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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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her nicht waren; -- das alles und noch viel mehr, was
ich, nicht eingeweiht in Kunstsachen, nicht entdecken, nicht
sagen kan, ist da zu sehen, und ein Narr ist der, ders
sehen kan, und nicht sehen mag. Es stehen die Namen
Audran und Cozette und die Jahrzahlen 1740. 1760.
1771. daran, und ich denke, die grossen Männer werden
des Andenkens eben so werth seyn, als Praxiteles und
Apelles. Wer ein junges Genie weis, das Anlage zur
Malerei und Stickerei hat, und er schickt es nicht hier
her, daß ers einsaugt, wie der Säugling Milch, und
nachahmt, so ists wahrlich Diebstahl am Menschenge-
schlecht. Fängt er da nicht Feuer, so hat ihn Mutter
Natur nicht zum Maler bestimmt. Alle Woche ein-
mahl möcht' ich dahin sitzen, und vor jedem Stück Stun-
denlang weilen, und so fort rücken, und immer wieder
neue, erst übersehene Schönheiten entdecken. Schwatz
mir einer lang in der Aesthetik vom Empfinden des Schö-
nen vor. Sehen, sehen muß ers, Regeln brauchen wir
nicht viel. Es ist eine Tapete da, wo Angelica und
Medor sich mit einander versprechen. Ha, so schön
kömts gewis in der Natur nicht oft vor. Medor liegt
im Küraß als Soldat vor ihr, Liebe thront im Auge,
und sie, -- o wie herrlich ist alles, -- der Arm so zier-
lich aufgehoben, ihr Aug, Mund, Stirn, nein, nein,
es ist unique, keine Sprache druckts aus. Was soll
man von dem denken, der in die Gobelins geht, und
das alles sündliche, eitle Pracht nennt, oder mit der stum-
pfesten Seele von der Welt sein Sapientis est nil
mirari
daher gähnt? Hierauf machte ich einen Be-
such bei

Madame Chenier. Wiederum eine merkwürdige
Erscheinung. Eine Griechin mitten in Paris, von

Konstan-

her nicht waren; — das alles und noch viel mehr, was
ich, nicht eingeweiht in Kunſtſachen, nicht entdecken, nicht
ſagen kan, iſt da zu ſehen, und ein Narr iſt der, ders
ſehen kan, und nicht ſehen mag. Es ſtehen die Namen
Audran und Cozette und die Jahrzahlen 1740. 1760.
1771. daran, und ich denke, die groſſen Maͤnner werden
des Andenkens eben ſo werth ſeyn, als Praxiteles und
Apelles. Wer ein junges Genie weis, das Anlage zur
Malerei und Stickerei hat, und er ſchickt es nicht hier
her, daß ers einſaugt, wie der Saͤugling Milch, und
nachahmt, ſo iſts wahrlich Diebſtahl am Menſchenge-
ſchlecht. Faͤngt er da nicht Feuer, ſo hat ihn Mutter
Natur nicht zum Maler beſtimmt. Alle Woche ein-
mahl moͤcht’ ich dahin ſitzen, und vor jedem Stuͤck Stun-
denlang weilen, und ſo fort ruͤcken, und immer wieder
neue, erſt uͤberſehene Schoͤnheiten entdecken. Schwatz
mir einer lang in der Aeſthetik vom Empfinden des Schoͤ-
nen vor. Sehen, ſehen muß ers, Regeln brauchen wir
nicht viel. Es iſt eine Tapete da, wo Angelica und
Medor ſich mit einander verſprechen. Ha, ſo ſchoͤn
koͤmts gewis in der Natur nicht oft vor. Medor liegt
im Kuͤraß als Soldat vor ihr, Liebe thront im Auge,
und ſie, — o wie herrlich iſt alles, — der Arm ſo zier-
lich aufgehoben, ihr Aug, Mund, Stirn, nein, nein,
es iſt unique, keine Sprache druckts aus. Was ſoll
man von dem denken, der in die Gobelins geht, und
das alles ſuͤndliche, eitle Pracht nennt, oder mit der ſtum-
pfeſten Seele von der Welt ſein Sapientis eſt nil
mirari
daher gaͤhnt? Hierauf machte ich einen Be-
ſuch bei

Madame Chenier. Wiederum eine merkwuͤrdige
Erſcheinung. Eine Griechin mitten in Paris, von

Konſtan-
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[154/0178] her nicht waren; — das alles und noch viel mehr, was ich, nicht eingeweiht in Kunſtſachen, nicht entdecken, nicht ſagen kan, iſt da zu ſehen, und ein Narr iſt der, ders ſehen kan, und nicht ſehen mag. Es ſtehen die Namen Audran und Cozette und die Jahrzahlen 1740. 1760. 1771. daran, und ich denke, die groſſen Maͤnner werden des Andenkens eben ſo werth ſeyn, als Praxiteles und Apelles. Wer ein junges Genie weis, das Anlage zur Malerei und Stickerei hat, und er ſchickt es nicht hier her, daß ers einſaugt, wie der Saͤugling Milch, und nachahmt, ſo iſts wahrlich Diebſtahl am Menſchenge- ſchlecht. Faͤngt er da nicht Feuer, ſo hat ihn Mutter Natur nicht zum Maler beſtimmt. Alle Woche ein- mahl moͤcht’ ich dahin ſitzen, und vor jedem Stuͤck Stun- denlang weilen, und ſo fort ruͤcken, und immer wieder neue, erſt uͤberſehene Schoͤnheiten entdecken. Schwatz mir einer lang in der Aeſthetik vom Empfinden des Schoͤ- nen vor. Sehen, ſehen muß ers, Regeln brauchen wir nicht viel. Es iſt eine Tapete da, wo Angelica und Medor ſich mit einander verſprechen. Ha, ſo ſchoͤn koͤmts gewis in der Natur nicht oft vor. Medor liegt im Kuͤraß als Soldat vor ihr, Liebe thront im Auge, und ſie, — o wie herrlich iſt alles, — der Arm ſo zier- lich aufgehoben, ihr Aug, Mund, Stirn, nein, nein, es iſt unique, keine Sprache druckts aus. Was ſoll man von dem denken, der in die Gobelins geht, und das alles ſuͤndliche, eitle Pracht nennt, oder mit der ſtum- pfeſten Seele von der Welt ſein Sapientis eſt nil mirari daher gaͤhnt? Hierauf machte ich einen Be- ſuch bei Madame Chenier. Wiederum eine merkwuͤrdige Erſcheinung. Eine Griechin mitten in Paris, von Konſtan-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/178>, abgerufen am 05.05.2024.