Für diese Auffassung spricht auch die Thatsache, daß Pulver schon durch einfache Entzündung explodiert, während diese nicht ausreicht, die brisanten Sprengstoffe zur Explosion zu bringen; sie bewirkt eben nur eine Verbrennung. Um diese Körper zu "detonieren", ist eine stärkere Erschütterung, der "Initialstoß" nötig, welcher am besten mittels eines anderen brisanten Sprengkörpers, am besten des Knallquecksilbers, geführt wird. Nur auf diese Weise ist der Zerfall der ruhenden Moleküle zu bewirken.
Die Schießwolle -- wie überhaupt alle anderen brisanten Spreng- körper, mit alleiniger Ausnahme des Knallquecksilbers -- ist ein Nitrierungsprodukt, d. h. das salpetersaure Salz einer organischen Ver- bindung, in diesem Falle der Cellulose, aus der sich die Baumwolle zusammensetzt. Nun ist dem Chemiker bekannt, daß bei der Ein- wirkung einer Säure auf eine Base -- welche letztere in diesem Falle die Cellulose vorstellt -- neben dem Salz auch Wasser gebildet wird. Es ist dies von Wichtigkeit für die Herstellung der Schießwolle. Beim Zusammentreffen von Salpetersäure mit Cellulose bilden sich nämlich nicht weniger als sechs verschiedene, durch ihren Gehalt an Salpeter- säure von einander abweichende Verbindungen beider Substanzen, von denen nur die säurereichste, das Hexanitrat der Cellulose, ausgiebig explosiv ist. Da dieses aber erfahrungsmäßig nur bei höchster Kon- zentration der angewendeten Salpetersäure entsteht, so kommt es vor allem darauf an, das sich bei dem Prozeß bildende Wasser zu beseitigen. Dies gelingt durch Zufügung von Schwefelsäure, welche das Wasser bindet. Trotzdem ist es unmöglich, ganz reines Hexanitrat zu erhalten; die beste Schießwolle ist immer nur ein Gemenge aller sechs Nitrate und desto wirksamer, je mehr Hexanitrat sie enthält. Zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit hat man zu untersuchen, wie viel Stickstoff die Schieß- wolle enthält. Gute Schießbaumwolle enthält davon 12--13 %; die theoretisch richtige Menge von 14,14 %, welche dem reinen Cellulose- hexanitrat entspricht, wird nie erreicht. Die Nitration muß bei niedriger Temperatur erfolgen und schnell vor sich gehen; im ent- gegengesetzten Falle bilden sich ausschließlich säureärmere Nitrate der Cellulose, die sich durch ihre Löslichkeit in Ätheralkohol von dem explosiven Nitrat unterscheiden; diese Lösung ist unter dem Namen Kollodium bekannt und findet umfassende Anwendung in der Heil- kunde und Photographie. Sie hinterläßt beim Trocknen ein dünnes, zähes Häutchen.
Die Fabrikation der Schießwolle beginnt mit der eingehenden Reinigung der Baumwolle, welche völlig entfettet und durch Maschinen aufs feinste zerkleinert wird. Sie wird dann in ein gut gekühltes Gemisch stärkster Salpetersäure und Schwefelsäure eingetaucht, nach wenigen Minuten herausgezogen, gut ausgedrückt und in Töpfen 24 Stunden sich selbst überlassen. Dann wird sie in Centrifugen ausgeschleudert, schnell in einen großen Bottich mit kaltem Wasser geworfen und sorg-
Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.
Für dieſe Auffaſſung ſpricht auch die Thatſache, daß Pulver ſchon durch einfache Entzündung explodiert, während dieſe nicht ausreicht, die briſanten Sprengſtoffe zur Exploſion zu bringen; ſie bewirkt eben nur eine Verbrennung. Um dieſe Körper zu „detonieren“, iſt eine ſtärkere Erſchütterung, der „Initialſtoß“ nötig, welcher am beſten mittels eines anderen briſanten Sprengkörpers, am beſten des Knallqueckſilbers, geführt wird. Nur auf dieſe Weiſe iſt der Zerfall der ruhenden Moleküle zu bewirken.
