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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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der Organe von Caesalpin bis auf Linne.
Uebrigens erscheint die Metamorphosenlehre bei Caesalpin
viel consequenter und nothwendiger als bei den Botanikern des
19. Jahrhunderts vor Darwin; bei ihm fließt diese Lehre
ganz unmittelbar aus den philosophischen Ansichten von der Natur
der Pflanze und erscheint daher bis zu einem gewissen Grade
durchaus verständlich. Als Metamorphosenlehre Caesalpin's
können wir nämlich auch die Annahme betrachten, daß die
Samensubstanz (Embryo und Endosperm) aus dem Mark ent-
springt, weil dieses das Lebensprincip enthält 1); sowie aber das
Mark des Sprosses von Holz und Rinde schützend umgeben ist, so
auch die Samensubstanz von der holzigen Samenschale und von
dem rindenähnlichen Perikarp oder einer dem Perikarp entsprech-
enden Fruchthülle. Nach Caesalpin entspringt daher die ent-
wicklungsfähige Samensubstanz aus dem Mark, die holzige
Samenschale aus dem Holz, das Pericarpium aus der Rinde
des Sprosses. Die Schwierigkeit, die sich für ihn aus dieser
Deutung insofern ergiebt, als seiner Theorie gemäß auch die
Blüthentheile, nämlich Kelch, Corolle und Staubfäden aus den
äußeren Gewebeschichten des Sprosses entspringen müssen, be-
seitigt er mit der Bemerkung (p. 19), daß diese Blüthentheile
entstehen zu einer Zeit, wo das Pericarpium erst der Anlage
nach vorhanden ist, erst nach dem Abfallen jener entwickelt es
sich weiter; auch seien diese Blüthentheile so dünn, daß in dieser
Annahme nichts Wunderbares liege. Wir sehen in dieser Me-
tamorphosenlehre Caesalpin's ohne Zweifel die später von
Linne angenommene Blüthentheorie, wenn auch in etwas anderer
Form. Daß Linne selbst aber die ihm zugeschriebene
Blüthentheorie als Caesalpin's Meinung betrachtet, zeigt sich
in seinen Classes plantarum, wo der dritte Satz in der Cha-

1) Bei Theophrast (Throph. Eresii quae supersunt opera von
Schneider Leipzig 1818; de causis pl. L. V. cap. V.) findet sich die
Angabe, daß nach Zerstörung des Marks der Weinrebe die Trauben keine
Samenkerne enthalten; offenbar deutet dieser Aberglaube auf ein höheres
Alterthum der Ansicht, daß die Samen aus dem Mark entstehen.

der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.
Uebrigens erſcheint die Metamorphoſenlehre bei Caeſalpin
viel conſequenter und nothwendiger als bei den Botanikern des
19. Jahrhunderts vor Darwin; bei ihm fließt dieſe Lehre
ganz unmittelbar aus den philoſophiſchen Anſichten von der Natur
der Pflanze und erſcheint daher bis zu einem gewiſſen Grade
durchaus verſtändlich. Als Metamorphoſenlehre Caeſalpin's
können wir nämlich auch die Annahme betrachten, daß die
Samenſubſtanz (Embryo und Endoſperm) aus dem Mark ent-
ſpringt, weil dieſes das Lebensprincip enthält 1); ſowie aber das
Mark des Sproſſes von Holz und Rinde ſchützend umgeben iſt, ſo
auch die Samenſubſtanz von der holzigen Samenſchale und von
dem rindenähnlichen Perikarp oder einer dem Perikarp entſprech-
enden Fruchthülle. Nach Caeſalpin entſpringt daher die ent-
wicklungsfähige Samenſubſtanz aus dem Mark, die holzige
Samenſchale aus dem Holz, das Pericarpium aus der Rinde
des Sproſſes. Die Schwierigkeit, die ſich für ihn aus dieſer
Deutung inſofern ergiebt, als ſeiner Theorie gemäß auch die
Blüthentheile, nämlich Kelch, Corolle und Staubfäden aus den
äußeren Gewebeſchichten des Sproſſes entſpringen müſſen, be-
ſeitigt er mit der Bemerkung (p. 19), daß dieſe Blüthentheile
entſtehen zu einer Zeit, wo das Pericarpium erſt der Anlage
nach vorhanden iſt, erſt nach dem Abfallen jener entwickelt es
ſich weiter; auch ſeien dieſe Blüthentheile ſo dünn, daß in dieſer
Annahme nichts Wunderbares liege. Wir ſehen in dieſer Me-
tamorphoſenlehre Caeſalpin's ohne Zweifel die ſpäter von
Linné angenommene Blüthentheorie, wenn auch in etwas anderer
Form. Daß Linné ſelbſt aber die ihm zugeſchriebene
Blüthentheorie als Caeſalpin's Meinung betrachtet, zeigt ſich
in ſeinen Classes plantarum, wo der dritte Satz in der Cha-

