Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

ins Grab wird ihnen meine Dankbarkeit nach-
folgen) setzten ohnstreitig voraus, dass in die-
sem Fall, so wie in vielen andern, Praxis oh-
ne Theorie nicht möglich waere. Ohne mir
also eigentlich zu sagen, worinnen mein Ver-
brechen bestund, fragten sie mich bloss, ob
ich mit dem Kleinen Unzucht getrieben haet-
te. Stellen Sie sich einen Menschen vor, der
in drittehalb Jahren fast kein unscheel Wort
von seinen Lehrern gehört, noch weniger
auch nur die kleinste von allen Schulstrafen
erfahren hatte -- dann auf einmal hingestellt
vor 5 Maenner, die er verehrt, liebt, aber auch
fürchtet, einen Menschen, der, ohne vorher
zu wissen, warum er vorgefordert wird, auf
eine Beschuldigung antworten sollte, von der
er nichts weiter veistund, als dass der Nahme
Unzucht ein grosses Laster bedeutete: und sa-
gen Sie, wars möglich, dass er in seiner Fas-
sung bleiben konnte? Ich war halb todt vor
Schrecken, aber dennoch sagte mir mein Herz
gleich, dass meine naechtlichen Sünden dar-
unter verstanden waeren, und anstatt zu fra-
gen, was Unzucht waere? gestand ich ein Ver-
brechen ein, das ich begangen hatte, ohne
zu wissen, dass es diesen Namen trug. Meine

Lehrer

ins Grab wird ihnen meine Dankbarkeit nach-
folgen) ſetzten ohnſtreitig voraus, daſs in die-
ſem Fall, ſo wie in vielen andern, Praxis oh-
ne Theorie nicht möglich wære. Ohne mir
alſo eigentlich zu ſagen, worinnen mein Ver-
brechen beſtund, fragten ſie mich bloſs, ob
ich mit dem Kleinen Unzucht getrieben hæt-
te. Stellen Sie ſich einen Menſchen vor, der
in drittehalb Jahren faſt kein unſcheel Wort
von ſeinen Lehrern gehört, noch weniger
auch nur die kleinſte von allen Schulſtrafen
erfahren hatte — dann auf einmal hingeſtellt
vor 5 Mænner, die er verehrt, liebt, aber auch
fürchtet, einen Menſchen, der, ohne vorher
zu wiſſen, warum er vorgefordert wird, auf
eine Beſchuldigung antworten ſollte, von der
er nichts weiter veiſtund, als daſs der Nahme
Unzucht ein groſses Laſter bedeutete: und ſa-
gen Sie, wars möglich, daſs er in ſeiner Faſ-
ſung bleiben konnte? Ich war halb todt vor
Schrecken, aber dennoch ſagte mir mein Herz
gleich, daſs meine næchtlichen Sünden dar-
unter verſtanden wæren, und anſtatt zu fra-
gen, was Unzucht wære? geſtand ich ein Ver-
brechen ein, das ich begangen hatte, ohne
zu wiſſen, daſs es dieſen Namen trug. Meine

Lehrer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0298" n="288"/>
ins Grab wird ihnen meine Dankbarkeit nach-<lb/>
folgen) &#x017F;etzten ohn&#x017F;treitig voraus, da&#x017F;s in die-<lb/>
&#x017F;em Fall, &#x017F;o wie in vielen andern, Praxis oh-<lb/>
ne Theorie nicht möglich wære. Ohne mir<lb/>
al&#x017F;o eigentlich zu &#x017F;agen, worinnen mein Ver-<lb/>
brechen be&#x017F;tund, fragten &#x017F;ie mich blo&#x017F;s, ob<lb/>
ich mit dem Kleinen Unzucht getrieben hæt-<lb/>
te. Stellen Sie &#x017F;ich einen Men&#x017F;chen vor, der<lb/>
in drittehalb Jahren fa&#x017F;t kein un&#x017F;cheel Wort<lb/>
von &#x017F;einen Lehrern gehört, noch weniger<lb/>
auch nur die klein&#x017F;te von allen Schul&#x017F;trafen<lb/>
erfahren hatte &#x2014; dann auf einmal hinge&#x017F;tellt<lb/>
vor 5 Mænner, die er verehrt, liebt, aber auch<lb/>
fürchtet, einen Men&#x017F;chen, der, ohne vorher<lb/>
zu wi&#x017F;&#x017F;en, warum er vorgefordert wird, auf<lb/>
eine Be&#x017F;chuldigung antworten &#x017F;ollte, von der<lb/>
er nichts weiter vei&#x017F;tund, als da&#x017F;s der Nahme<lb/>
Unzucht ein gro&#x017F;ses La&#x017F;ter bedeutete: und &#x017F;a-<lb/>
gen Sie, wars möglich, da&#x017F;s er in &#x017F;einer <hi rendition="#i">F</hi>a&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung bleiben konnte? Ich war halb todt vor<lb/>
Schrecken, aber dennoch &#x017F;agte mir mein Herz<lb/>
gleich, da&#x017F;s meine næchtlichen Sünden dar-<lb/>
unter ver&#x017F;tanden wæren, und an&#x017F;tatt zu fra-<lb/>
gen, was Unzucht wære? ge&#x017F;tand ich ein Ver-<lb/>
brechen ein, das ich begangen hatte, ohne<lb/>
zu wi&#x017F;&#x017F;en, da&#x017F;s es die&#x017F;en Namen trug. Meine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Lehrer</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0298] ins Grab wird ihnen meine Dankbarkeit nach- folgen) ſetzten ohnſtreitig voraus, daſs in die- ſem Fall, ſo wie in vielen andern, Praxis oh- ne Theorie nicht möglich wære. Ohne mir alſo eigentlich zu ſagen, worinnen mein Ver- brechen beſtund, fragten ſie mich bloſs, ob ich mit dem Kleinen Unzucht getrieben hæt- te. Stellen Sie ſich einen Menſchen vor, der in drittehalb Jahren faſt kein unſcheel Wort von ſeinen Lehrern gehört, noch weniger auch nur die kleinſte von allen Schulſtrafen erfahren hatte — dann auf einmal hingeſtellt vor 5 Mænner, die er verehrt, liebt, aber auch fürchtet, einen Menſchen, der, ohne vorher zu wiſſen, warum er vorgefordert wird, auf eine Beſchuldigung antworten ſollte, von der er nichts weiter veiſtund, als daſs der Nahme Unzucht ein groſses Laſter bedeutete: und ſa- gen Sie, wars möglich, daſs er in ſeiner Faſ- ſung bleiben konnte? Ich war halb todt vor Schrecken, aber dennoch ſagte mir mein Herz gleich, daſs meine næchtlichen Sünden dar- unter verſtanden wæren, und anſtatt zu fra- gen, was Unzucht wære? geſtand ich ein Ver- brechen ein, das ich begangen hatte, ohne zu wiſſen, daſs es dieſen Namen trug. Meine Lehrer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/298
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/298>, abgerufen am 09.05.2024.