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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Der Verkehr zu Lande.

Von erheblichem Einfluß auf das Verkehrswesen und die technischen
Einrichtungen zur Beförderung von Personen und Sachen war die im
wesentlichen durch Augustus bewirkte Ausgestaltung des römischen
Postwesens. Man unterschied zweierlei Formen der römischen Staats-
post, nämlich den cursus celer (die Schnellpost) und den cursus clavularis
(die Frachtpost); dem entsprechend diente die leichte zweirädrige rheda dem
Schnelldienste und für den gewöhnlichen Personendienst das carpentum.
Zur Bewältigung der Frachtverkehrs verwendete man die clavularia
Leiterwagen.

Das zur Personenbeförderung dienende carpentum war bereits
mit einem die Insassen gegen die Unbilden der Witterung schützenden
Dache versehen. Nach dieser Richtung ist die später in Deutschland
benutzte Art von Reisewagen als ein erheblicher Rückschritt zu betrachten.
So bediente sich Karl der Große, wenn er einmal ausnahmsweise eine
Reise nicht zu Pferde zurücklegte, eines einfachen, offenen Karrens.
Primitiv wie die Wege, so waren auch die Wagen des Mittelalters.
Nur Frauen und Geistliche, welche übrigens ebenfalls meist das Pferd
oder den Esel bestiegen, bedienten sich des Wagens. Es währte bis
in das fünfzehnte Jahrhundert hinein, ehe man wieder dazu überging,
die Wagen etwas komfortabler einzurichten. Stets aber war bei der
mangelhaften Beschaffenheit der Wege eine solche Reise nichts weniger
als ein Genuß. Einer der bekanntesten Reiseunfälle, welche aus jener
Zeit überliefert wurden, ist derjenige, welcher den Papst Johannes
auf seiner Reise zum Konstanzer Konzil am Arlberg betraf. Hier fiel
auf dem durch Schnee unpassierbar gewordenen Wege plötzlich der
päpstliche Wagen um, so daß Johannes in die unwilligen Worte aus-
brach: "Jaceo hic in nomine diaboli." Nebenstehende Fig. 403
stellt diese Scene nach einem im Jahre 1536 zu Augsburg erschienenen
Werke Ulrich Reichenthals: "Das Koncilium, so zu Konstanz gehalten
ist worden" dar. Was uns dieses ziemlich drastisch gehaltene Bildchen
besonders interessant macht, das ist der Umstand, daß der Künstler
auf demselben das Untergestell des Wagens mit größter Gewissen-
haftigkeit abgebildet hat. Wir sehen hieraus zunächst, daß die Achse
vierkantig gestaltet war, und daß die Räder auf derselben sich drehten
und durch Vorsteckstifte gehalten wurden. Des weiteren ersehen wir,
daß die Deichsel an der Vorderachse befestigt war und sich mit dieser
um einen an dem Wagen angebrachten Stift drehen konnte. Was
wir aber bei einem weiteren Vergleiche mit den modernen Personen-
fahrzeugen an diesem päpstlichen Wagen ganz besonders vermissen,
das ist die jetzt schon seit langem allgemein eingeführte elastische Auf-
hängung des Wagenkastens. Fürwahr es gehörte das eiserne Nerven-
system unserer Vorfahren dazu, um in einem solchen schwerfälligen
Fahrzeuge sämtliche Stöße und Schwankungen, die der entsetzliche
Zustand der grundlosen Wege verursachte, ungemildert mit dem eigenen
Körper aufzufangen. Es war als ein ganz gewaltiger Fortschritt zu

Der Verkehr zu Lande.

Von erheblichem Einfluß auf das Verkehrsweſen und die techniſchen
Einrichtungen zur Beförderung von Perſonen und Sachen war die im
weſentlichen durch Auguſtus bewirkte Ausgeſtaltung des römiſchen
Poſtweſens. Man unterſchied zweierlei Formen der römiſchen Staats-
poſt, nämlich den cursus celer (die Schnellpoſt) und den cursus clavularis
(die Frachtpoſt); dem entſprechend diente die leichte zweirädrige rheda dem
Schnelldienſte und für den gewöhnlichen Perſonendienſt das carpentum.
Zur Bewältigung der Frachtverkehrs verwendete man die clavularia
Leiterwagen.

