gestrichen war. Alles sah überhaupt sehr düster und trau- rig aus. Die Studenten tragen sich alle ganz schwarz, mit runden Haaren, und runden Hüten, die sie auch im Collegio aussetzen. Dr. Aßeline trug ebenfalls eine gros- se steife altmodische Kappe, die er nur beim Gebet ab- nahm. Viel Ordnung, Sittsamkeit und Bescheidenheit fand ich nicht. Die Zuhörer hätten alle sitzen können, aber sie standen zum Theil auf den Bänken, und schrieben am Fenster. Unter der Kanzeltreppe saßen fünfe und schäkerten. Man ging, man kam, wie man wollte, vor des Lehrers Augen las man Zeitungen, die wenigsten hat- ten Bibeln. Kurz, ich bemerkte keinen Eifer, keinen Ernst. Mein buntes Kleid mochte hier eben keine ge- wöhnliche Erscheinung seyn, ich merkte, daß es nicht Mode war; doch wiederfuhr mir nichts unangenehmes. Man hielt mich oft für einem Engelländer, aber sobald ich dies merkte, bekannte ich frei mein teutsches Vater- land. Als der Professor kam, ging ein Student mit ihm auf die Kanzel und las den 64ten Psalm in der Grund- sprache vor, sodann eine lateinische Uebersetzung, ging dann wieder herunter, und nun fing Aßelyne an. Die ebräische Pronunciation der Franzosen ist von der teut- schen wenig unterschieden. Das Vau copulat. und convers. sprach er immer wie ein Schureck aus. Das Schewa quiescens aber kan der Franzos herrlich schlei- fen, auch 3. 4. Worte, welche die Linea Makkeph ver- bindet, sprach er sehr gut mit einander aus. Dagegen aber war sein Lateinisch unerträglich, scribitur, Sche- hova (statt Jehova), lonsche (statt longe), fu- schient (statt fugient), schaculati (statt jaculati). Er ging jeden Vers durch, gab aber nur den Wortver- stand an, ohne sich in die Grammatik, oder in die Mo-
ral
geſtrichen war. Alles ſah uͤberhaupt ſehr duͤſter und trau- rig aus. Die Studenten tragen ſich alle ganz ſchwarz, mit runden Haaren, und runden Huͤten, die ſie auch im Collegio auſſetzen. Dr. Aßeline trug ebenfalls eine groſ- ſe ſteife altmodiſche Kappe, die er nur beim Gebet ab- nahm. Viel Ordnung, Sittſamkeit und Beſcheidenheit fand ich nicht. Die Zuhoͤrer haͤtten alle ſitzen koͤnnen, aber ſie ſtanden zum Theil auf den Baͤnken, und ſchrieben am Fenſter. Unter der Kanzeltreppe ſaßen fuͤnfe und ſchaͤkerten. Man ging, man kam, wie man wollte, vor des Lehrers Augen las man Zeitungen, die wenigſten hat- ten Bibeln. Kurz, ich bemerkte keinen Eifer, keinen Ernſt. Mein buntes Kleid mochte hier eben keine ge- woͤhnliche Erſcheinung ſeyn, ich merkte, daß es nicht Mode war; doch wiederfuhr mir nichts unangenehmes. Man hielt mich oft fuͤr einem Engellaͤnder, aber ſobald ich dies merkte, bekannte ich frei mein teutſches Vater- land. Als der Profeſſor kam, ging ein Student mit ihm auf die Kanzel und las den 64ten Pſalm in der Grund- ſprache vor, ſodann eine lateiniſche Ueberſetzung, ging dann wieder herunter, und nun fing Aßelyne an. Die ebraͤiſche Pronunciation der Franzoſen iſt von der teut- ſchen wenig unterſchieden. Das Vau copulat. und converſ. ſprach er immer wie ein Schureck aus. Das Schewa quieſcens aber kan der Franzos herrlich ſchlei- fen, auch 3. 4. Worte, welche die Linea Makkeph ver- bindet, ſprach er ſehr gut mit einander aus. Dagegen aber war ſein Lateiniſch unertraͤglich, ſcribītur, Sche- hova (ſtatt Jehova), lonſche (ſtatt longe), fu- ſchient (ſtatt fugient), ſchaculati (ſtatt jaculati). Er ging jeden Vers durch, gab aber nur den Wortver- ſtand an, ohne ſich in die Grammatik, oder in die Mo-
ral
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0258"n="234"/>
geſtrichen war. Alles ſah uͤberhaupt ſehr duͤſter und trau-<lb/>
rig aus. Die Studenten tragen ſich alle ganz ſchwarz,<lb/>
mit runden Haaren, und runden Huͤten, die ſie auch im<lb/>
Collegio auſſetzen. Dr. <hirendition="#fr">Aßeline</hi> trug ebenfalls eine groſ-<lb/>ſe ſteife altmodiſche Kappe, die er nur beim Gebet ab-<lb/>
