zwischen Engen,
Stockach
und Zell am Untersee, auf einer Strasse,
die nur Fuhrleute machen, und die ich mir meistens mu-
ste zeigen lassen, über einige Glashütten, über ein ade-

liches
R 3

6. Stunden davon. Vor der Stadt iſt eine Bruͤcke
daruͤber gebaut, unter welcher ſie ſchon ſehr breit und rau-
ſchend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall
hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canſtatt.
Solche Plaͤtze liebe ich ungemein; am Abend war ich
beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht
wegkommen. Durch wilde Waſſer aus den Bergen wird
die Donau oͤfters ſo gros, daß ſie uͤbertritt, das ganze
Thal einnimmt und in die Stadt kommt.

In Duttlingen iſt alles noch mehr Schwarzwaͤl-
diſch, als bisher. Faſt alle Perſonen von beiderlei Ge-
ſchlecht ſind ſtarke, dicke, in der Groͤſſe mittelmaͤſſige,
aber runde, ſtammhafte Menſchen, mit geſundem Blut
und derben Fleiſch. Man heizte noch in jedem Zimmer
ein, und die Leute koͤnnen, wie alle Bauern, ſtarke Hitze
ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret-
tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch
ſehr wenige Bluͤten. Am Morgen war ein ſtarker Reif
und ziemlicher Froſt eingefallen. Die kleinen eßbaren
Hopfen,
die in unſrer Gegend ſchon lange vorbey wa-
ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechſeln, fin-
gen hier erſt an. Die Viehzucht iſt betraͤchtlich in dieſem
Staͤdtchen. Ihr beſtes Brod iſt Spelzbrod. Der
Karakter der Leute iſt Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun-
terkeit, Luſtigkeit ohne Ausgelaſſenheit und Wildheit, ſelbſt
an Feiertaͤgen!

Man ſagte mir hier den naͤchſten Weg nach Coſtanz,
und ich ritt zwiſchen zwei Poſtſtraſſen, zwiſchen Engen,
Stockach
und Zell am Unterſee, auf einer Straſſe,
die nur Fuhrleute machen, und die ich mir meiſtens mu-
ſte zeigen laſſen, uͤber einige Glashuͤtten, uͤber ein ade-

liches
R 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0299" n="261"/>
6. Stunden davon. Vor der Stadt i&#x017F;t eine Bru&#x0364;cke<lb/>
daru&#x0364;ber gebaut, unter welcher &#x017F;ie &#x017F;chon &#x017F;ehr breit und rau-<lb/>
&#x017F;chend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall<lb/>
hineingebaut hat, wie in den <hi rendition="#fr">Neckar</hi> vor <hi rendition="#fr">Can&#x017F;tatt.</hi><lb/>
Solche Pla&#x0364;tze liebe ich ungemein; am Abend war ich<lb/>
beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht<lb/>
wegkommen. Durch wilde Wa&#x017F;&#x017F;er aus den Bergen wird<lb/>
die <hi rendition="#fr">Donau</hi> o&#x0364;fters &#x017F;o gros, daß &#x017F;ie u&#x0364;bertritt, das ganze<lb/>
Thal einnimmt und in die Stadt kommt.</p><lb/>
          <p>In <hi rendition="#fr">Duttlingen</hi> i&#x017F;t alles noch mehr Schwarzwa&#x0364;l-<lb/>
di&#x017F;ch, als bisher. Fa&#x017F;t alle Per&#x017F;onen von beiderlei Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht &#x017F;ind &#x017F;tarke, dicke, in der Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e mittelma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige,<lb/>
aber runde, &#x017F;tammhafte Men&#x017F;chen, mit ge&#x017F;undem Blut<lb/>
und derben Flei&#x017F;ch. Man heizte noch in jedem Zimmer<lb/>
ein, und die Leute ko&#x0364;nnen, wie alle Bauern, &#x017F;tarke Hitze<lb/>
ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret-<lb/>
tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch<lb/>
&#x017F;ehr wenige Blu&#x0364;ten. Am Morgen war ein &#x017F;tarker Reif<lb/>
und ziemlicher Fro&#x017F;t eingefallen. Die kleinen <hi rendition="#fr">eßbaren<lb/>
Hopfen,</hi> die in un&#x017F;rer Gegend &#x017F;chon lange vorbey wa-<lb/>
ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwech&#x017F;eln, fin-<lb/>
gen hier er&#x017F;t an. Die Viehzucht i&#x017F;t betra&#x0364;chtlich in die&#x017F;em<lb/>
Sta&#x0364;dtchen. Ihr be&#x017F;tes Brod i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Spelzbrod.</hi> Der<lb/>
Karakter der Leute i&#x017F;t Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun-<lb/>
terkeit, Lu&#x017F;tigkeit ohne Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit und Wildheit, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
an Feierta&#x0364;gen!</p><lb/>
          <p>Man &#x017F;agte mir hier den na&#x0364;ch&#x017F;ten Weg nach <hi rendition="#fr">Co&#x017F;tanz,</hi><lb/>
und ich ritt zwi&#x017F;chen zwei Po&#x017F;t&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;en, zwi&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Engen,<lb/>
Stockach</hi> und <hi rendition="#fr">Zell</hi> am <hi rendition="#fr">Unter&#x017F;ee,</hi> auf einer Stra&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
die nur Fuhrleute machen, und die ich mir mei&#x017F;tens mu-<lb/>
&#x017F;te zeigen la&#x017F;&#x017F;en, u&#x0364;ber einige <hi rendition="#fr">Glashu&#x0364;tten,</hi> u&#x0364;ber ein ade-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 3</fw><fw place="bottom" type="catch">liches</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0299] 6. Stunden davon. Vor der Stadt iſt eine Bruͤcke daruͤber gebaut, unter welcher ſie ſchon ſehr breit und rau- ſchend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canſtatt. Solche Plaͤtze liebe ich ungemein; am Abend war ich beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht wegkommen. Durch wilde Waſſer aus den Bergen wird die Donau oͤfters ſo gros, daß ſie uͤbertritt, das ganze Thal einnimmt und in die Stadt kommt. In Duttlingen iſt alles noch mehr Schwarzwaͤl- diſch, als bisher. Faſt alle Perſonen von beiderlei Ge- ſchlecht ſind ſtarke, dicke, in der Groͤſſe mittelmaͤſſige, aber runde, ſtammhafte Menſchen, mit geſundem Blut und derben Fleiſch. Man heizte noch in jedem Zimmer ein, und die Leute koͤnnen, wie alle Bauern, ſtarke Hitze ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret- tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch ſehr wenige Bluͤten. Am Morgen war ein ſtarker Reif und ziemlicher Froſt eingefallen. Die kleinen eßbaren Hopfen, die in unſrer Gegend ſchon lange vorbey wa- ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechſeln, fin- gen hier erſt an. Die Viehzucht iſt betraͤchtlich in dieſem Staͤdtchen. Ihr beſtes Brod iſt Spelzbrod. Der Karakter der Leute iſt Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun- terkeit, Luſtigkeit ohne Ausgelaſſenheit und Wildheit, ſelbſt an Feiertaͤgen! Man ſagte mir hier den naͤchſten Weg nach Coſtanz, und ich ritt zwiſchen zwei Poſtſtraſſen, zwiſchen Engen, Stockach und Zell am Unterſee, auf einer Straſſe, die nur Fuhrleute machen, und die ich mir meiſtens mu- ſte zeigen laſſen, uͤber einige Glashuͤtten, uͤber ein ade- liches R 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/299
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/299>, abgerufen am 07.05.2024.