Weisheit für gut findet, das wird ihm wohl kein Werk seiner Hände streitig machen.
Es ist also nur noch ein Gang übrig, den die Frage nehmen kann, dieser näm- lich, ob nicht etwa der Schöpfer dem Geschöpfe das Recht, seine Stelle zu ver- lassen, aus weisem Wohlwollen überlas- sen habe -- wenigst im heissesten Lei- densdrange wirklich überlasse.
Wenn die Vernunft (nicht Leiden- schaft, nicht das Herz, nicht Mode,) un- tersuchen darf, so wird sie gestehen müssen, daß viele Gründe zum Nein, keiner zum Ja neigen. Die ganze menschliche Natur, dieser große, mit dem Finger Gottes ge- schriebene Codex aller natürlichen Rechte, Befugnisse etc. kann keine Spur von diesem überlassenen Rechte aufweisen. Laßt uns Schritt vor Schritt gehen.
1. Die Natur des Menschen, in so ferne sie die Natur eines lebendigen Wesen ist, kann das allgemeine Gesetz (b),
das
(b) Erster Grund.
B 2
Gruͤnde wider den Selbſtmord.
Weisheit fuͤr gut findet, das wird ihm wohl kein Werk ſeiner Haͤnde ſtreitig machen.
Es iſt alſo nur noch ein Gang uͤbrig, den die Frage nehmen kann, dieſer naͤm- lich, ob nicht etwa der Schoͤpfer dem Geſchoͤpfe das Recht, ſeine Stelle zu ver- laſſen, aus weiſem Wohlwollen uͤberlaſ- ſen habe — wenigſt im heiſſeſten Lei- densdrange wirklich uͤberlaſſe.
Wenn die Vernunft (nicht Leiden- ſchaft, nicht das Herz, nicht Mode,) un- terſuchen darf, ſo wird ſie geſtehen muͤſſen, daß viele Gruͤnde zum Nein, keiner zum Ja neigen. Die ganze menſchliche Natur, dieſer große, mit dem Finger Gottes ge- ſchriebene Codex aller natuͤrlichen Rechte, Befugniſſe ꝛc. kann keine Spur von dieſem uͤberlaſſenen Rechte aufweiſen. Laßt uns Schritt vor Schritt gehen.
1. Die Natur des Menſchen, in ſo ferne ſie die Natur eines lebendigen Weſen iſt, kann das allgemeine Geſetz (b),
das
(b) Erſter Grund.
B 2
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Gruͤnde wider den Selbſtmord.
Weisheit fuͤr gut findet, das wird ihm wohl
kein Werk ſeiner Haͤnde ſtreitig machen.
Es iſt alſo nur noch ein Gang uͤbrig,
den die Frage nehmen kann, dieſer naͤm-
lich, ob nicht etwa der Schoͤpfer dem
Geſchoͤpfe das Recht, ſeine Stelle zu ver-
laſſen, aus weiſem Wohlwollen uͤberlaſ-
ſen habe — wenigſt im heiſſeſten Lei-
densdrange wirklich uͤberlaſſe.
Wenn die Vernunft (nicht Leiden-
ſchaft, nicht das Herz, nicht Mode,) un-
terſuchen darf, ſo wird ſie geſtehen muͤſſen,
daß viele Gruͤnde zum Nein, keiner zum
Ja neigen. Die ganze menſchliche Natur,
dieſer große, mit dem Finger Gottes ge-
ſchriebene Codex aller natuͤrlichen Rechte,
Befugniſſe ꝛc. kann keine Spur von dieſem
uͤberlaſſenen Rechte aufweiſen. Laßt uns
Schritt vor Schritt gehen.
1. Die Natur des Menſchen, in
ſo ferne ſie die Natur eines lebendigen
Weſen iſt, kann das allgemeine Geſetz (b),
das
(b) Erſter Grund.
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/31>, abgerufen am 16.07.2024.
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