her nicht waren; -- das alles und noch viel mehr, was ich, nicht eingeweiht in Kunstsachen, nicht entdecken, nicht sagen kan, ist da zu sehen, und ein Narr ist der, ders sehen kan, und nicht sehen mag. Es stehen die Namen Audran und Cozette und die Jahrzahlen 1740. 1760. 1771. daran, und ich denke, die grossen Männer werden des Andenkens eben so werth seyn, als Praxiteles und Apelles. Wer ein junges Genie weis, das Anlage zur Malerei und Stickerei hat, und er schickt es nicht hier her, daß ers einsaugt, wie der Säugling Milch, und nachahmt, so ists wahrlich Diebstahl am Menschenge- schlecht. Fängt er da nicht Feuer, so hat ihn Mutter Natur nicht zum Maler bestimmt. Alle Woche ein- mahl möcht' ich dahin sitzen, und vor jedem Stück Stun- denlang weilen, und so fort rücken, und immer wieder neue, erst übersehene Schönheiten entdecken. Schwatz mir einer lang in der Aesthetik vom Empfinden des Schö- nen vor. Sehen, sehen muß ers, Regeln brauchen wir nicht viel. Es ist eine Tapete da, wo Angelica und Medor sich mit einander versprechen. Ha, so schön kömts gewis in der Natur nicht oft vor. Medor liegt im Küraß als Soldat vor ihr, Liebe thront im Auge, und sie, -- o wie herrlich ist alles, -- der Arm so zier- lich aufgehoben, ihr Aug, Mund, Stirn, nein, nein, es ist unique, keine Sprache druckts aus. Was soll man von dem denken, der in die Gobelins geht, und das alles sündliche, eitle Pracht nennt, oder mit der stum- pfesten Seele von der Welt sein Sapientis est nil mirari daher gähnt? Hierauf machte ich einen Be- such bei
Madame Chenier. Wiederum eine merkwürdige Erscheinung. Eine Griechin mitten in Paris, von
Konstan-
her nicht waren; — das alles und noch viel mehr, was ich, nicht eingeweiht in Kunſtſachen, nicht entdecken, nicht ſagen kan, iſt da zu ſehen, und ein Narr iſt der, ders ſehen kan, und nicht ſehen mag. Es ſtehen die Namen Audran und Cozette und die Jahrzahlen 1740. 1760. 1771. daran, und ich denke, die groſſen Maͤnner werden des Andenkens eben ſo werth ſeyn, als Praxiteles und Apelles. Wer ein junges Genie weis, das Anlage zur Malerei und Stickerei hat, und er ſchickt es nicht hier her, daß ers einſaugt, wie der Saͤugling Milch, und nachahmt, ſo iſts wahrlich Diebſtahl am Menſchenge- ſchlecht. Faͤngt er da nicht Feuer, ſo hat ihn Mutter Natur nicht zum Maler beſtimmt. Alle Woche ein- mahl moͤcht’ ich dahin ſitzen, und vor jedem Stuͤck Stun- denlang weilen, und ſo fort ruͤcken, und immer wieder neue, erſt uͤberſehene Schoͤnheiten entdecken. Schwatz mir einer lang in der Aeſthetik vom Empfinden des Schoͤ- nen vor. Sehen, ſehen muß ers, Regeln brauchen wir nicht viel. Es iſt eine Tapete da, wo Angelica und Medor ſich mit einander verſprechen. Ha, ſo ſchoͤn koͤmts gewis in der Natur nicht oft vor. Medor liegt im Kuͤraß als Soldat vor ihr, Liebe thront im Auge, und ſie, — o wie herrlich iſt alles, — der Arm ſo zier- lich aufgehoben, ihr Aug, Mund, Stirn, nein, nein, es iſt unique, keine Sprache druckts aus. Was ſoll man von dem denken, der in die Gobelins geht, und das alles ſuͤndliche, eitle Pracht nennt, oder mit der ſtum- pfeſten Seele von der Welt ſein Sapientis eſt nil mirari daher gaͤhnt? Hierauf machte ich einen Be- ſuch bei
Madame Chenier. Wiederum eine merkwuͤrdige Erſcheinung. Eine Griechin mitten in Paris, von
Konſtan-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0178"n="154"/>
her nicht waren; — das alles und noch viel mehr, was<lb/>
ich, nicht eingeweiht in Kunſtſachen, nicht entdecken, nicht<lb/>ſagen kan, iſt da zu ſehen, und ein Narr iſt der, ders<lb/>ſehen kan, und nicht ſehen mag. Es ſtehen die Namen<lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Audran</hi></hi> und <hirendition="#aq"><hirendition="#i">Cozette</hi></hi> und die Jahrzahlen 1740. 1760.<lb/>
