Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Wundärzte, Mediciner etc. aber von Stande sah ich kei-
nen. Die Wache ging vor dem Professor her, wie er
kam, und das Auditorium empfing ihn, -- wie den
Akteur in der Komödie, -- mit Händeklatschen, man
klaschte auch, wie er aufhörte zu sprechen. Jussieu
hatte einen Kirchenrock an, mit einem Handbreiten Kra-
gen, und trug auf der linken Schulter einen langen Strei-
fen rothgesticktes Tuch mit weissen Spitzen und Quasten
am Ende. -- Vermuthlich eine alte Universitätstracht,
welche die sonst so modische Nation beibehalten hat. Er
las über die Physiologie der Pflanzen, und über das Sy-
stem in der Botanik. Schönes, fliessendes, überall
verständliches, leichtes Französisch sprach er, saß aber
hinter seinem mit Blumen bedeckten Tisch ohne Bewe-
gung, als zuweilen mit dem Kopfe, hatte seinen auch alt-
modischen Fakultätshut in der Hand, las viel aus dem
Hefte, und wenn er auch eine Pflanze in die Hände
nahm, so sahen wir in den vordersten Reihen sie wohl,
aber die hintern nicht. Die Demonstratores sassen ne-
ben ihm. Erst behauptete er: zur Botanik gehöre auch
die Kenntnis der Kräfte der Pflanzen, man müsse dies
nicht trennen, und zur Medicin rechnen. Dann kam
er auf die Begriffe von Mineral -- Vegetal --
Animal.
-- Die Mineralien könnten, sagte er, nur
zeugen, wenn man sie ganz zerlegte. Pflanzen und
Thiere hingegen blieben ganz, und gäben bei der Fort-
pflanzung nur einen kleinen Theil von sich. Hier lief
auch eine kleine Unrichtigkeit mit ein. Weil den Mi-
neralien, meinte er, gewisse Organen, nämlich die Ner-
ven
fehlten, so hätten sie weder Reizbarkeit, (Irrita-
bilite,
) noch Empfindlichkeit (Sensibilite). Als
wenn Haller nicht bewiesen hätte, daß der Sitz der Reiz-

barkeit
N 2

Wundaͤrzte, Mediciner ꝛc. aber von Stande ſah ich kei-
nen. Die Wache ging vor dem Profeſſor her, wie er
kam, und das Auditorium empfing ihn, — wie den
Akteur in der Komoͤdie, — mit Haͤndeklatſchen, man
klaſchte auch, wie er aufhoͤrte zu ſprechen. Juſſieu
hatte einen Kirchenrock an, mit einem Handbreiten Kra-
gen, und trug auf der linken Schulter einen langen Strei-
fen rothgeſticktes Tuch mit weiſſen Spitzen und Quaſten
am Ende. — Vermuthlich eine alte Univerſitaͤtstracht,
welche die ſonſt ſo modiſche Nation beibehalten hat. Er
las uͤber die Phyſiologie der Pflanzen, und uͤber das Sy-
ſtem in der Botanik. Schoͤnes, flieſſendes, uͤberall
verſtaͤndliches, leichtes Franzoͤſiſch ſprach er, ſaß aber
hinter ſeinem mit Blumen bedeckten Tiſch ohne Bewe-
gung, als zuweilen mit dem Kopfe, hatte ſeinen auch alt-
modiſchen Fakultaͤtshut in der Hand, las viel aus dem
Hefte, und wenn er auch eine Pflanze in die Haͤnde
nahm, ſo ſahen wir in den vorderſten Reihen ſie wohl,
aber die hintern nicht. Die Demonſtratores ſaſſen ne-
ben ihm. Erſt behauptete er: zur Botanik gehoͤre auch
die Kenntnis der Kraͤfte der Pflanzen, man muͤſſe dies
nicht trennen, und zur Medicin rechnen. Dann kam
er auf die Begriffe von Mineral — Vegetal —
Animal.
— Die Mineralien koͤnnten, ſagte er, nur
zeugen, wenn man ſie ganz zerlegte. Pflanzen und
Thiere hingegen blieben ganz, und gaͤben bei der Fort-
pflanzung nur einen kleinen Theil von ſich. Hier lief
auch eine kleine Unrichtigkeit mit ein. Weil den Mi-
neralien, meinte er, gewiſſe Organen, naͤmlich die Ner-
ven
fehlten, ſo haͤtten ſie weder Reizbarkeit, (Irrita-
bilité,
) noch Empfindlichkeit (Senſibilité). Als
wenn Haller nicht bewieſen haͤtte, daß der Sitz der Reiz-