nahm. Viel Ordnung, Sittſamkeit und Beſcheidenheit<lb/>
fand ich nicht. Die Zuhoͤrer haͤtten alle ſitzen koͤnnen,<lb/>
aber ſie ſtanden zum Theil auf den Baͤnken, und ſchrieben<lb/>
am Fenſter. Unter der Kanzeltreppe ſaßen fuͤnfe und<lb/>ſchaͤkerten. Man ging, man kam, wie man wollte, vor<lb/>
des Lehrers Augen las man Zeitungen, die wenigſten hat-<lb/>
ten Bibeln. Kurz, ich bemerkte keinen Eifer, keinen<lb/>
Ernſt. Mein buntes Kleid mochte hier eben keine ge-<lb/>
woͤhnliche Erſcheinung ſeyn, ich merkte, daß es nicht<lb/>
Mode war; doch wiederfuhr mir nichts unangenehmes.<lb/>
Man hielt mich oft fuͤr einem Engellaͤnder, aber ſobald<lb/>
ich dies merkte, bekannte ich frei mein teutſches Vater-<lb/>
land. Als der Profeſſor kam, ging ein Student mit ihm<lb/>
auf die Kanzel und las den 64ten Pſalm in der Grund-<lb/>ſprache vor, ſodann eine lateiniſche Ueberſetzung, ging<lb/>
dann wieder herunter, und nun fing <hirendition="#fr">Aßelyne</hi> an. Die<lb/>
ebraͤiſche Pronunciation der Franzoſen iſt von der teut-<lb/>ſchen wenig unterſchieden. Das <hirendition="#aq">Vau copulat.</hi> und<lb/><hirendition="#aq">converſ.</hi>ſprach er immer wie ein <hirendition="#aq">Schureck</hi> aus. Das<lb/><hirendition="#aq">Schewa quieſcens</hi> aber kan der Franzos herrlich ſchlei-<lb/>
fen, auch 3. 4. Worte, welche die <hirendition="#aq">Linea Makkeph</hi> ver-<lb/>
bindet, ſprach er ſehr gut mit einander aus. Dagegen<lb/>
aber war ſein Lateiniſch unertraͤglich, <hirendition="#aq">ſcribītur, Sche-<lb/>
hova</hi> (ſtatt <hirendition="#aq">Jehova), lonſche</hi> (ſtatt <hirendition="#aq">longe), fu-<lb/>ſchient</hi> (ſtatt <hirendition="#aq">fugient), ſchaculati</hi> (ſtatt <hirendition="#aq">jaculati</hi>).<lb/>
Er ging jeden Vers durch, gab aber nur den Wortver-<lb/>ſtand an, ohne ſich in die Grammatik, oder in die Mo-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ral</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[234/0258]
geſtrichen war. Alles ſah uͤberhaupt ſehr duͤſter und trau-
rig aus. Die Studenten tragen ſich alle ganz ſchwarz,
mit runden Haaren, und runden Huͤten, die ſie auch im
Collegio auſſetzen. Dr. Aßeline trug ebenfalls eine groſ-
ſe ſteife altmodiſche Kappe, die er nur beim Gebet ab-
nahm. Viel Ordnung, Sittſamkeit und Beſcheidenheit
fand ich nicht. Die Zuhoͤrer haͤtten alle ſitzen koͤnnen,
aber ſie ſtanden zum Theil auf den Baͤnken, und ſchrieben
am Fenſter. Unter der Kanzeltreppe ſaßen fuͤnfe und
ſchaͤkerten. Man ging, man kam, wie man wollte, vor
des Lehrers Augen las man Zeitungen, die wenigſten hat-
ten Bibeln. Kurz, ich bemerkte keinen Eifer, keinen
Ernſt. Mein buntes Kleid mochte hier eben keine ge-
woͤhnliche Erſcheinung ſeyn, ich merkte, daß es nicht
Mode war; doch wiederfuhr mir nichts unangenehmes.
Man hielt mich oft fuͤr einem Engellaͤnder, aber ſobald
ich dies merkte, bekannte ich frei mein teutſches Vater-
land. Als der Profeſſor kam, ging ein Student mit ihm
auf die Kanzel und las den 64ten Pſalm in der Grund-
ſprache vor, ſodann eine lateiniſche Ueberſetzung, ging
dann wieder herunter, und nun fing Aßelyne an. Die
ebraͤiſche Pronunciation der Franzoſen iſt von der teut-
ſchen wenig unterſchieden. Das Vau copulat. und
converſ. ſprach er immer wie ein Schureck aus. Das
Schewa quieſcens aber kan der Franzos herrlich ſchlei-
fen, auch 3. 4. Worte, welche die Linea Makkeph ver-
bindet, ſprach er ſehr gut mit einander aus. Dagegen
aber war ſein Lateiniſch unertraͤglich, ſcribītur, Sche-
hova (ſtatt Jehova), lonſche (ſtatt longe), fu-
ſchient (ſtatt fugient), ſchaculati (ſtatt jaculati).
Er ging jeden Vers durch, gab aber nur den Wortver-
ſtand an, ohne ſich in die Grammatik, oder in die Mo-
ral
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/258>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.