1771. daran, und ich denke, die groſſen Maͤnner werden<lb/>
des Andenkens eben ſo werth ſeyn, als <hirendition="#fr">Praxiteles</hi> und<lb/><hirendition="#fr">Apelles.</hi> Wer ein junges Genie weis, das Anlage zur<lb/>
Malerei und Stickerei hat, und er ſchickt es nicht hier<lb/>
her, daß ers einſaugt, wie der Saͤugling Milch, und<lb/>
nachahmt, ſo iſts wahrlich Diebſtahl am Menſchenge-<lb/>ſchlecht. Faͤngt er da nicht Feuer, ſo hat ihn Mutter<lb/>
Natur nicht zum Maler beſtimmt. Alle Woche ein-<lb/>
mahl moͤcht’ ich dahin ſitzen, und vor jedem Stuͤck Stun-<lb/>
denlang weilen, und ſo fort ruͤcken, und immer wieder<lb/>
neue, erſt uͤberſehene Schoͤnheiten entdecken. Schwatz<lb/>
mir einer lang in der Aeſthetik vom Empfinden des Schoͤ-<lb/>
nen vor. Sehen, ſehen muß ers, Regeln brauchen wir<lb/>
nicht viel. Es iſt eine Tapete da, wo <hirendition="#fr">Angelica</hi> und<lb/><hirendition="#fr">Medor</hi>ſich mit einander verſprechen. Ha, ſo ſchoͤn<lb/>
koͤmts gewis in der Natur nicht oft vor. <hirendition="#fr">Medor</hi> liegt<lb/>
im Kuͤraß als Soldat vor ihr, Liebe thront im Auge,<lb/>
und ſie, — o wie herrlich iſt alles, — der Arm ſo zier-<lb/>
lich aufgehoben, ihr Aug, Mund, Stirn, nein, nein,<lb/>
es iſt unique, keine Sprache druckts aus. Was ſoll<lb/>
man von dem denken, der in die <hirendition="#fr">Gobelins</hi> geht, und<lb/>
das alles ſuͤndliche, eitle Pracht nennt, oder mit der ſtum-<lb/>
pfeſten Seele von der Welt ſein <hirendition="#aq">Sapientis eſt nil<lb/>
mirari</hi> daher gaͤhnt? Hierauf machte ich einen Be-<lb/>ſuch bei</p><lb/><p><hirendition="#aq">Madame <hirendition="#i">Chenier.</hi></hi> Wiederum eine merkwuͤrdige<lb/>
Erſcheinung. Eine Griechin mitten in <hirendition="#fr">Paris,</hi> von<lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Konſtan-</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[154/0178]
her nicht waren; — das alles und noch viel mehr, was
ich, nicht eingeweiht in Kunſtſachen, nicht entdecken, nicht
ſagen kan, iſt da zu ſehen, und ein Narr iſt der, ders
ſehen kan, und nicht ſehen mag. Es ſtehen die Namen
Audran und Cozette und die Jahrzahlen 1740. 1760.
1771. daran, und ich denke, die groſſen Maͤnner werden
des Andenkens eben ſo werth ſeyn, als Praxiteles und
Apelles. Wer ein junges Genie weis, das Anlage zur
Malerei und Stickerei hat, und er ſchickt es nicht hier
her, daß ers einſaugt, wie der Saͤugling Milch, und
nachahmt, ſo iſts wahrlich Diebſtahl am Menſchenge-
ſchlecht. Faͤngt er da nicht Feuer, ſo hat ihn Mutter
Natur nicht zum Maler beſtimmt. Alle Woche ein-
mahl moͤcht’ ich dahin ſitzen, und vor jedem Stuͤck Stun-
denlang weilen, und ſo fort ruͤcken, und immer wieder
neue, erſt uͤberſehene Schoͤnheiten entdecken. Schwatz
mir einer lang in der Aeſthetik vom Empfinden des Schoͤ-
nen vor. Sehen, ſehen muß ers, Regeln brauchen wir
nicht viel. Es iſt eine Tapete da, wo Angelica und
Medor ſich mit einander verſprechen. Ha, ſo ſchoͤn
koͤmts gewis in der Natur nicht oft vor. Medor liegt
im Kuͤraß als Soldat vor ihr, Liebe thront im Auge,
und ſie, — o wie herrlich iſt alles, — der Arm ſo zier-
lich aufgehoben, ihr Aug, Mund, Stirn, nein, nein,
es iſt unique, keine Sprache druckts aus. Was ſoll
man von dem denken, der in die Gobelins geht, und
das alles ſuͤndliche, eitle Pracht nennt, oder mit der ſtum-
pfeſten Seele von der Welt ſein Sapientis eſt nil
mirari daher gaͤhnt? Hierauf machte ich einen Be-
ſuch bei
Madame Chenier. Wiederum eine merkwuͤrdige
Erſcheinung. Eine Griechin mitten in Paris, von
Konſtan-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/178>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.