barkeit
N 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0219" n="195"/>
Wunda&#x0364;rzte, Mediciner &#xA75B;c. aber von Stande &#x017F;ah ich kei-<lb/>
nen. Die Wache ging vor dem Profe&#x017F;&#x017F;or her, wie er<lb/>
kam, und das Auditorium empfing ihn, &#x2014; wie den<lb/>
Akteur in der Komo&#x0364;die, &#x2014; mit Ha&#x0364;ndeklat&#x017F;chen, man<lb/>
kla&#x017F;chte auch, wie er aufho&#x0364;rte zu &#x017F;prechen. <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;&#x017F;ieu</hi><lb/>
hatte einen Kirchenrock an, mit einem Handbreiten Kra-<lb/>
gen, und trug auf der linken Schulter einen langen Strei-<lb/>
fen rothge&#x017F;ticktes Tuch mit wei&#x017F;&#x017F;en Spitzen und Qua&#x017F;ten<lb/>
am Ende. &#x2014; Vermuthlich eine alte Univer&#x017F;ita&#x0364;tstracht,<lb/>
welche die &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o modi&#x017F;che Nation beibehalten hat. Er<lb/>
las u&#x0364;ber die Phy&#x017F;iologie der Pflanzen, und u&#x0364;ber das Sy-<lb/>
&#x017F;tem in der Botanik. Scho&#x0364;nes, flie&#x017F;&#x017F;endes, u&#x0364;berall<lb/>
ver&#x017F;ta&#x0364;ndliches, leichtes Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch &#x017F;prach er, &#x017F;aß aber<lb/>
hinter &#x017F;einem mit Blumen bedeckten Ti&#x017F;ch ohne Bewe-<lb/>
gung, als zuweilen mit dem Kopfe, hatte &#x017F;einen auch alt-<lb/>
modi&#x017F;chen Fakulta&#x0364;tshut in der Hand, las viel aus dem<lb/>
Hefte, und wenn er auch eine Pflanze in die Ha&#x0364;nde<lb/>
nahm, &#x017F;o &#x017F;ahen wir in den vorder&#x017F;ten Reihen &#x017F;ie wohl,<lb/>
aber die hintern nicht. Die Demon&#x017F;tratores &#x017F;a&#x017F;&#x017F;en ne-<lb/>
ben ihm. Er&#x017F;t behauptete er: zur Botanik geho&#x0364;re auch<lb/>
die Kenntnis der Kra&#x0364;fte der Pflanzen, man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e dies<lb/>
nicht trennen, und zur Medicin rechnen. Dann kam<lb/>
er auf die Begriffe von <hi rendition="#aq">Mineral &#x2014; Vegetal &#x2014;<lb/>
Animal.</hi> &#x2014; Die Mineralien ko&#x0364;nnten, &#x017F;agte er, nur<lb/>
zeugen, wenn man &#x017F;ie ganz zerlegte. Pflanzen und<lb/>
Thiere hingegen blieben ganz, und ga&#x0364;ben bei der Fort-<lb/>
pflanzung nur einen kleinen Theil von &#x017F;ich. Hier lief<lb/>
auch eine kleine Unrichtigkeit mit ein. Weil den Mi-<lb/>
neralien, meinte er, gewi&#x017F;&#x017F;e Organen, na&#x0364;mlich die <hi rendition="#fr">Ner-<lb/>
ven</hi> fehlten, &#x017F;o ha&#x0364;tten &#x017F;ie weder <hi rendition="#fr">Reizbarkeit,</hi> (<hi rendition="#aq">Irrita-<lb/>
bilité,</hi>) noch <hi rendition="#fr">Empfindlichkeit</hi> (<hi rendition="#aq">Sen&#x017F;ibilité</hi>). Als<lb/>
wenn <hi rendition="#fr">Haller</hi> nicht bewie&#x017F;en ha&#x0364;tte, daß der Sitz der Reiz-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 2</fw><fw place="bottom" type="catch">barkeit</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0219] Wundaͤrzte, Mediciner ꝛc. aber von Stande ſah ich kei- nen. Die Wache ging vor dem Profeſſor her, wie er kam, und das Auditorium empfing ihn, — wie den Akteur in der Komoͤdie, — mit Haͤndeklatſchen, man klaſchte auch, wie er aufhoͤrte zu ſprechen. Juſſieu hatte einen Kirchenrock an, mit einem Handbreiten Kra- gen, und trug auf der linken Schulter einen langen Strei- fen rothgeſticktes Tuch mit weiſſen Spitzen und Quaſten am Ende. — Vermuthlich eine alte Univerſitaͤtstracht, welche die ſonſt ſo modiſche Nation beibehalten hat. Er las uͤber die Phyſiologie der Pflanzen, und uͤber das Sy- ſtem in der Botanik. Schoͤnes, flieſſendes, uͤberall verſtaͤndliches, leichtes Franzoͤſiſch ſprach er, ſaß aber hinter ſeinem mit Blumen bedeckten Tiſch ohne Bewe- gung, als zuweilen mit dem Kopfe, hatte ſeinen auch alt- modiſchen Fakultaͤtshut in der Hand, las viel aus dem Hefte, und wenn er auch eine Pflanze in die Haͤnde nahm, ſo ſahen wir in den vorderſten Reihen ſie wohl, aber die hintern nicht. Die Demonſtratores ſaſſen ne- ben ihm. Erſt behauptete er: zur Botanik gehoͤre auch die Kenntnis der Kraͤfte der Pflanzen, man muͤſſe dies nicht trennen, und zur Medicin rechnen. Dann kam er auf die Begriffe von Mineral — Vegetal — Animal. — Die Mineralien koͤnnten, ſagte er, nur zeugen, wenn man ſie ganz zerlegte. Pflanzen und Thiere hingegen blieben ganz, und gaͤben bei der Fort- pflanzung nur einen kleinen Theil von ſich. Hier lief auch eine kleine Unrichtigkeit mit ein. Weil den Mi- neralien, meinte er, gewiſſe Organen, naͤmlich die Ner- ven fehlten, ſo haͤtten ſie weder Reizbarkeit, (Irrita- bilité,) noch Empfindlichkeit (Senſibilité). Als wenn Haller nicht bewieſen haͤtte, daß der Sitz der Reiz- barkeit N 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/219
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/219>, abgerufen am 04.05.2024.