vorgenommen wurden, erwiesen war, daß ihre Sprengkraft die des Pulvers um das Vierfache übersteigt, machte man die energischsten Versuche, sie zu Kriegszwecken zu verwerten. Als aber mehrere fürchter- liche Explosionen trocknender oder schon fertiger Schießwolle, z. B. in Le Bouchet bei Paris und in Faversham zeigten, wie gefährlich der neue Stoff sei, wurde die bis dahin sehr rege Fabrikation wesentlich eingeschränkt. Obgleich Otto in Braunschweig und, wie sich erst neuer- dings herausgestellt hat, W. von Siemens die Darstellungsmethode gleichzeitig mit Böttger verbesserten, gelang es damals doch noch nicht, ein reines Produkt zu erzielen und Folgen davon sind, wie man später mit größter Wahrscheinlichkeit nachwies, jene Explosionen ge- wesen. Der österreichische General von Lenk war der erste, dem es gelang, die Bedingungen festzustellen, welche zur Herstellung einer kon- stanten Schießwolle erfüllt sein müssen; aber eine neue Explosion in der Nähe von Wien, durch welche mehr als 5000 Centner Schießwolle auf einmal vernichtet wurden, setzte auch seinen Versuchen eine Grenze. Von da an benutzte man die Schießwolle, welche nur in kleinen Mengen fabriziert wurde, nur zu Sprengungen. Erst der Engländer Abel war es, welcher dem bis dahin unbrauchbaren Sprengstoff im Anfange der siebziger Jahre wieder Eingang zu Kriegszwecken verschaffte. Dadurch, daß er die Baumwolle außerordentlich rein herstellte und das fertige Produkt im Holländer in einen Brei verwandelte, welcher nachträglich unter starken hydraulischen Pressen fast ganz entwässert wurde, hat er in seiner "komprimierten Schießwolle" einen Sprengstoff geliefert, welcher ebenso ungefährlich bei der Behandlung, Versendung und Auf- bewahrung, wie furchtbar bei der Verwendung zu Sprengungen ist. Die erste deutsche Schießwollfabrik, welche nach Abels Verfahren arbeitete, war die zu Kruppamühle in Oberschlesien.
Die Schießwolle unterscheidet sich in ihrer Wirkung von dem Pulver wesentlich dadurch, daß sie "brisanter" ist. Die Explosion eines frei auf einer steinernen Unterlage ruhenden Prismas komprimierter Schießwolle zermalmt die Unterlage völlig. Man muß also annehmen, daß die Verbrennungsgeschwindigkeit so gewaltig ist, daß die Luft trotz ihrer Elastizität nicht imstande ist, dem Explosionsstoß auszuweichen; derselbe wirkt daher nach allen Seiten und trifft also auch die Unter- lage oder jeden anderen Körper, der den Sprengstoff unmittelbar berührt, mit voller Gewalt. Man nennt explosive Körper von der be- schriebenen Art, die offenbar einen Gegensatz zu dem Pulver bilden, "brisante". Ihre stärkere, auf die ins Ungeheure gesteigerte Schnellig- keit der Verbrennung zurückzuführende Wirkung erklärt sich daraus, daß alle brisanten Sprengstoffe einfache chemische Verbindungen sind, während Sprengkörper von der Art des Pulvers stets, trotz ihrer feinen Zerteilung, nur Gemenge sind. Im ersteren Fall ist das ganze zur Explosion nötige Material in jedem einzelnen Molekül vereinigt, während im letzteren stets getrennte Moleküle auf einander wirken.
Das Buch der Erfindungen. 45
Das Schießpulver.
vorgenommen wurden, erwieſen war, daß ihre Sprengkraft die des Pulvers um das Vierfache überſteigt, machte man die energiſchſten Verſuche, ſie zu Kriegszwecken zu verwerten. Als aber mehrere fürchter- liche Exploſionen trocknender oder ſchon fertiger Schießwolle, z. B. in Le Bouchet bei Paris und in Faverſham zeigten, wie gefährlich der neue Stoff ſei, wurde die bis dahin ſehr rege Fabrikation weſentlich eingeſchränkt. Obgleich Otto in Braunſchweig und, wie ſich erſt neuer- dings herausgeſtellt hat, W. von Siemens die Darſtellungsmethode gleichzeitig mit Böttger verbeſſerten, gelang es damals doch noch nicht, ein reines Produkt zu erzielen und Folgen davon ſind, wie man ſpäter mit größter Wahrſcheinlichkeit nachwies, jene Exploſionen ge- weſen. Der öſterreichiſche General von Lenk war der erſte, dem es gelang, die Bedingungen feſtzuſtellen, welche zur Herſtellung einer kon- ſtanten Schießwolle erfüllt ſein müſſen; aber eine neue Exploſion in der Nähe von Wien, durch welche mehr als 5000 Centner Schießwolle auf einmal vernichtet wurden, ſetzte auch ſeinen Verſuchen eine Grenze. Von da an benutzte man die Schießwolle, welche nur in kleinen Mengen fabriziert wurde, nur zu Sprengungen. Erſt der Engländer Abel war es, welcher dem bis dahin unbrauchbaren Sprengſtoff im Anfange der ſiebziger Jahre wieder Eingang zu Kriegszwecken verſchaffte. Dadurch, daß er die Baumwolle außerordentlich rein herſtellte und das fertige Produkt im Holländer in einen Brei verwandelte, welcher nachträglich unter ſtarken hydrauliſchen Preſſen faſt ganz entwäſſert wurde, hat er in ſeiner „komprimierten Schießwolle“ einen Sprengſtoff geliefert, welcher ebenſo ungefährlich bei der Behandlung, Verſendung und Auf- bewahrung, wie furchtbar bei der Verwendung zu Sprengungen iſt. Die erſte deutſche Schießwollfabrik, welche nach Abels Verfahren arbeitete, war die zu Kruppamühle in Oberſchleſien.
