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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Erste inductive Versuche und Eröffnung neuer Gesichtspuncte etc.
Es sei aber nicht glaublich, daß dieser kleine Complex alle Zweige,
Blätter, Früchte und Samen dieser Pflanze schon enthalte und
noch weniger, daß in diesem Samen schon alle die Zweige,
Blätter, Blüthen u. s. w. enthalten seien, welche in infinitum
aus dieser ersten Keimung hervorgehen." Als Beweis dagegen
führt er an, daß aus den Blüthenknospen eines Rosenstockes
nach völliger Entlaubung desselben im nächsten Jahr nur Laub-
sprosse hervorkamen, daß also die Blüthen in jenen Knospen
nicht präformirt gewesen seien und dasselbe sei daraus zu folgern,
daß die Samen eines und desselben Obstbaumes oder einer
Melone durch Variation verschiedene Nachkommen erzeugen, ein
Beweis gegen die Evolutionstheorie, der viel zutreffender ist,
als das Meiste, was vor Koelreuter's Bastardirungen gegen
dieselbe gesagt wurde.

Auch anderen Vorurtheilen seiner Zeit trat Mariotte
mit guten Gründen entgegen. Die sogenannten virtutes der
Pflanzen, d. h. ihre medicinischen Wirkungen, spielten damals
nicht nur in der Botanik, sondern noch mehr in der Medicin
und Chemie eine große Rolle. Nach Abfertigung der alten
Theorie von Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit,
welche den Pflanzen als wesentlich immanente Eigenschaften ihrer
Substanz zugeschrieben wurden, und aus welchen man ihre ver-
mutheten medicinischen Wirkungen erklärte, weist er darauf hin,
daß Giftpflanzen in demselben Boden neben unschädlichen wachsen,
woraus zu folgern sei, daß, wie er schon vorher bewiesen, die
verschiedenen Pflanzen ihre eigenthümlichen Stoffe nicht direct
aus dem Boden aufnehmen, sondern sie durch Trennung und
Vereinigung der allgemeinen Principien erst erzeugen. Schließlich
erklärte er sich auch noch gegen einen der gröbsten aus dem 16. Jahr-
hundert stammenden Irrthümer, gegen die signatura plantarum,
nach welcher man die medicinische Wirksamkeit der Pflanzen aus
ganz äußerlichen Merkmalen, zumal aus Aehnlichkeiten ihrer
Organe mit Organen des menschlichen Körpers glaubte ableiten
zu können. Mariotte dringt darauf, daß man die medicini-

Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.
Es ſei aber nicht glaublich, daß dieſer kleine Complex alle Zweige,
Blätter, Früchte und Samen dieſer Pflanze ſchon enthalte und
noch weniger, daß in dieſem Samen ſchon alle die Zweige,
Blätter, Blüthen u. ſ. w. enthalten ſeien, welche in infinitum
aus dieſer erſten Keimung hervorgehen.“ Als Beweis dagegen
führt er an, daß aus den Blüthenknoſpen eines Roſenſtockes
nach völliger Entlaubung desſelben im nächſten Jahr nur Laub-
ſproſſe hervorkamen, daß alſo die Blüthen in jenen Knoſpen
nicht präformirt geweſen ſeien und dasſelbe ſei daraus zu folgern,
daß die Samen eines und desſelben Obſtbaumes oder einer
Melone durch Variation verſchiedene Nachkommen erzeugen, ein
Beweis gegen die Evolutionstheorie, der viel zutreffender iſt,
als das Meiſte, was vor Koelreuter's Baſtardirungen gegen
dieſelbe geſagt wurde.

Auch anderen Vorurtheilen ſeiner Zeit trat Mariotte
mit guten Gründen entgegen. Die ſogenannten virtutes der
Pflanzen, d. h. ihre mediciniſchen Wirkungen, ſpielten damals
nicht nur in der Botanik, ſondern noch mehr in der Medicin
und Chemie eine große Rolle. Nach Abfertigung der alten
Theorie von Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit,
welche den Pflanzen als weſentlich immanente Eigenſchaften ihrer
Subſtanz zugeſchrieben wurden, und aus welchen man ihre ver-
mutheten mediciniſchen Wirkungen erklärte, weiſt er darauf hin,
daß Giftpflanzen in demſelben Boden neben unſchädlichen wachſen,
woraus zu folgern ſei, daß, wie er ſchon vorher bewieſen, die
verſchiedenen Pflanzen ihre eigenthümlichen Stoffe nicht direct
aus dem Boden aufnehmen, ſondern ſie durch Trennung und
Vereinigung der allgemeinen Principien erſt erzeugen. Schließlich
erklärte er ſich auch noch gegen einen der gröbſten aus dem 16. Jahr-
hundert ſtammenden Irrthümer, gegen die signatura plantarum,
nach welcher man die mediciniſche Wirkſamkeit der Pflanzen aus
ganz äußerlichen Merkmalen, zumal aus Aehnlichkeiten ihrer
Organe mit Organen des menſchlichen Körpers glaubte ableiten
zu können. Mariotte dringt darauf, daß man die medicini-

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[505/0517] Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc. Es ſei aber nicht glaublich, daß dieſer kleine Complex alle Zweige, Blätter, Früchte und Samen dieſer Pflanze ſchon enthalte und noch weniger, daß in dieſem Samen ſchon alle die Zweige, Blätter, Blüthen u. ſ. w. enthalten ſeien, welche in infinitum aus dieſer erſten Keimung hervorgehen.“ Als Beweis dagegen führt er an, daß aus den Blüthenknoſpen eines Roſenſtockes nach völliger Entlaubung desſelben im nächſten Jahr nur Laub- ſproſſe hervorkamen, daß alſo die Blüthen in jenen Knoſpen nicht präformirt geweſen ſeien und dasſelbe ſei daraus zu folgern, daß die Samen eines und desſelben Obſtbaumes oder einer Melone durch Variation verſchiedene Nachkommen erzeugen, ein Beweis gegen die Evolutionstheorie, der viel zutreffender iſt, als das Meiſte, was vor Koelreuter's Baſtardirungen gegen dieſelbe geſagt wurde. Auch anderen Vorurtheilen ſeiner Zeit trat Mariotte mit guten Gründen entgegen. Die ſogenannten virtutes der Pflanzen, d. h. ihre mediciniſchen Wirkungen, ſpielten damals nicht nur in der Botanik, ſondern noch mehr in der Medicin und Chemie eine große Rolle. Nach Abfertigung der alten Theorie von Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit, welche den Pflanzen als weſentlich immanente Eigenſchaften ihrer Subſtanz zugeſchrieben wurden, und aus welchen man ihre ver- mutheten mediciniſchen Wirkungen erklärte, weiſt er darauf hin, daß Giftpflanzen in demſelben Boden neben unſchädlichen wachſen, woraus zu folgern ſei, daß, wie er ſchon vorher bewieſen, die verſchiedenen Pflanzen ihre eigenthümlichen Stoffe nicht direct aus dem Boden aufnehmen, ſondern ſie durch Trennung und Vereinigung der allgemeinen Principien erſt erzeugen. Schließlich erklärte er ſich auch noch gegen einen der gröbſten aus dem 16. Jahr- hundert ſtammenden Irrthümer, gegen die signatura plantarum, nach welcher man die mediciniſche Wirkſamkeit der Pflanzen aus ganz äußerlichen Merkmalen, zumal aus Aehnlichkeiten ihrer Organe mit Organen des menſchlichen Körpers glaubte ableiten zu können. Mariotte dringt darauf, daß man die medicini-

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/517>, abgerufen am 22.11.2024.