Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Waldungen, die bereits sehr licht geworden sind. In
diesen hörte ich heute (den 15. April) schon ganz deutlich
viele Guckucke rufen, und fast auf der ganzen Reise be-
gleitete mich die Stimme dieses sonst für selten gehaltenen
Vogels. In den Dörfern sind die Wege äusserst schlecht,
aber weil die meisten Würtembergischen Dörfer an Ge-
bürgen liegen, von welchen das Wasser beständig hinun-
ter sickert, so läßt sich das schwerlich ändern.

Auch Herreberg ist eine alte, kleine, gebürgige
Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche steht, steigt
man über grosse Treppen. Die Hauptstrasse ist eng, das
alte Schlos auf der Spitze des Berges selber verfällt.
Es muß aber eine herliche Aussicht oben seyn, weil es so
hoch liegt, daß man es schon von weitem sieht.

Von da geht die sogenannte Landstrasse, im Gegen-
satz der schon fertig gewordenen Chaussee nach Tübin-
gen.
Sie ist unnöthig breit, oft schmal, oft unkennt-
lich, oft tief und löchericht. Fast dies ganze Feld bis
an die Stadt hin steckt voll Eisen, wie man an dem hoch-
rothen eisenschüssigen Thon sieht, der besonders kurz vor
Tübingen sehr reich zu seyn scheint.

Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer-
sität Tübingen nichts sage. Die Leute haben bekann-
termassen eine erstaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande,
und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigsten reisen,
und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih-
nen oft wahre, treue Schilderung gar seltsam vor, oder
sie sehens wohl gar für Lästerung an. Doch wissen die
Verständigsten wohl, an welchen Wunden man die Kur
anfangen sollte.

Eine vortrefliche Strasse läuft fünf Stunden lang
von Tübingen nach Hechingen fast immer grade, über

Feld,

Waldungen, die bereits ſehr licht geworden ſind. In
dieſen hoͤrte ich heute (den 15. April) ſchon ganz deutlich
viele Guckucke rufen, und faſt auf der ganzen Reiſe be-
gleitete mich die Stimme dieſes ſonſt fuͤr ſelten gehaltenen
Vogels. In den Doͤrfern ſind die Wege aͤuſſerſt ſchlecht,
aber weil die meiſten Wuͤrtembergiſchen Doͤrfer an Ge-
buͤrgen liegen, von welchen das Waſſer beſtaͤndig hinun-
ter ſickert, ſo laͤßt ſich das ſchwerlich aͤndern.

Auch Herreberg iſt eine alte, kleine, gebuͤrgige
Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche ſteht, ſteigt
man uͤber groſſe Treppen. Die Hauptſtraſſe iſt eng, das
alte Schlos auf der Spitze des Berges ſelber verfaͤllt.
Es muß aber eine herliche Ausſicht oben ſeyn, weil es ſo
hoch liegt, daß man es ſchon von weitem ſieht.

Von da geht die ſogenannte Landſtraſſe, im Gegen-
ſatz der ſchon fertig gewordenen Chauſſee nach Tuͤbin-
gen.
Sie iſt unnoͤthig breit, oft ſchmal, oft unkennt-
lich, oft tief und loͤchericht. Faſt dies ganze Feld bis
an die Stadt hin ſteckt voll Eiſen, wie man an dem hoch-
rothen eiſenſchuͤſſigen Thon ſieht, der beſonders kurz vor
Tuͤbingen ſehr reich zu ſeyn ſcheint.

Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer-
ſitaͤt Tuͤbingen nichts ſage. Die Leute haben bekann-
termaſſen eine erſtaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande,
und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigſten reiſen,
und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih-
nen oft wahre, treue Schilderung gar ſeltſam vor, oder
ſie ſehens wohl gar fuͤr Laͤſterung an. Doch wiſſen die
Verſtaͤndigſten wohl, an welchen Wunden man die Kur
anfangen ſollte.

Eine vortrefliche Straſſe laͤuft fuͤnf Stunden lang
von Tuͤbingen nach Hechingen faſt immer grade, uͤber

