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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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mehr arbeiten kann, der Grossmuth der arbeitenden
Brüder übergiebt (II. Thess. III. 12. I. Tim. V. 16.); da
sie überall Gerechtigkeit gegen die, die einen gerechten
Anspruch auf unsre Güter haben, und gegen alle Liebe
vorschreibt: so legt sie den festesten Grund zu einer
glücklichen Familie. Die Gewalt des Mannes hat
nichts Drückendes mehr; denn es ist die Herrschaft der
Liebe, und einer solchen Liebe, wie Christus gegen
Christen beweiset. Der Gehorsam des Weibes hat
nichts Lästiges mehr; denn es ist der Gehorsam der
Liebe, und einer solchen Liebe, wie die Christen ge-
gen Christus beweisen. Die Aeltern bewahren ihre
Kinder, als Unterpfänder der göttlichen Liebe, denen
sie die zärtlichste Aufsicht schuldig sind; die Kinder
ehren in den Aeltern nicht nur ihre Wohlthäter, son-
dern den Vater ihrer Wohlthäter -- und den ihren;
die Hausgenossen dienen nicht um des Soldes, sondern
um dessen willen, der für sie Knechtsgestalt annahm,
und die Herrschaften beweisen an ihren Hausgenossen,
dass sie sichs zur ersten Ehre rechnen, Knechte Jesu
zu seyn, und ihre Hausgenossen als Miterben einer bes-
sern Welt zu achten -- -- Diess Ideal ist zu schön und
die Sitte der Welt zu abstechend, als dass ich es ganz
ausmalen darf. Zwar ist das Evangelium nicht Schuld
daran, dass das Ideal fast überall nur ein Ideal ist, und
in so wenigen Familien Porträt wird. Wer wünschte
aber doch nicht, dass es anders wäre? -- Und wer
wird mir diesen Wunsch verargen, zumal da er uns
die Sache selbst nicht geben kann?

Ihre

mehr arbeiten kann, der Groſsmuth der arbeitenden
Brüder übergiebt (II. Theſſ. III. 12. I. Tim. V. 16.); da
ſie überall Gerechtigkeit gegen die, die einen gerechten
Anſpruch auf unſre Güter haben, und gegen alle Liebe
vorſchreibt: ſo legt ſie den feſteſten Grund zu einer
glücklichen Familie. Die Gewalt des Mannes hat
nichts Drückendes mehr; denn es iſt die Herrſchaft der
Liebe, und einer ſolchen Liebe, wie Chriſtus gegen
Chriſten beweiſet. Der Gehorſam des Weibes hat
nichts Läſtiges mehr; denn es iſt der Gehorſam der
Liebe, und einer ſolchen Liebe, wie die Chriſten ge-
gen Chriſtus beweiſen. Die Aeltern bewahren ihre
Kinder, als Unterpfänder der göttlichen Liebe, denen
ſie die zärtlichſte Aufſicht ſchuldig ſind; die Kinder
ehren in den Aeltern nicht nur ihre Wohlthäter, ſon-
dern den Vater ihrer Wohlthäter — und den ihren;
die Hausgenoſſen dienen nicht um des Soldes, ſondern
um deſſen willen, der für ſie Knechtsgeſtalt annahm,
und die Herrſchaften beweiſen an ihren Hausgenoſſen,
daſs ſie ſichs zur erſten Ehre rechnen, Knechte Jeſu
zu ſeyn, und ihre Hausgenoſſen als Miterben einer beſ-
ſern Welt zu achten — — Dieſs Ideal iſt zu ſchön und
die Sitte der Welt zu abſtechend, als daſs ich es ganz
ausmalen darf. Zwar iſt das Evangelium nicht Schuld
daran, daſs das Ideal faſt überall nur ein Ideal iſt, und
in ſo wenigen Familien Porträt wird. Wer wünſchte
aber doch nicht, daſs es anders wäre? — Und wer
wird mir dieſen Wunſch verargen, zumal da er uns
die Sache ſelbſt nicht geben kann?

Ihre
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[95/0109] mehr arbeiten kann, der Groſsmuth der arbeitenden Brüder übergiebt (II. Theſſ. III. 12. I. Tim. V. 16.); da ſie überall Gerechtigkeit gegen die, die einen gerechten Anſpruch auf unſre Güter haben, und gegen alle Liebe vorſchreibt: ſo legt ſie den feſteſten Grund zu einer glücklichen Familie. Die Gewalt des Mannes hat nichts Drückendes mehr; denn es iſt die Herrſchaft der Liebe, und einer ſolchen Liebe, wie Chriſtus gegen Chriſten beweiſet. Der Gehorſam des Weibes hat nichts Läſtiges mehr; denn es iſt der Gehorſam der Liebe, und einer ſolchen Liebe, wie die Chriſten ge- gen Chriſtus beweiſen. Die Aeltern bewahren ihre Kinder, als Unterpfänder der göttlichen Liebe, denen ſie die zärtlichſte Aufſicht ſchuldig ſind; die Kinder ehren in den Aeltern nicht nur ihre Wohlthäter, ſon- dern den Vater ihrer Wohlthäter — und den ihren; die Hausgenoſſen dienen nicht um des Soldes, ſondern um deſſen willen, der für ſie Knechtsgeſtalt annahm, und die Herrſchaften beweiſen an ihren Hausgenoſſen, daſs ſie ſichs zur erſten Ehre rechnen, Knechte Jeſu zu ſeyn, und ihre Hausgenoſſen als Miterben einer beſ- ſern Welt zu achten — — Dieſs Ideal iſt zu ſchön und die Sitte der Welt zu abſtechend, als daſs ich es ganz ausmalen darf. Zwar iſt das Evangelium nicht Schuld daran, daſs das Ideal faſt überall nur ein Ideal iſt, und in ſo wenigen Familien Porträt wird. Wer wünſchte aber doch nicht, daſs es anders wäre? — Und wer wird mir dieſen Wunſch verargen, zumal da er uns die Sache ſelbſt nicht geben kann? Ihre

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/109>, abgerufen am 19.04.2024.