Die Schießwolle — wie überhaupt alle anderen briſanten Spreng- körper, mit alleiniger Ausnahme des Knallqueckſilbers — iſt ein Nitrierungsprodukt, d. h. das ſalpeterſaure Salz einer organiſchen Ver- bindung, in dieſem Falle der Celluloſe, aus der ſich die Baumwolle zuſammenſetzt. Nun iſt dem Chemiker bekannt, daß bei der Ein- wirkung einer Säure auf eine Baſe — welche letztere in dieſem Falle die Celluloſe vorſtellt — neben dem Salz auch Waſſer gebildet wird. Es iſt dies von Wichtigkeit für die Herſtellung der Schießwolle. Beim Zuſammentreffen von Salpeterſäure mit Celluloſe bilden ſich nämlich nicht weniger als ſechs verſchiedene, durch ihren Gehalt an Salpeter- ſäure von einander abweichende Verbindungen beider Subſtanzen, von denen nur die ſäurereichſte, das Hexanitrat der Celluloſe, ausgiebig exploſiv iſt. Da dieſes aber erfahrungsmäßig nur bei höchſter Kon- zentration der angewendeten Salpeterſäure entſteht, ſo kommt es vor allem darauf an, das ſich bei dem Prozeß bildende Waſſer zu beſeitigen. Dies gelingt durch Zufügung von Schwefelſäure, welche das Waſſer bindet. Trotzdem iſt es unmöglich, ganz reines Hexanitrat zu erhalten; die beſte Schießwolle iſt immer nur ein Gemenge aller ſechs Nitrate und deſto wirkſamer, je mehr Hexanitrat ſie enthält. Zur Beſtimmung der Leiſtungsfähigkeit hat man zu unterſuchen, wie viel Stickſtoff die Schieß- wolle enthält. Gute Schießbaumwolle enthält davon 12—13 %; die theoretiſch richtige Menge von 14,14 %, welche dem reinen Celluloſe- hexanitrat entſpricht, wird nie erreicht. Die Nitration muß bei niedriger Temperatur erfolgen und ſchnell vor ſich gehen; im ent- gegengeſetzten Falle bilden ſich ausſchließlich ſäureärmere Nitrate der Celluloſe, die ſich durch ihre Löslichkeit in Ätheralkohol von dem exploſiven Nitrat unterſcheiden; dieſe Löſung iſt unter dem Namen Kollodium bekannt und findet umfaſſende Anwendung in der Heil- kunde und Photographie. Sie hinterläßt beim Trocknen ein dünnes, zähes Häutchen.
Die Fabrikation der Schießwolle beginnt mit der eingehenden Reinigung der Baumwolle, welche völlig entfettet und durch Maſchinen aufs feinſte zerkleinert wird. Sie wird dann in ein gut gekühltes Gemiſch ſtärkſter Salpeterſäure und Schwefelſäure eingetaucht, nach wenigen Minuten herausgezogen, gut ausgedrückt und in Töpfen 24 Stunden ſich ſelbſt überlaſſen. Dann wird ſie in Centrifugen ausgeſchleudert, ſchnell in einen großen Bottich mit kaltem Waſſer geworfen und ſorg-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0724"n="706"/><fwplace="top"type="header">Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.</fw><lb/>
Für dieſe Auffaſſung ſpricht auch die Thatſache, daß Pulver ſchon durch<lb/>
einfache Entzündung explodiert, während dieſe nicht ausreicht, die<lb/>
briſanten Sprengſtoffe zur Exploſion zu bringen; ſie bewirkt eben nur<lb/>
eine Verbrennung. Um dieſe Körper zu „detonieren“, iſt eine ſtärkere<lb/>
Erſchütterung, der „Initialſtoß“ nötig, welcher am beſten mittels eines<lb/>
