Nicht weniger wichtige Resultate als das Studium des Pro- toplasmas ergab auch das der übrigen organisirten Inhaltstheile der Zellen: Mohl zeigte, daß die Chorophyllkörner, die wichtigsten Ernährungsorgane der Pflanze, aus dem Protoplasma entstehen, Theodor Hartig erwarb sich trotz seiner verfehlten Zelltheorie ein namhaftes Verdienst durch die Entdeckung der sog. Aleuron- körner in den Samen und der in ihnen zuweilen vorkommenden crystallähnlichen Einschlüsse, Gebilde, welche ebenfalls aus dem Protoplasma entstehen und deren Substanz zur Neubildung von solchen verwendet wird; Radlkofer, Nägeli u. A. förderten die Kenntniß der Aleuronkörner, bezüglich ihrer Form und chemischen Zusammensetzung. Zu ganz besonderen Ergebnissen aber führte eine ebenso umfassende, als tief eindringende Unter- suchung, welche Nägeli den schon so oft, zumal von Payen untersuchten Stärkekörnern widmete; das Resultat derselben war ein umfangreiches, nicht nur in der Phytotomie, sondern für die Kenntniß der organisirten Körper überhaupt epochemachendes Werk, welches 1858 unter dem Titel "die Stärkekörner" erschien. Unter Anwendung von Untersuchungsmethoden, welche bis dahin der gesammten Mikroskopie fremd waren, gelangte Nägeli zu bestimmten Vorstellungen über die Molekularstruktur der Stärke- körner und über ihr Wachsthum durch Einlagerung neuer Mo- lekule zwischen die vorhandenen. Diese an den Stärkekörnern ausgebildete Intussusceptionstheorie war aber deshalb von so großer Wichtigkeit, weil sie sich unmittelbar auch zur Erklärung des Wachsthums der Zellhaut benutzen, überhaupt auf die Molekularvorgänge bei der Entstehung und Veränderung organi- sirter Gebilde übertragen ließ, während sie zugleich Rechenschaft gab von einer langen Reihe merkwürdiger Erscheinungen, zumal von dem Verhalten der organisirten Körper im polarisirten Licht. Nägeli's Molekulartheorie ist der erste glückliche Versuch, die mechanisch-physikalische Betrachtung auch auf das organische Leben anzuwenden und ohne Zweifel die tiefste Gedankenarbeit, welche bis jetzt die gesammte Botanik aufzuweisen hat.
Indem sich die besten Kräfte der Lösung so schwieriger
Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der
Nicht weniger wichtige Reſultate als das Studium des Pro- toplasmas ergab auch das der übrigen organiſirten Inhaltstheile der Zellen: Mohl zeigte, daß die Chorophyllkörner, die wichtigſten Ernährungsorgane der Pflanze, aus dem Protoplasma entſtehen, Theodor Hartig erwarb ſich trotz ſeiner verfehlten Zelltheorie ein namhaftes Verdienſt durch die Entdeckung der ſog. Aleuron- körner in den Samen und der in ihnen zuweilen vorkommenden cryſtallähnlichen Einſchlüſſe, Gebilde, welche ebenfalls aus dem Protoplasma entſtehen und deren Subſtanz zur Neubildung von ſolchen verwendet wird; Radlkofer, Nägeli u. A. förderten die Kenntniß der Aleuronkörner, bezüglich ihrer Form und chemiſchen Zuſammenſetzung. Zu ganz beſonderen Ergebniſſen aber führte eine ebenſo umfaſſende, als tief eindringende Unter- ſuchung, welche Nägeli den ſchon ſo oft, zumal von Payen unterſuchten Stärkekörnern widmete; das Reſultat derſelben war ein umfangreiches, nicht nur in der Phytotomie, ſondern für die Kenntniß der organiſirten Körper überhaupt epochemachendes Werk, welches 1858 unter dem Titel „die Stärkekörner“ erſchien. Unter Anwendung von Unterſuchungsmethoden, welche bis dahin der geſammten Mikroſkopie fremd waren, gelangte Nägeli zu beſtimmten Vorſtellungen über die Molekularſtruktur der Stärke- körner und über ihr Wachsthum durch Einlagerung neuer Mo- lekule zwiſchen die vorhandenen. Dieſe an den Stärkekörnern ausgebildete Intuſſuſceptionstheorie war aber deshalb von ſo großer Wichtigkeit, weil ſie ſich unmittelbar auch zur Erklärung des Wachsthums der Zellhaut benutzen, überhaupt auf die Molekularvorgänge bei der Entſtehung und Veränderung organi- ſirter Gebilde übertragen ließ, während ſie zugleich Rechenſchaft gab von einer langen Reihe merkwürdiger Erſcheinungen, zumal von dem Verhalten der organiſirten Körper im polariſirten Licht. Nägeli's Molekulartheorie iſt der erſte glückliche Verſuch, die mechaniſch-phyſikaliſche Betrachtung auch auf das organiſche Leben anzuwenden und ohne Zweifel die tiefſte Gedankenarbeit, welche bis jetzt die geſammte Botanik aufzuweiſen hat.
