dem ersten Gedanken, und laesst sich nur ver- fauhren, diesem ersten Gedanken einen Augen- blick nachzuhaengen, so sind nachher alle Mit- tel umsonst. Und in dieser Lage hat meine Sinn- lichkeit so gar selbst oft gegen Vernunft und Religion gestritten, und Vernunft und Religi- on besiegt, wenn ich diesen Ausdruck brau- chen dürfte. Sobald man der Einbildungs- kraft nur einen Augenblick freyen Lauf laesst, und sie nicht gleich bey dem ersten Gedanken bezwingt: so ist nachher faur Vor- stellungen der Vernunft und Religion alles verloren, weil der Verstand, umnebelt von den Gauckeleien der Phantasie, nicht mehr faehig ist, ihnen Gehör zu geben. Ich habe in Stunden solcher Versuchung, wo ich beim ersten Schritt nicht auf meiner Hut war, oft sodann alles zu Hülfe gerufen, wovon ich Rettung erwarten konnte. Meinem Verstand allein trauete ich in solchen Stunden der Lei- denschaft nicht mal, dass er getreu genug seyn würde, mir alles zu sagen, was er in ruhigern Stunden wusste. Ich nahm Bibel, Gesangbuch u. a. Bücher, las allen Segen der Keuschheit, alle Flüche der Unkeuschheit; Gottes Allgegenwart, jenen Tag der endli-
chen
dem erſten Gedanken, und læſst ſich nur ver- fûhren, dieſem erſten Gedanken einen Augen- blick nachzuhængen, ſo ſind nachher alle Mit- tel umſonſt. Und in dieſer Lage hat meine Sinn- lichkeit ſo gar ſelbſt oft gegen Vernunft und Religion geſtritten, und Vernunft und Religi- on beſiegt, wenn ich dieſen Ausdruck brau- chen dürfte. Sobald man der Einbildungs- kraft nur einen Augenblick freyen Lauf læſst, und ſie nicht gleich bey dem erſten Gedanken bezwingt: ſo iſt nachher fûr Vor- ſtellungen der Vernunft und Religion alles verloren, weil der Verſtand, umnebelt von den Gauckeleien der Phantaſie, nicht mehr fæhig iſt, ihnen Gehör zu geben. Ich habe in Stunden ſolcher Verſuchung, wo ich beim erſten Schritt nicht auf meiner Hut war, oft ſodann alles zu Hülfe gerufen, wovon ich Rettung erwarten konnte. Meinem Verſtand allein trauete ich in ſolchen Stunden der Lei- denſchaft nicht mal, daſs er getreu genug ſeyn würde, mir alles zu ſagen, was er in ruhigern Stunden wuſste. Ich nahm Bibel, Geſangbuch u. a. Bücher, las allen Segen der Keuſchheit, alle Flüche der Unkeuſchheit; Gottes Allgegenwart, jenen Tag der endli-
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dem erſten Gedanken, und læſst ſich nur ver-
fûhren, dieſem erſten Gedanken einen Augen-
blick nachzuhængen, ſo ſind nachher alle Mit-
tel umſonſt. Und in dieſer Lage hat meine Sinn-
lichkeit ſo gar ſelbſt oft gegen Vernunft und
Religion geſtritten, und Vernunft und Religi-
on beſiegt, wenn ich dieſen Ausdruck brau-
chen dürfte. Sobald man der Einbildungs-
kraft nur einen Augenblick freyen Lauf
læſst, und ſie nicht gleich bey dem erſten
Gedanken bezwingt: ſo iſt nachher fûr Vor-
ſtellungen der Vernunft und Religion alles
verloren, weil der Verſtand, umnebelt von
den Gauckeleien der Phantaſie, nicht mehr
fæhig iſt, ihnen Gehör zu geben. Ich habe
in Stunden ſolcher Verſuchung, wo ich beim
erſten Schritt nicht auf meiner Hut war, oft
ſodann alles zu Hülfe gerufen, wovon ich
Rettung erwarten konnte. Meinem Verſtand
allein trauete ich in ſolchen Stunden der Lei-
denſchaft nicht mal, daſs er getreu genug
ſeyn würde, mir alles zu ſagen, was er in
ruhigern Stunden wuſste. Ich nahm Bibel,
Geſangbuch u. a. Bücher, las allen Segen der
Keuſchheit, alle Flüche der Unkeuſchheit;
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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/46>, abgerufen am 24.11.2024.
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