Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Die künstlichen Systeme und die Nomenclatur
rakteristik des Caesalpin'schen Systems also lautet: "Die
Blüthe betrachtete er als die inneren Theile der Pflanze, welche
aus der gesprengten Rinde hervortreten; den Kelch wie eine
dickere aufgesprungene Rinde des Sprosses; die Blumenblätter
wie eine innere dünnere Rinde; die Staubgefäße als die inneren
Fasern des Holzes und das Pistill als das Mark der Pflanze
selbst." Man bemerkt jedoch, daß dieß allerdings nicht ganz
Caesalpin's Meinung war, ebenso gewiß ist aber, daß Linne's
hier wörtlich angeführte Ansicht Caesalpin's Meinung wieder
geben sollte und wenn sie dieß auch nicht genau thut, so ist sie
doch im Princip nicht wesentlich von ihr verschieden, ja man
kann Linne's Auffassung als die im Caesalpin'schen Sinne
konsequentere betrachten. Die Metamorphosenlehre Caesalpin's
tritt aber noch bei anderer Gelegenheit deutlich hervor; es giebt,
sagt er, nicht in allen Blüthen Blumenblätter, Staubgefäße und
Griffel; die Blüthen gehen bei manchen in eine andere Substanz
über, wie bei der Haselnuß, der eßbaren Kastanie und allen
Kätzchenträgern. Das Kätzchen stehe nämlich statt einer Blüthe,
es sei ein länglicher Körper, der aus dem Sitze der Frucht her-
vorgezogen ist (und auf diese Weise erscheinen Früchte ohne Blüthen),
denn die Griffel (stamina) bilden die Längsachse des Kätzchens
(in amenti longitudinem transeunt), die Blumenblätter aber
und Staubgefäße verwandeln sich in die Schuppen des Kätzchens.
Dies Alles zeigt, daß dem Caesalpin der Gedanke einer Me-
tamorphose (für welchen man selbst schon bei Theophrast An-
deutungen findet) sehr geläufig war und gewiß paßte dieser Ge-
danke in seine aristotelische Philosophie vollkommen hinein, während
die von Goethe ausgegangene Metamorphosenlehre im Grunde
ebenfalls auf scholastischen Beinen steht, aber eben deßhalb in
der modernen Naturwissenschaft sich recht fremdartig ausnimmt.
Es wurde schon erwähnt, daß Caesalpin nur die Hülltheile
und Staubgefäße unter dem Namen Blüthe zusammenfaßt und
sie der Fruchtanlage entgegenstellt; daher sagt er, es giebt einige
Pflanzen, bei denen etwas Kätzchenartiges entsteht, ohne jede
Hoffnung auf Frucht; denn sie sind ganz unfruchtbar; diejenigen

Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
rakteriſtik des Caeſalpin'ſchen Syſtems alſo lautet: „Die
Blüthe betrachtete er als die inneren Theile der Pflanze, welche
aus der geſprengten Rinde hervortreten; den Kelch wie eine
dickere aufgeſprungene Rinde des Sproſſes; die Blumenblätter
wie eine innere dünnere Rinde; die Staubgefäße als die inneren
Faſern des Holzes und das Piſtill als das Mark der Pflanze
ſelbſt.“ Man bemerkt jedoch, daß dieß allerdings nicht ganz
Caeſalpin's Meinung war, ebenſo gewiß iſt aber, daß Linné's
hier wörtlich angeführte Anſicht Caeſalpin's Meinung wieder
geben ſollte und wenn ſie dieß auch nicht genau thut, ſo iſt ſie
doch im Princip nicht weſentlich von ihr verſchieden, ja man
kann Linné's Auffaſſung als die im Caeſalpin'ſchen Sinne
konſequentere betrachten. Die Metamorphoſenlehre Caeſalpin's
tritt aber noch bei anderer Gelegenheit deutlich hervor; es giebt,
ſagt er, nicht in allen Blüthen Blumenblätter, Staubgefäße und
Griffel; die Blüthen gehen bei manchen in eine andere Subſtanz
über, wie bei der Haſelnuß, der eßbaren Kaſtanie und allen
Kätzchenträgern. Das Kätzchen ſtehe nämlich ſtatt einer Blüthe,
es ſei ein länglicher Körper, der aus dem Sitze der Frucht her-
vorgezogen iſt (und auf dieſe Weiſe erſcheinen Früchte ohne Blüthen),
denn die Griffel (stamina) bilden die Längsachſe des Kätzchens
(in amenti longitudinem transeunt), die Blumenblätter aber
und Staubgefäße verwandeln ſich in die Schuppen des Kätzchens.