Das zur Perſonenbeförderung dienende carpentum war bereits
mit einem die Inſaſſen gegen die Unbilden der Witterung ſchützenden
Dache verſehen. Nach dieſer Richtung iſt die ſpäter in Deutſchland
benutzte Art von Reiſewagen als ein erheblicher Rückſchritt zu betrachten.
So bediente ſich Karl der Große, wenn er einmal ausnahmsweiſe eine
Reiſe nicht zu Pferde zurücklegte, eines einfachen, offenen Karrens.
Primitiv wie die Wege, ſo waren auch die Wagen des Mittelalters.
Nur Frauen und Geiſtliche, welche übrigens ebenfalls meiſt das Pferd
oder den Eſel beſtiegen, bedienten ſich des Wagens. Es währte bis
in das fünfzehnte Jahrhundert hinein, ehe man wieder dazu überging,
die Wagen etwas komfortabler einzurichten. Stets aber war bei der
mangelhaften Beſchaffenheit der Wege eine ſolche Reiſe nichts weniger
als ein Genuß. Einer der bekannteſten Reiſeunfälle, welche aus jener
Zeit überliefert wurden, iſt derjenige, welcher den Papſt Johannes
auf ſeiner Reiſe zum Konſtanzer Konzil am Arlberg betraf. Hier fiel
auf dem durch Schnee unpaſſierbar gewordenen Wege plötzlich der
päpſtliche Wagen um, ſo daß Johannes in die unwilligen Worte aus-
brach: „Jaceo hic in nomine diaboli.“ Nebenſtehende Fig. 403
ſtellt dieſe Scene nach einem im Jahre 1536 zu Augsburg erſchienenen
Werke Ulrich Reichenthals: „Das Koncilium, ſo zu Konſtanz gehalten
iſt worden“ dar. Was uns dieſes ziemlich draſtiſch gehaltene Bildchen
beſonders intereſſant macht, das iſt der Umſtand, daß der Künſtler
auf demſelben das Untergeſtell des Wagens mit größter Gewiſſen-
haftigkeit abgebildet hat. Wir ſehen hieraus zunächſt, daß die Achſe
vierkantig geſtaltet war, und daß die Räder auf derſelben ſich drehten
und durch Vorſteckſtifte gehalten wurden. Des weiteren erſehen wir,
daß die Deichſel an der Vorderachſe befeſtigt war und ſich mit dieſer
um einen an dem Wagen angebrachten Stift drehen konnte. Was
wir aber bei einem weiteren Vergleiche mit den modernen Perſonen-
fahrzeugen an dieſem päpſtlichen Wagen ganz beſonders vermiſſen,
das iſt die jetzt ſchon ſeit langem allgemein eingeführte elaſtiſche Auf-
hängung des Wagenkaſtens. Fürwahr es gehörte das eiſerne Nerven-
ſyſtem unſerer Vorfahren dazu, um in einem ſolchen ſchwerfälligen
Fahrzeuge ſämtliche Stöße und Schwankungen, die der entſetzliche
Zuſtand der grundloſen Wege verurſachte, ungemildert mit dem eigenen
Körper aufzufangen. Es war als ein ganz gewaltiger Fortſchritt zu

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[726/0744] Der Verkehr zu Lande. Von erheblichem Einfluß auf das Verkehrsweſen und die techniſchen Einrichtungen zur Beförderung von Perſonen und Sachen war die im weſentlichen durch Auguſtus bewirkte Ausgeſtaltung des römiſchen Poſtweſens. Man unterſchied zweierlei Formen der römiſchen Staats- poſt, nämlich den cursus celer (die Schnellpoſt) und den cursus clavularis (die Frachtpoſt); dem entſprechend diente die leichte zweirädrige rheda dem Schnelldienſte und für den gewöhnlichen Perſonendienſt das carpentum. Zur Bewältigung der Frachtverkehrs verwendete man die clavularia Leiterwagen. Das zur Perſonenbeförderung dienende carpentum war bereits mit einem die Inſaſſen gegen die Unbilden der Witterung ſchützenden Dache verſehen. Nach dieſer Richtung iſt die ſpäter in Deutſchland benutzte Art von Reiſewagen als ein erheblicher Rückſchritt zu betrachten. So bediente ſich Karl der Große, wenn er einmal ausnahmsweiſe eine Reiſe nicht zu Pferde zurücklegte, eines einfachen, offenen Karrens. Primitiv wie die Wege, ſo waren auch die Wagen des Mittelalters. Nur Frauen und Geiſtliche, welche übrigens ebenfalls meiſt das Pferd oder den Eſel beſtiegen, bedienten ſich des Wagens. Es währte bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein, ehe man wieder dazu überging, die Wagen etwas komfortabler einzurichten. Stets aber war bei der mangelhaften Beſchaffenheit der Wege eine ſolche Reiſe nichts weniger als ein Genuß. Einer der bekannteſten Reiſeunfälle, welche aus jener Zeit überliefert wurden, iſt derjenige, welcher den Papſt Johannes auf ſeiner Reiſe zum Konſtanzer Konzil am Arlberg betraf. Hier fiel auf dem durch Schnee unpaſſierbar gewordenen Wege plötzlich der päpſtliche Wagen um, ſo daß Johannes in die unwilligen Worte aus- brach: „Jaceo hic in nomine diaboli.“ Nebenſtehende Fig. 403 ſtellt dieſe Scene nach einem im Jahre 1536 zu Augsburg erſchienenen Werke Ulrich Reichenthals: „Das Koncilium, ſo zu Konſtanz gehalten iſt worden“ dar. Was uns dieſes ziemlich draſtiſch gehaltene Bildchen beſonders intereſſant macht, das iſt der Umſtand, daß der Künſtler auf demſelben das Untergeſtell des Wagens mit größter Gewiſſen- haftigkeit abgebildet hat. Wir ſehen hieraus zunächſt, daß die Achſe vierkantig geſtaltet war, und daß die Räder auf derſelben ſich drehten und durch Vorſteckſtifte gehalten wurden. Des weiteren erſehen wir, daß die Deichſel an der Vorderachſe befeſtigt war und ſich mit dieſer um einen an dem Wagen angebrachten Stift drehen konnte. Was wir aber bei einem weiteren Vergleiche mit den modernen Perſonen- fahrzeugen an dieſem päpſtlichen Wagen ganz beſonders vermiſſen, das iſt die jetzt ſchon ſeit langem allgemein eingeführte elaſtiſche Auf- hängung des Wagenkaſtens. Fürwahr es gehörte das eiſerne Nerven- ſyſtem unſerer Vorfahren dazu, um in einem ſolchen ſchwerfälligen Fahrzeuge ſämtliche Stöße und Schwankungen, die der entſetzliche Zuſtand der grundloſen Wege verurſachte, ungemildert mit dem eigenen Körper aufzufangen. Es war als ein ganz gewaltiger Fortſchritt zu

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 726. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/744>, abgerufen am 23.11.2024.