1) Bei Theophraſt (Throph. Eresii quae supersunt opera von
Schneider Leipzig 1818; de causis pl. L. V. cap. V.) findet ſich die
Angabe, daß nach Zerſtörung des Marks der Weinrebe die Trauben keine
Samenkerne enthalten; offenbar deutet dieſer Aberglaube auf ein höheres
Alterthum der Anſicht, daß die Samen aus dem Mark entſtehen.
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[53/0065] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. Uebrigens erſcheint die Metamorphoſenlehre bei Caeſalpin viel conſequenter und nothwendiger als bei den Botanikern des 19. Jahrhunderts vor Darwin; bei ihm fließt dieſe Lehre ganz unmittelbar aus den philoſophiſchen Anſichten von der Natur der Pflanze und erſcheint daher bis zu einem gewiſſen Grade durchaus verſtändlich. Als Metamorphoſenlehre Caeſalpin's können wir nämlich auch die Annahme betrachten, daß die Samenſubſtanz (Embryo und Endoſperm) aus dem Mark ent- ſpringt, weil dieſes das Lebensprincip enthält 1); ſowie aber das Mark des Sproſſes von Holz und Rinde ſchützend umgeben iſt, ſo auch die Samenſubſtanz von der holzigen Samenſchale und von dem rindenähnlichen Perikarp oder einer dem Perikarp entſprech- enden Fruchthülle. Nach Caeſalpin entſpringt daher die ent- wicklungsfähige Samenſubſtanz aus dem Mark, die holzige Samenſchale aus dem Holz, das Pericarpium aus der Rinde des Sproſſes. Die Schwierigkeit, die ſich für ihn aus dieſer Deutung inſofern ergiebt, als ſeiner Theorie gemäß auch die Blüthentheile, nämlich Kelch, Corolle und Staubfäden aus den äußeren Gewebeſchichten des Sproſſes entſpringen müſſen, be- ſeitigt er mit der Bemerkung (p. 19), daß dieſe Blüthentheile entſtehen zu einer Zeit, wo das Pericarpium erſt der Anlage nach vorhanden iſt, erſt nach dem Abfallen jener entwickelt es ſich weiter; auch ſeien dieſe Blüthentheile ſo dünn, daß in dieſer Annahme nichts Wunderbares liege. Wir ſehen in dieſer Me- tamorphoſenlehre Caeſalpin's ohne Zweifel die ſpäter von Linné angenommene Blüthentheorie, wenn auch in etwas anderer Form. Daß Linné ſelbſt aber die ihm zugeſchriebene Blüthentheorie als Caeſalpin's Meinung betrachtet, zeigt ſich in ſeinen Classes plantarum, wo der dritte Satz in der Cha- 1) Bei Theophraſt (Throph. Eresii quae supersunt opera von Schneider Leipzig 1818; de causis pl. L. V. cap. V.) findet ſich die Angabe, daß nach Zerſtörung des Marks der Weinrebe die Trauben keine Samenkerne enthalten; offenbar deutet dieſer Aberglaube auf ein höheres Alterthum der Anſicht, daß die Samen aus dem Mark entſtehen.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/65>, abgerufen am 23.11.2024.