Waldungen, die bereits sehr licht geworden sind. In diesen hörte ich heute (den 15. April) schon ganz deutlich viele Guckucke rufen, und fast auf der ganzen Reise be- gleitete mich die Stimme dieses sonst für selten gehaltenen Vogels. In den Dörfern sind die Wege äusserst schlecht, aber weil die meisten Würtembergischen Dörfer an Ge- bürgen liegen, von welchen das Wasser beständig hinun- ter sickert, so läßt sich das schwerlich ändern.
Auch Herreberg ist eine alte, kleine, gebürgige Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche steht, steigt man über grosse Treppen. Die Hauptstrasse ist eng, das alte Schlos auf der Spitze des Berges selber verfällt. Es muß aber eine herliche Aussicht oben seyn, weil es so hoch liegt, daß man es schon von weitem sieht.
Von da geht die sogenannte Landstrasse, im Gegen- satz der schon fertig gewordenen Chaussee nach Tübin- gen. Sie ist unnöthig breit, oft schmal, oft unkennt- lich, oft tief und löchericht. Fast dies ganze Feld bis an die Stadt hin steckt voll Eisen, wie man an dem hoch- rothen eisenschüssigen Thon sieht, der besonders kurz vor Tübingen sehr reich zu seyn scheint.
Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer- sität Tübingen nichts sage. Die Leute haben bekann- termassen eine erstaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande, und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigsten reisen, und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih- nen oft wahre, treue Schilderung gar seltsam vor, oder sie sehens wohl gar für Lästerung an. Doch wissen die Verständigsten wohl, an welchen Wunden man die Kur anfangen sollte.
Eine vortrefliche Strasse läuft fünf Stunden lang von Tübingen nach Hechingen fast immer grade, über
Feld,
Waldungen, die bereits ſehr licht geworden ſind. In dieſen hoͤrte ich heute (den 15. April) ſchon ganz deutlich viele Guckucke rufen, und faſt auf der ganzen Reiſe be- gleitete mich die Stimme dieſes ſonſt fuͤr ſelten gehaltenen Vogels. In den Doͤrfern ſind die Wege aͤuſſerſt ſchlecht, aber weil die meiſten Wuͤrtembergiſchen Doͤrfer an Ge- buͤrgen liegen, von welchen das Waſſer beſtaͤndig hinun- ter ſickert, ſo laͤßt ſich das ſchwerlich aͤndern.
Auch Herreberg iſt eine alte, kleine, gebuͤrgige Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche ſteht, ſteigt man uͤber groſſe Treppen. Die Hauptſtraſſe iſt eng, das alte Schlos auf der Spitze des Berges ſelber verfaͤllt. Es muß aber eine herliche Ausſicht oben ſeyn, weil es ſo hoch liegt, daß man es ſchon von weitem ſieht.
Von da geht die ſogenannte Landſtraſſe, im Gegen- ſatz der ſchon fertig gewordenen Chauſſee nach Tuͤbin- gen. Sie iſt unnoͤthig breit, oft ſchmal, oft unkennt- lich, oft tief und loͤchericht. Faſt dies ganze Feld bis an die Stadt hin ſteckt voll Eiſen, wie man an dem hoch- rothen eiſenſchuͤſſigen Thon ſieht, der beſonders kurz vor Tuͤbingen ſehr reich zu ſeyn ſcheint.
Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer- ſitaͤt Tuͤbingen nichts ſage. Die Leute haben bekann- termaſſen eine erſtaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande, und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigſten reiſen, und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih- nen oft wahre, treue Schilderung gar ſeltſam vor, oder ſie ſehens wohl gar fuͤr Laͤſterung an. Doch wiſſen die Verſtaͤndigſten wohl, an welchen Wunden man die Kur anfangen ſollte.
Eine vortrefliche Straſſe laͤuft fuͤnf Stunden lang von Tuͤbingen nach Hechingen faſt immer grade, uͤber
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Waldungen, die bereits ſehr licht geworden ſind. In
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gleitete mich die Stimme dieſes ſonſt fuͤr ſelten gehaltenen
Vogels. In den Doͤrfern ſind die Wege aͤuſſerſt ſchlecht,
aber weil die meiſten Wuͤrtembergiſchen Doͤrfer an Ge-
buͤrgen liegen, von welchen das Waſſer beſtaͤndig hinun-
ter ſickert, ſo laͤßt ſich das ſchwerlich aͤndern.
Auch Herreberg iſt eine alte, kleine, gebuͤrgige
Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche ſteht, ſteigt
man uͤber groſſe Treppen. Die Hauptſtraſſe iſt eng, das
alte Schlos auf der Spitze des Berges ſelber verfaͤllt.
Es muß aber eine herliche Ausſicht oben ſeyn, weil es ſo
hoch liegt, daß man es ſchon von weitem ſieht.
Von da geht die ſogenannte Landſtraſſe, im Gegen-
ſatz der ſchon fertig gewordenen Chauſſee nach Tuͤbin-
gen. Sie iſt unnoͤthig breit, oft ſchmal, oft unkennt-
lich, oft tief und loͤchericht. Faſt dies ganze Feld bis
an die Stadt hin ſteckt voll Eiſen, wie man an dem hoch-
rothen eiſenſchuͤſſigen Thon ſieht, der beſonders kurz vor
Tuͤbingen ſehr reich zu ſeyn ſcheint.
Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer-
ſitaͤt Tuͤbingen nichts ſage. Die Leute haben bekann-
termaſſen eine erſtaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande,
und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigſten reiſen,
und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih-
nen oft wahre, treue Schilderung gar ſeltſam vor, oder
ſie ſehens wohl gar fuͤr Laͤſterung an. Doch wiſſen die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/289>, abgerufen am 29.11.2024.
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