Indem ſich die beſten Kräfte der Löſung ſo ſchwieriger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0352"n="340"/><fwplace="top"type="header">Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der</fw><lb/><p>Nicht weniger wichtige Reſultate als das Studium des Pro-<lb/>
toplasmas ergab auch das der übrigen organiſirten Inhaltstheile<lb/>
der Zellen: <hirendition="#g">Mohl</hi> zeigte, daß die Chorophyllkörner, die wichtigſten<lb/>
Ernährungsorgane der Pflanze, aus dem Protoplasma entſtehen,<lb/>
Theodor <hirendition="#g">Hartig</hi> erwarb ſich trotz ſeiner verfehlten Zelltheorie<lb/>
ein namhaftes Verdienſt durch die Entdeckung der ſog. Aleuron-<lb/>
körner in den Samen und der in ihnen zuweilen vorkommenden<lb/>
cryſtallähnlichen Einſchlüſſe, Gebilde, welche ebenfalls aus dem<lb/>
Protoplasma entſtehen und deren Subſtanz zur Neubildung von<lb/>ſolchen verwendet wird; <hirendition="#g">Radlkofer</hi>, <hirendition="#g">Nägeli</hi> u. A. förderten<lb/>
die Kenntniß der Aleuronkörner, bezüglich ihrer Form und<lb/>
chemiſchen Zuſammenſetzung. Zu ganz beſonderen Ergebniſſen<lb/>
aber führte eine ebenſo umfaſſende, als tief eindringende Unter-<lb/>ſuchung, welche <hirendition="#g">Nägeli</hi> den ſchon ſo oft, zumal von <hirendition="#g">Payen</hi><lb/>
unterſuchten Stärkekörnern widmete; das Reſultat derſelben war<lb/>
ein umfangreiches, nicht nur in der Phytotomie, ſondern für die<lb/>
Kenntniß der organiſirten Körper überhaupt epochemachendes<lb/>
Werk, welches 1858 unter dem Titel „die Stärkekörner“ erſchien.<lb/>
Unter Anwendung von Unterſuchungsmethoden, welche bis dahin<lb/>
der geſammten Mikroſkopie fremd waren, gelangte <hirendition="#g">Nägeli</hi> zu<lb/>
beſtimmten Vorſtellungen über die Molekularſtruktur der Stärke-<lb/>
körner und über ihr Wachsthum durch Einlagerung neuer Mo-<lb/>
lekule zwiſchen die vorhandenen. Dieſe an den Stärkekörnern<lb/>
ausgebildete Intuſſuſceptionstheorie war aber deshalb von ſo<lb/>
großer Wichtigkeit, weil ſie ſich unmittelbar auch zur Erklärung<lb/>
des Wachsthums der Zellhaut benutzen, überhaupt auf die<lb/>
Molekularvorgänge bei der Entſtehung und Veränderung organi-<lb/>ſirter Gebilde übertragen ließ, während ſie zugleich Rechenſchaft<lb/>
gab von einer langen Reihe merkwürdiger Erſcheinungen, zumal<lb/>
von dem Verhalten der organiſirten Körper im polariſirten Licht.<lb/><hirendition="#g">Nägeli</hi>'s Molekulartheorie iſt der erſte glückliche Verſuch, die<lb/>
mechaniſch-phyſikaliſche Betrachtung auch auf das organiſche Leben<lb/>
anzuwenden und ohne Zweifel die tiefſte Gedankenarbeit, welche<lb/>
bis jetzt die geſammte Botanik aufzuweiſen hat.</p><lb/><p>Indem ſich die beſten Kräfte der Löſung ſo ſchwieriger<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[340/0352]
Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der
Nicht weniger wichtige Reſultate als das Studium des Pro-
toplasmas ergab auch das der übrigen organiſirten Inhaltstheile
der Zellen: Mohl zeigte, daß die Chorophyllkörner, die wichtigſten
Ernährungsorgane der Pflanze, aus dem Protoplasma entſtehen,
Theodor Hartig erwarb ſich trotz ſeiner verfehlten Zelltheorie
ein namhaftes Verdienſt durch die Entdeckung der ſog. Aleuron-
körner in den Samen und der in ihnen zuweilen vorkommenden
cryſtallähnlichen Einſchlüſſe, Gebilde, welche ebenfalls aus dem
Protoplasma entſtehen und deren Subſtanz zur Neubildung von
ſolchen verwendet wird; Radlkofer, Nägeli u. A. förderten
die Kenntniß der Aleuronkörner, bezüglich ihrer Form und
chemiſchen Zuſammenſetzung. Zu ganz beſonderen Ergebniſſen
aber führte eine ebenſo umfaſſende, als tief eindringende Unter-
ſuchung, welche Nägeli den ſchon ſo oft, zumal von Payen
unterſuchten Stärkekörnern widmete; das Reſultat derſelben war
ein umfangreiches, nicht nur in der Phytotomie, ſondern für die
Kenntniß der organiſirten Körper überhaupt epochemachendes
Werk, welches 1858 unter dem Titel „die Stärkekörner“ erſchien.
Unter Anwendung von Unterſuchungsmethoden, welche bis dahin
der geſammten Mikroſkopie fremd waren, gelangte Nägeli zu
beſtimmten Vorſtellungen über die Molekularſtruktur der Stärke-
körner und über ihr Wachsthum durch Einlagerung neuer Mo-
lekule zwiſchen die vorhandenen. Dieſe an den Stärkekörnern
ausgebildete Intuſſuſceptionstheorie war aber deshalb von ſo
großer Wichtigkeit, weil ſie ſich unmittelbar auch zur Erklärung
des Wachsthums der Zellhaut benutzen, überhaupt auf die
Molekularvorgänge bei der Entſtehung und Veränderung organi-
ſirter Gebilde übertragen ließ, während ſie zugleich Rechenſchaft
gab von einer langen Reihe merkwürdiger Erſcheinungen, zumal
von dem Verhalten der organiſirten Körper im polariſirten Licht.
Nägeli's Molekulartheorie iſt der erſte glückliche Verſuch, die
mechaniſch-phyſikaliſche Betrachtung auch auf das organiſche Leben
anzuwenden und ohne Zweifel die tiefſte Gedankenarbeit, welche
bis jetzt die geſammte Botanik aufzuweiſen hat.
Indem ſich die beſten Kräfte der Löſung ſo ſchwieriger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/352>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.