Die Schießwolle unterſcheidet ſich in ihrer Wirkung von dem Pulver weſentlich dadurch, daß ſie „briſanter“ iſt. Die Exploſion eines frei auf einer ſteinernen Unterlage ruhenden Prismas komprimierter Schießwolle zermalmt die Unterlage völlig. Man muß alſo annehmen, daß die Verbrennungsgeſchwindigkeit ſo gewaltig iſt, daß die Luft trotz ihrer Elaſtizität nicht imſtande iſt, dem Exploſionsſtoß auszuweichen; derſelbe wirkt daher nach allen Seiten und trifft alſo auch die Unter- lage oder jeden anderen Körper, der den Sprengſtoff unmittelbar berührt, mit voller Gewalt. Man nennt exploſive Körper von der be- ſchriebenen Art, die offenbar einen Gegenſatz zu dem Pulver bilden, „briſante“. Ihre ſtärkere, auf die ins Ungeheure geſteigerte Schnellig- keit der Verbrennung zurückzuführende Wirkung erklärt ſich daraus, daß alle briſanten Sprengſtoffe einfache chemiſche Verbindungen ſind, während Sprengkörper von der Art des Pulvers ſtets, trotz ihrer feinen Zerteilung, nur Gemenge ſind. Im erſteren Fall iſt das ganze zur Exploſion nötige Material in jedem einzelnen Molekül vereinigt, während im letzteren ſtets getrennte Moleküle auf einander wirken.
Das Buch der Erfindungen. 45
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Das Schießpulver.
vorgenommen wurden, erwieſen war, daß ihre Sprengkraft die des
Pulvers um das Vierfache überſteigt, machte man die energiſchſten
Verſuche, ſie zu Kriegszwecken zu verwerten. Als aber mehrere fürchter-
liche Exploſionen trocknender oder ſchon fertiger Schießwolle, z. B. in
Le Bouchet bei Paris und in Faverſham zeigten, wie gefährlich der
neue Stoff ſei, wurde die bis dahin ſehr rege Fabrikation weſentlich
eingeſchränkt. Obgleich Otto in Braunſchweig und, wie ſich erſt neuer-
dings herausgeſtellt hat, W. von Siemens die Darſtellungsmethode
gleichzeitig mit Böttger verbeſſerten, gelang es damals doch noch nicht,
ein reines Produkt zu erzielen und Folgen davon ſind, wie man
ſpäter mit größter Wahrſcheinlichkeit nachwies, jene Exploſionen ge-
weſen. Der öſterreichiſche General von Lenk war der erſte, dem es
gelang, die Bedingungen feſtzuſtellen, welche zur Herſtellung einer kon-
ſtanten Schießwolle erfüllt ſein müſſen; aber eine neue Exploſion in der
Nähe von Wien, durch welche mehr als 5000 Centner Schießwolle auf
einmal vernichtet wurden, ſetzte auch ſeinen Verſuchen eine Grenze. Von
da an benutzte man die Schießwolle, welche nur in kleinen Mengen
fabriziert wurde, nur zu Sprengungen. Erſt der Engländer Abel war
es, welcher dem bis dahin unbrauchbaren Sprengſtoff im Anfange der
ſiebziger Jahre wieder Eingang zu Kriegszwecken verſchaffte. Dadurch,
daß er die Baumwolle außerordentlich rein herſtellte und das fertige
Produkt im Holländer in einen Brei verwandelte, welcher nachträglich
unter ſtarken hydrauliſchen Preſſen faſt ganz entwäſſert wurde, hat er
in ſeiner „komprimierten Schießwolle“ einen Sprengſtoff geliefert,
welcher ebenſo ungefährlich bei der Behandlung, Verſendung und Auf-
bewahrung, wie furchtbar bei der Verwendung zu Sprengungen iſt.
Die erſte deutſche Schießwollfabrik, welche nach Abels Verfahren arbeitete,
war die zu Kruppamühle in Oberſchleſien.
Die Schießwolle unterſcheidet ſich in ihrer Wirkung von dem
Pulver weſentlich dadurch, daß ſie „briſanter“ iſt. Die Exploſion eines
frei auf einer ſteinernen Unterlage ruhenden Prismas komprimierter
Schießwolle zermalmt die Unterlage völlig. Man muß alſo annehmen,
daß die Verbrennungsgeſchwindigkeit ſo gewaltig iſt, daß die Luft trotz
ihrer Elaſtizität nicht imſtande iſt, dem Exploſionsſtoß auszuweichen;
derſelbe wirkt daher nach allen Seiten und trifft alſo auch die Unter-
lage oder jeden anderen Körper, der den Sprengſtoff unmittelbar
berührt, mit voller Gewalt. Man nennt exploſive Körper von der be-
ſchriebenen Art, die offenbar einen Gegenſatz zu dem Pulver bilden,
„briſante“. Ihre ſtärkere, auf die ins Ungeheure geſteigerte Schnellig-
keit der Verbrennung zurückzuführende Wirkung erklärt ſich daraus,
daß alle briſanten Sprengſtoffe einfache chemiſche Verbindungen ſind,
während Sprengkörper von der Art des Pulvers ſtets, trotz ihrer feinen
Zerteilung, nur Gemenge ſind. Im erſteren Fall iſt das ganze zur
Exploſion nötige Material in jedem einzelnen Molekül vereinigt,
während im letzteren ſtets getrennte Moleküle auf einander wirken.
Das Buch der Erfindungen. 45
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/723>, abgerufen am 23.11.2024.
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