anderen briſanten Sprengkörpers, am beſten des Knallqueckſilbers, geführt<lb/>
wird. Nur auf dieſe Weiſe iſt der Zerfall der ruhenden Moleküle zu<lb/>
bewirken.</p><lb/><p>Die Schießwolle — wie überhaupt alle anderen briſanten Spreng-<lb/>
körper, mit alleiniger Ausnahme des Knallqueckſilbers — iſt ein<lb/>
Nitrierungsprodukt, d. h. das ſalpeterſaure Salz einer organiſchen Ver-<lb/>
bindung, in dieſem Falle der Celluloſe, aus der ſich die Baumwolle<lb/>
zuſammenſetzt. Nun iſt dem Chemiker bekannt, daß bei der Ein-<lb/>
wirkung einer Säure auf eine Baſe — welche letztere in dieſem Falle die<lb/>
Celluloſe vorſtellt — neben dem Salz auch Waſſer gebildet wird. Es<lb/>
iſt dies von Wichtigkeit für die Herſtellung der Schießwolle. Beim<lb/>
Zuſammentreffen von Salpeterſäure mit Celluloſe bilden ſich nämlich<lb/>
nicht weniger als ſechs verſchiedene, durch ihren Gehalt an Salpeter-<lb/>ſäure von einander abweichende Verbindungen beider Subſtanzen, von<lb/>
denen nur die ſäurereichſte, das Hexanitrat der Celluloſe, ausgiebig<lb/>
exploſiv iſt. Da dieſes aber erfahrungsmäßig nur bei höchſter Kon-<lb/>
zentration der angewendeten Salpeterſäure entſteht, ſo kommt es vor<lb/>
allem darauf an, das ſich bei dem Prozeß bildende Waſſer zu beſeitigen.<lb/>
Dies gelingt durch Zufügung von Schwefelſäure, welche das Waſſer<lb/>
bindet. Trotzdem iſt es unmöglich, ganz reines Hexanitrat zu erhalten;<lb/>
die beſte Schießwolle iſt immer nur ein Gemenge aller ſechs Nitrate und<lb/>
deſto wirkſamer, je mehr Hexanitrat ſie enthält. Zur Beſtimmung der<lb/>
Leiſtungsfähigkeit hat man zu unterſuchen, wie viel Stickſtoff die Schieß-<lb/>
wolle enthält. Gute Schießbaumwolle enthält davon 12—13 %; die<lb/>
theoretiſch richtige Menge von 14,14 %, welche dem reinen Celluloſe-<lb/>
hexanitrat entſpricht, wird nie erreicht. Die Nitration muß bei<lb/>
niedriger Temperatur erfolgen und ſchnell vor ſich gehen; im ent-<lb/>
gegengeſetzten Falle bilden ſich ausſchließlich ſäureärmere Nitrate<lb/>
der Celluloſe, die ſich durch ihre Löslichkeit in Ätheralkohol von dem<lb/>
exploſiven Nitrat unterſcheiden; dieſe Löſung iſt unter dem Namen<lb/><hirendition="#g">Kollodium</hi> bekannt und findet umfaſſende Anwendung in der Heil-<lb/>
kunde und Photographie. Sie hinterläßt beim Trocknen ein dünnes,<lb/>
zähes Häutchen.</p><lb/><p>Die Fabrikation der Schießwolle beginnt mit der eingehenden<lb/>
Reinigung der Baumwolle, welche völlig entfettet und durch Maſchinen<lb/>
aufs feinſte zerkleinert wird. Sie wird dann in ein gut gekühltes Gemiſch<lb/>ſtärkſter Salpeterſäure und Schwefelſäure eingetaucht, nach wenigen<lb/>
Minuten herausgezogen, gut ausgedrückt und in Töpfen 24 Stunden<lb/>ſich ſelbſt überlaſſen. Dann wird ſie in Centrifugen ausgeſchleudert,<lb/>ſchnell in einen großen Bottich mit kaltem Waſſer geworfen und ſorg-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[706/0724]
Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.