Dies Alles zeigt, daß dem Caeſalpin der Gedanke einer Me-
tamorphoſe (für welchen man ſelbſt ſchon bei Theophraſt An-
deutungen findet) ſehr geläufig war und gewiß paßte dieſer Ge-
danke in ſeine ariſtoteliſche Philoſophie vollkommen hinein, während
die von Goethe ausgegangene Metamorphoſenlehre im Grunde
ebenfalls auf ſcholaſtiſchen Beinen ſteht, aber eben deßhalb in
der modernen Naturwiſſenſchaft ſich recht fremdartig ausnimmt.
Es wurde ſchon erwähnt, daß Caeſalpin nur die Hülltheile
und Staubgefäße unter dem Namen Blüthe zuſammenfaßt und
ſie der Fruchtanlage entgegenſtellt; daher ſagt er, es giebt einige
Pflanzen, bei denen etwas Kätzchenartiges entſteht, ohne jede
Hoffnung auf Frucht; denn ſie ſind ganz unfruchtbar; diejenigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="54"/><fw place="top" type="header">Die kün&#x017F;tlichen Sy&#x017F;teme und die Nomenclatur</fw><lb/>
rakteri&#x017F;tik des <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi>'<hi rendition="#g">&#x017F;chen</hi> Sy&#x017F;tems al&#x017F;o lautet: &#x201E;Die<lb/>
Blüthe betrachtete er als die inneren Theile der Pflanze, welche<lb/>
aus der ge&#x017F;prengten Rinde hervortreten; den Kelch wie eine<lb/>
dickere aufge&#x017F;prungene Rinde des Spro&#x017F;&#x017F;es; die Blumenblätter<lb/>
wie eine innere dünnere Rinde; die Staubgefäße als die inneren<lb/>
Fa&#x017F;ern des Holzes und das Pi&#x017F;till als das Mark der Pflanze<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t.&#x201C; Man bemerkt jedoch, daß dieß allerdings nicht ganz<lb/><hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi>'s Meinung war, eben&#x017F;o gewiß i&#x017F;t aber, daß <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi>'s<lb/>
hier wörtlich angeführte An&#x017F;icht <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi>'s Meinung wieder<lb/>
geben &#x017F;ollte und wenn &#x017F;ie dieß auch nicht genau thut, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
doch im Princip nicht we&#x017F;entlich von ihr ver&#x017F;chieden, ja man<lb/>
kann <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi>'s Auffa&#x017F;&#x017F;ung als die im <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi>'&#x017F;chen Sinne<lb/>
kon&#x017F;equentere betrachten. Die Metamorpho&#x017F;enlehre <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi>'s<lb/>
tritt aber noch bei anderer Gelegenheit deutlich hervor; es giebt,<lb/>
&#x017F;agt er, nicht in allen Blüthen Blumenblätter, Staubgefäße und<lb/>
Griffel; die Blüthen gehen bei manchen in eine andere Sub&#x017F;tanz<lb/>
über, wie bei der Ha&#x017F;elnuß, der eßbaren Ka&#x017F;tanie und allen<lb/>
Kätzchenträgern. Das Kätzchen &#x017F;tehe nämlich &#x017F;tatt einer Blüthe,<lb/>
es &#x017F;ei ein länglicher Körper, der aus dem Sitze der Frucht her-<lb/>
vorgezogen i&#x017F;t (und auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e er&#x017F;cheinen Früchte ohne Blüthen),<lb/>
denn die Griffel (<hi rendition="#aq">stamina</hi>) bilden die Längsach&#x017F;e des Kätzchens<lb/>
(<hi rendition="#aq">in amenti longitudinem transeunt</hi>), die Blumenblätter aber<lb/>
und Staubgefäße verwandeln &#x017F;ich in die Schuppen des Kätzchens.<lb/>
Dies Alles zeigt, daß dem <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi> der Gedanke einer Me-<lb/>