Feld,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0289" n="251"/>
Waldungen, die bereits &#x017F;ehr licht geworden &#x017F;ind. In<lb/>
die&#x017F;en ho&#x0364;rte ich heute (den 15. April) &#x017F;chon ganz deutlich<lb/>
viele <hi rendition="#fr">Guckucke</hi> rufen, und fa&#x017F;t auf der ganzen Rei&#x017F;e be-<lb/>
gleitete mich die Stimme die&#x017F;es &#x017F;on&#x017F;t fu&#x0364;r &#x017F;elten gehaltenen<lb/>
Vogels. In den Do&#x0364;rfern &#x017F;ind die Wege a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t &#x017F;chlecht,<lb/>
aber weil die mei&#x017F;ten <hi rendition="#fr">Wu&#x0364;rtemberg</hi>i&#x017F;chen Do&#x0364;rfer an Ge-<lb/>
bu&#x0364;rgen liegen, von welchen das Wa&#x017F;&#x017F;er be&#x017F;ta&#x0364;ndig hinun-<lb/>
ter &#x017F;ickert, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich das &#x017F;chwerlich a&#x0364;ndern.</p><lb/>
          <p>Auch <hi rendition="#fr">Herreberg</hi> i&#x017F;t eine alte, kleine, gebu&#x0364;rgige<lb/>
Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche &#x017F;teht, &#x017F;teigt<lb/>
man u&#x0364;ber gro&#x017F;&#x017F;e Treppen. Die Haupt&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t eng, das<lb/>
alte Schlos auf der Spitze des Berges &#x017F;elber verfa&#x0364;llt.<lb/>
Es muß aber eine herliche Aus&#x017F;icht oben &#x017F;eyn, weil es &#x017F;o<lb/>
hoch liegt, daß man es &#x017F;chon von weitem &#x017F;ieht.</p><lb/>
          <p>Von da geht die &#x017F;ogenannte <hi rendition="#fr">Land&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;e,</hi> im Gegen-<lb/>
&#x017F;atz der &#x017F;chon fertig gewordenen <hi rendition="#fr">Chau&#x017F;&#x017F;ee</hi> nach <hi rendition="#fr">Tu&#x0364;bin-<lb/>
gen.</hi> Sie i&#x017F;t unno&#x0364;thig breit, oft &#x017F;chmal, oft unkennt-<lb/>
lich, oft tief und lo&#x0364;chericht. Fa&#x017F;t dies ganze Feld bis<lb/>
an die Stadt hin &#x017F;teckt voll Ei&#x017F;en, wie man an dem hoch-<lb/>
rothen ei&#x017F;en&#x017F;chu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Thon &#x017F;ieht, der be&#x017F;onders kurz vor<lb/><hi rendition="#fr">Tu&#x0364;bingen</hi> &#x017F;ehr reich zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer-<lb/>
&#x017F;ita&#x0364;t <hi rendition="#fr">Tu&#x0364;bingen</hi> nichts &#x017F;age. Die Leute haben bekann-<lb/>
terma&#x017F;&#x017F;en eine er&#x017F;taunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande,<lb/>
und zu allen ihren Sachen, weil die Wenig&#x017F;ten rei&#x017F;en,<lb/>
und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih-<lb/>
nen oft wahre, treue Schilderung gar &#x017F;elt&#x017F;am vor, oder<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ehens wohl gar fu&#x0364;r La&#x0364;&#x017F;terung an. Doch wi&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
Ver&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;ten wohl, an welchen Wunden man die Kur<lb/>
anfangen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Eine vortrefliche Stra&#x017F;&#x017F;e la&#x0364;uft fu&#x0364;nf Stunden lang<lb/>
von <hi rendition="#fr">Tu&#x0364;bingen</hi> nach <hi rendition="#fr">Hechingen</hi> fa&#x017F;t immer grade, u&#x0364;ber<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Feld,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0289] Waldungen, die bereits ſehr licht geworden ſind. In dieſen hoͤrte ich heute (den 15. April) ſchon ganz deutlich viele Guckucke rufen, und faſt auf der ganzen Reiſe be- gleitete mich die Stimme dieſes ſonſt fuͤr ſelten gehaltenen Vogels. In den Doͤrfern ſind die Wege aͤuſſerſt ſchlecht, aber weil die meiſten Wuͤrtembergiſchen Doͤrfer an Ge- buͤrgen liegen, von welchen das Waſſer beſtaͤndig hinun- ter ſickert, ſo laͤßt ſich das ſchwerlich aͤndern. Auch Herreberg iſt eine alte, kleine, gebuͤrgige Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche ſteht, ſteigt man uͤber groſſe Treppen. Die Hauptſtraſſe iſt eng, das alte Schlos auf der Spitze des Berges ſelber verfaͤllt. Es muß aber eine herliche Ausſicht oben ſeyn, weil es ſo hoch liegt, daß man es ſchon von weitem ſieht. Von da geht die ſogenannte Landſtraſſe, im Gegen- ſatz der ſchon fertig gewordenen Chauſſee nach Tuͤbin- gen. Sie iſt unnoͤthig breit, oft ſchmal, oft unkennt- lich, oft tief und loͤchericht. Faſt dies ganze Feld bis an die Stadt hin ſteckt voll Eiſen, wie man an dem hoch- rothen eiſenſchuͤſſigen Thon ſieht, der beſonders kurz vor Tuͤbingen ſehr reich zu ſeyn ſcheint. Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer- ſitaͤt Tuͤbingen nichts ſage. Die Leute haben bekann- termaſſen eine erſtaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande, und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigſten reiſen, und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih- nen oft wahre, treue Schilderung gar ſeltſam vor, oder ſie ſehens wohl gar fuͤr Laͤſterung an. Doch wiſſen die Verſtaͤndigſten wohl, an welchen Wunden man die Kur anfangen ſollte. Eine vortrefliche Straſſe laͤuft fuͤnf Stunden lang von Tuͤbingen nach Hechingen faſt immer grade, uͤber Feld,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/289
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/289>, abgerufen am 29.11.2024.