Für dieſe Auffaſſung ſpricht auch die Thatſache, daß Pulver ſchon durch
einfache Entzündung explodiert, während dieſe nicht ausreicht, die
briſanten Sprengſtoffe zur Exploſion zu bringen; ſie bewirkt eben nur
eine Verbrennung. Um dieſe Körper zu „detonieren“, iſt eine ſtärkere
Erſchütterung, der „Initialſtoß“ nötig, welcher am beſten mittels eines
anderen briſanten Sprengkörpers, am beſten des Knallqueckſilbers, geführt
wird. Nur auf dieſe Weiſe iſt der Zerfall der ruhenden Moleküle zu
bewirken.
Die Schießwolle — wie überhaupt alle anderen briſanten Spreng-
körper, mit alleiniger Ausnahme des Knallqueckſilbers — iſt ein
Nitrierungsprodukt, d. h. das ſalpeterſaure Salz einer organiſchen Ver-
bindung, in dieſem Falle der Celluloſe, aus der ſich die Baumwolle
zuſammenſetzt. Nun iſt dem Chemiker bekannt, daß bei der Ein-
wirkung einer Säure auf eine Baſe — welche letztere in dieſem Falle die
Celluloſe vorſtellt — neben dem Salz auch Waſſer gebildet wird. Es
iſt dies von Wichtigkeit für die Herſtellung der Schießwolle. Beim
Zuſammentreffen von Salpeterſäure mit Celluloſe bilden ſich nämlich
nicht weniger als ſechs verſchiedene, durch ihren Gehalt an Salpeter-
ſäure von einander abweichende Verbindungen beider Subſtanzen, von
denen nur die ſäurereichſte, das Hexanitrat der Celluloſe, ausgiebig
exploſiv iſt. Da dieſes aber erfahrungsmäßig nur bei höchſter Kon-
zentration der angewendeten Salpeterſäure entſteht, ſo kommt es vor
allem darauf an, das ſich bei dem Prozeß bildende Waſſer zu beſeitigen.
Dies gelingt durch Zufügung von Schwefelſäure, welche das Waſſer
bindet. Trotzdem iſt es unmöglich, ganz reines Hexanitrat zu erhalten;
die beſte Schießwolle iſt immer nur ein Gemenge aller ſechs Nitrate und
deſto wirkſamer, je mehr Hexanitrat ſie enthält. Zur Beſtimmung der
Leiſtungsfähigkeit hat man zu unterſuchen, wie viel Stickſtoff die Schieß-
wolle enthält. Gute Schießbaumwolle enthält davon 12—13 %; die
theoretiſch richtige Menge von 14,14 %, welche dem reinen Celluloſe-
hexanitrat entſpricht, wird nie erreicht. Die Nitration muß bei
niedriger Temperatur erfolgen und ſchnell vor ſich gehen; im ent-
gegengeſetzten Falle bilden ſich ausſchließlich ſäureärmere Nitrate
der Celluloſe, die ſich durch ihre Löslichkeit in Ätheralkohol von dem
exploſiven Nitrat unterſcheiden; dieſe Löſung iſt unter dem Namen
Kollodium bekannt und findet umfaſſende Anwendung in der Heil-
kunde und Photographie. Sie hinterläßt beim Trocknen ein dünnes,
zähes Häutchen.
Die Fabrikation der Schießwolle beginnt mit der eingehenden
Reinigung der Baumwolle, welche völlig entfettet und durch Maſchinen
aufs feinſte zerkleinert wird. Sie wird dann in ein gut gekühltes Gemiſch
ſtärkſter Salpeterſäure und Schwefelſäure eingetaucht, nach wenigen
Minuten herausgezogen, gut ausgedrückt und in Töpfen 24 Stunden
ſich ſelbſt überlaſſen. Dann wird ſie in Centrifugen ausgeſchleudert,
ſchnell in einen großen Bottich mit kaltem Waſſer geworfen und ſorg-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/724>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.