schen Wirkungen der Pflanzen durch experimentirende Anwendung derselben an Kranken konstatire.
Mariotte's Brief, dessen wesentlichsten Inhalt ich hier mitgetheilt habe, giebt uns ein lebhaftes Bild von den in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts über das Pflanzenleben verbreiten Ansichten und zeigt zugleich, wie ein hervorragender Naturforscher, der sich auf die Principien der neueren Philosophie stützte und die bekannten Thatsachen scharfsinnig zu verwenden wußte, jenen veralteten, auf Vorurtheil und Gedankenlosigkeit beruhenden Irrthümern entgegentrat. Nehmen wir, was Mal- pighi vorwiegend auf phytotomischen Grundlagen über die innere Oekonomie der Pflanzen sagte, zusammen mit den chemisch physikalischen Erörterungen Mariotte's, so haben wir eine vollkommen neue Theorie der Pflanzenernährung, welche der aristotelischen nicht nur gänzlich entgegengesetzt, sondern auch durch einen viel größeren Reichthum an Gedanken und durch scharf- sinnigere Combination als diese ausgezeichnet ist.
In der That hatten Malpighi und Mariotte alle diejenigen Principien der Ernährungstheorie aufgefunden, welche bei dem damaligen Zustand der Phytotomie und Chemie über- haupt gefunden werden konnten; namentlich hatte es Mariotte verstanden, aus den schwankenden chemischen Kenntnissen seiner Zeit gerade das Beste zur Erklärung der Vegetationserscheinungen zu benutzen. Wie wenig die Chemie damals noch im Einzelnen zur Erklärung der Ernährungsvorgänge der Pflanzen beitragen konnte, zu einer Zeit, wo sie eben erst anfing, sich aus den Vor- urtheilen der Jatrochemie frei zu machen, um dem Phlogiston anheimzufallen, wie wenig die Methoden gerade zur Untersuchung organischer Körper damals noch ausgebildet war, darüber findet man viel Belehrendes in einem kleinen 1676 und zum zweiten Mal 1679 herausgegebenem Buche: Memoires pour servir a l'histoire des plantes, welches zwar von Dodart herausge- geben, aber von sämmtlichen Mitgliedern der Pariser Akademie zusammengestellt und gebilligt worden ist. Es enthält nicht Untersuchungsresultate, sondern ein ausführliches Programm, nach
Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
ſchen Wirkungen der Pflanzen durch experimentirende Anwendung derſelben an Kranken konſtatire.
Mariotte's Brief, deſſen weſentlichſten Inhalt ich hier mitgetheilt habe, giebt uns ein lebhaftes Bild von den in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts über das Pflanzenleben verbreiten Anſichten und zeigt zugleich, wie ein hervorragender Naturforſcher, der ſich auf die Principien der neueren Philoſophie ſtützte und die bekannten Thatſachen ſcharfſinnig zu verwenden wußte, jenen veralteten, auf Vorurtheil und Gedankenloſigkeit beruhenden Irrthümern entgegentrat. Nehmen wir, was Mal- pighi vorwiegend auf phytotomiſchen Grundlagen über die innere Oekonomie der Pflanzen ſagte, zuſammen mit den chemiſch phyſikaliſchen Erörterungen Mariotte's, ſo haben wir eine vollkommen neue Theorie der Pflanzenernährung, welche der ariſtoteliſchen nicht nur gänzlich entgegengeſetzt, ſondern auch durch einen viel größeren Reichthum an Gedanken und durch ſcharf- ſinnigere Combination als dieſe ausgezeichnet iſt.
In der That hatten Malpighi und Mariotte alle diejenigen Principien der Ernährungstheorie aufgefunden, welche bei dem damaligen Zuſtand der Phytotomie und Chemie über- haupt gefunden werden konnten; namentlich hatte es Mariotte verſtanden, aus den ſchwankenden chemiſchen Kenntniſſen ſeiner Zeit gerade das Beſte zur Erklärung der Vegetationserſcheinungen zu benutzen. Wie wenig die Chemie damals noch im Einzelnen zur Erklärung der Ernährungsvorgänge der Pflanzen beitragen konnte, zu einer Zeit, wo ſie eben erſt anfing, ſich aus den Vor- urtheilen der Jatrochemie frei zu machen, um dem Phlogiſton anheimzufallen, wie wenig die Methoden gerade zur Unterſuchung organiſcher Körper damals noch ausgebildet war, darüber findet man viel Belehrendes in einem kleinen 1676 und zum zweiten Mal 1679 herausgegebenem Buche: Mémoires pour servir à l'histoire des plantes, welches zwar von Dodart herausge- geben, aber von ſämmtlichen Mitgliedern der Pariſer Akademie zuſammengeſtellt und gebilligt worden iſt. Es enthält nicht Unterſuchungsreſultate, ſondern ein ausführliches Programm, nach
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[506/0518]
Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
ſchen Wirkungen der Pflanzen durch experimentirende Anwendung
derſelben an Kranken konſtatire.
Mariotte's Brief, deſſen weſentlichſten Inhalt ich hier
mitgetheilt habe, giebt uns ein lebhaftes Bild von den in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts über das Pflanzenleben
verbreiten Anſichten und zeigt zugleich, wie ein hervorragender
Naturforſcher, der ſich auf die Principien der neueren Philoſophie
ſtützte und die bekannten Thatſachen ſcharfſinnig zu verwenden
wußte, jenen veralteten, auf Vorurtheil und Gedankenloſigkeit
beruhenden Irrthümern entgegentrat. Nehmen wir, was Mal-
pighi vorwiegend auf phytotomiſchen Grundlagen über die
innere Oekonomie der Pflanzen ſagte, zuſammen mit den chemiſch
phyſikaliſchen Erörterungen Mariotte's, ſo haben wir eine
vollkommen neue Theorie der Pflanzenernährung, welche der
ariſtoteliſchen nicht nur gänzlich entgegengeſetzt, ſondern auch durch
einen viel größeren Reichthum an Gedanken und durch ſcharf-
ſinnigere Combination als dieſe ausgezeichnet iſt.
In der That hatten Malpighi und Mariotte alle
diejenigen Principien der Ernährungstheorie aufgefunden, welche
bei dem damaligen Zuſtand der Phytotomie und Chemie über-
haupt gefunden werden konnten; namentlich hatte es Mariotte
verſtanden, aus den ſchwankenden chemiſchen Kenntniſſen ſeiner
Zeit gerade das Beſte zur Erklärung der Vegetationserſcheinungen
zu benutzen. Wie wenig die Chemie damals noch im Einzelnen
zur Erklärung der Ernährungsvorgänge der Pflanzen beitragen
konnte, zu einer Zeit, wo ſie eben erſt anfing, ſich aus den Vor-
urtheilen der Jatrochemie frei zu machen, um dem Phlogiſton
anheimzufallen, wie wenig die Methoden gerade zur Unterſuchung
organiſcher Körper damals noch ausgebildet war, darüber findet
man viel Belehrendes in einem kleinen 1676 und zum zweiten
Mal 1679 herausgegebenem Buche: Mémoires pour servir à
l'histoire des plantes, welches zwar von Dodart herausge-
geben, aber von ſämmtlichen Mitgliedern der Pariſer Akademie
zuſammengeſtellt und gebilligt worden iſt. Es enthält nicht
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/518>, abgerufen am 22.11.2024.
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