tamorpho&#x017F;e (für welchen man &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon bei <hi rendition="#g">Theophra&#x017F;t</hi> An-<lb/>
deutungen findet) &#x017F;ehr geläufig war und gewiß paßte die&#x017F;er Ge-<lb/>
danke in &#x017F;eine ari&#x017F;toteli&#x017F;che Philo&#x017F;ophie vollkommen hinein, während<lb/>
die von Goethe ausgegangene Metamorpho&#x017F;enlehre im Grunde<lb/>
ebenfalls auf &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;chen Beinen &#x017F;teht, aber eben deßhalb in<lb/>
der modernen Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich recht fremdartig ausnimmt.<lb/>
Es wurde &#x017F;chon erwähnt, daß <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi> nur die Hülltheile<lb/>
und Staubgefäße unter dem Namen Blüthe zu&#x017F;ammenfaßt und<lb/>
&#x017F;ie der Fruchtanlage entgegen&#x017F;tellt; daher &#x017F;agt er, es giebt einige<lb/>
Pflanzen, bei denen etwas Kätzchenartiges ent&#x017F;teht, ohne jede<lb/>
Hoffnung auf Frucht; denn &#x017F;ie &#x017F;ind ganz unfruchtbar; diejenigen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0066] Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur rakteriſtik des Caeſalpin'ſchen Syſtems alſo lautet: „Die Blüthe betrachtete er als die inneren Theile der Pflanze, welche aus der geſprengten Rinde hervortreten; den Kelch wie eine dickere aufgeſprungene Rinde des Sproſſes; die Blumenblätter wie eine innere dünnere Rinde; die Staubgefäße als die inneren Faſern des Holzes und das Piſtill als das Mark der Pflanze ſelbſt.“ Man bemerkt jedoch, daß dieß allerdings nicht ganz Caeſalpin's Meinung war, ebenſo gewiß iſt aber, daß Linné's hier wörtlich angeführte Anſicht Caeſalpin's Meinung wieder geben ſollte und wenn ſie dieß auch nicht genau thut, ſo iſt ſie doch im Princip nicht weſentlich von ihr verſchieden, ja man kann Linné's Auffaſſung als die im Caeſalpin'ſchen Sinne konſequentere betrachten. Die Metamorphoſenlehre Caeſalpin's tritt aber noch bei anderer Gelegenheit deutlich hervor; es giebt, ſagt er, nicht in allen Blüthen Blumenblätter, Staubgefäße und Griffel; die Blüthen gehen bei manchen in eine andere Subſtanz über, wie bei der Haſelnuß, der eßbaren Kaſtanie und allen Kätzchenträgern. Das Kätzchen ſtehe nämlich ſtatt einer Blüthe, es ſei ein länglicher Körper, der aus dem Sitze der Frucht her- vorgezogen iſt (und auf dieſe Weiſe erſcheinen Früchte ohne Blüthen), denn die Griffel (stamina) bilden die Längsachſe des Kätzchens (in amenti longitudinem transeunt), die Blumenblätter aber und Staubgefäße verwandeln ſich in die Schuppen des Kätzchens. Dies Alles zeigt, daß dem Caeſalpin der Gedanke einer Me- tamorphoſe (für welchen man ſelbſt ſchon bei Theophraſt An- deutungen findet) ſehr geläufig war und gewiß paßte dieſer Ge- danke in ſeine ariſtoteliſche Philoſophie vollkommen hinein, während die von Goethe ausgegangene Metamorphoſenlehre im Grunde ebenfalls auf ſcholaſtiſchen Beinen ſteht, aber eben deßhalb in der modernen Naturwiſſenſchaft ſich recht fremdartig ausnimmt. Es wurde ſchon erwähnt, daß Caeſalpin nur die Hülltheile und Staubgefäße unter dem Namen Blüthe zuſammenfaßt und ſie der Fruchtanlage entgegenſtellt; daher ſagt er, es giebt einige Pflanzen, bei denen etwas Kätzchenartiges entſteht, ohne jede Hoffnung auf Frucht; denn ſie ſind ganz unfruchtbar; diejenigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/66
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/66>, abgerufen am 12.05.2024.