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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Gewebeform, Molecularstruktur der organischen Gebilde.
und bei dem Wachsthum der Zellen die wesentlichsten Veränder-
ungen erleidet, welche allein den ganzen Körper der Schwärm-
sporen darstellt, nach deren Verschwinden aber die Zellhäute als
ein todtes Gerüst zurückbleiben. Diese den Lebensproceß der
Pflanze viel unmittelbarer als die Zellhaut tragende Substanz
hatte Schleiden 1838 gesehen und für Gummi gehalten,
Nägeli 1842-1846 sorgfältiger studirt und als eine stickstoff-
haltige Substanz erkannt; 1844 und 1846 wurde sie von
anderen Gesichtspuncten ausgehend von Mohl ebenfalls beschrieben,
mit dem noch jetzt geltenden Namen Protoplasma belegt und
darauf hingewiesen, daß diese Substanz, nicht aber der eigent-
liche Zellsaft es ist, welche die von Corti im vorigen Jahr-
hundert entdeckte, 1811 von Treviranus wieder an's Licht
gezogene Bewegung, die s. g. Rotation und Circulation in den
Zellen ausführt. Besonders lehrreich erwiesen sich für das
Studium dieser merkwürdigen Substanz abermals die Algen;
die von Alexander Braun, Thuret, Nägeli, Prings-
heim und De Bary an Algen und Pilzen beobachteten Schwärm-
sporen zeigten, daß das Protoplasma ganz unabhängig von der
Zellhaut lebensfähig ist, durch innere Kräfte getrieben seine
Form verändern und selbst Ortsbewegungen ausführen kann.
Schon 1855 wies Unger in seinem Lehrbuch auf die Aehnlich-
keit dieser Substanz mit der s. g. Sarcode der niedersten
Thiere hin, eine Aehnlichkeit die noch deutlicher hervortrat als
1859 durch De Bary's Studien über die Myxomyceten klar
wurde, daß die Körpersubstanz auch dieser Gebilde aus Proto-
plasma besteht, welches hier lange Zeit und oft in mächtigen
Klumpen fortlebt, um erst später Zellhäute zu bilden. Jetzt
nahmen auch die Zootomen an diesen Ergebnissen der Botaniker
Interesse; Max Schultze (1863), Brücke, Kühne studirten
das thierische und pflanzliche Protoplasma und mehr und mehr
gewann man im Laufe der sechziger Jahre die Ueberzeugung,
daß das Protoplasma, die unmittelbare Grundlage sowohl des
vegetativen wie des animalischen Lebens ist; eines der bedeutensten
Ergebnisse der neueren Naturwissenschaft.

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Gewebeform, Molecularſtruktur der organiſchen Gebilde.
und bei dem Wachsthum der Zellen die weſentlichſten Veränder-
ungen erleidet, welche allein den ganzen Körper der Schwärm-
ſporen darſtellt, nach deren Verſchwinden aber die Zellhäute als
ein todtes Gerüſt zurückbleiben. Dieſe den Lebensproceß der
Pflanze viel unmittelbarer als die Zellhaut tragende Subſtanz
hatte Schleiden 1838 geſehen und für Gummi gehalten,
Nägeli 1842-1846 ſorgfältiger ſtudirt und als eine ſtickſtoff-
haltige Subſtanz erkannt; 1844 und 1846 wurde ſie von
anderen Geſichtspuncten ausgehend von Mohl ebenfalls beſchrieben,
mit dem noch jetzt geltenden Namen Protoplasma belegt und
darauf hingewieſen, daß dieſe Subſtanz, nicht aber der eigent-
liche Zellſaft es iſt, welche die von Corti im vorigen Jahr-
hundert entdeckte, 1811 von Treviranus wieder an's Licht
gezogene Bewegung, die ſ. g. Rotation und Circulation in den
Zellen ausführt. Beſonders lehrreich erwieſen ſich für das
Studium dieſer merkwürdigen Subſtanz abermals die Algen;
die von Alexander Braun, Thuret, Nägeli, Prings-
heim und De Bary an Algen und Pilzen beobachteten Schwärm-
ſporen zeigten, daß das Protoplasma ganz unabhängig von der
Zellhaut lebensfähig iſt, durch innere Kräfte getrieben ſeine
Form verändern und ſelbſt Ortsbewegungen ausführen kann.
Schon 1855 wies Unger in ſeinem Lehrbuch auf die Aehnlich-
keit dieſer Subſtanz mit der ſ. g. Sarcode der niederſten
Thiere hin, eine Aehnlichkeit die noch deutlicher hervortrat als
1859 durch De Bary's Studien über die Myxomyceten klar
wurde, daß die Körperſubſtanz auch dieſer Gebilde aus Proto-
plasma beſteht, welches hier lange Zeit und oft in mächtigen
Klumpen fortlebt, um erſt ſpäter Zellhäute zu bilden. Jetzt
nahmen auch die Zootomen an dieſen Ergebniſſen der Botaniker
Intereſſe; Max Schultze (1863), Brücke, Kühne ſtudirten
das thieriſche und pflanzliche Protoplasma und mehr und mehr
gewann man im Laufe der ſechziger Jahre die Ueberzeugung,
daß das Protoplasma, die unmittelbare Grundlage ſowohl des
vegetativen wie des animaliſchen Lebens iſt; eines der bedeutenſten
Ergebniſſe der neueren Naturwiſſenſchaft.

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[339/0351] Gewebeform, Molecularſtruktur der organiſchen Gebilde. und bei dem Wachsthum der Zellen die weſentlichſten Veränder- ungen erleidet, welche allein den ganzen Körper der Schwärm- ſporen darſtellt, nach deren Verſchwinden aber die Zellhäute als ein todtes Gerüſt zurückbleiben. Dieſe den Lebensproceß der Pflanze viel unmittelbarer als die Zellhaut tragende Subſtanz hatte Schleiden 1838 geſehen und für Gummi gehalten, Nägeli 1842-1846 ſorgfältiger ſtudirt und als eine ſtickſtoff- haltige Subſtanz erkannt; 1844 und 1846 wurde ſie von anderen Geſichtspuncten ausgehend von Mohl ebenfalls beſchrieben, mit dem noch jetzt geltenden Namen Protoplasma belegt und darauf hingewieſen, daß dieſe Subſtanz, nicht aber der eigent- liche Zellſaft es iſt, welche die von Corti im vorigen Jahr- hundert entdeckte, 1811 von Treviranus wieder an's Licht gezogene Bewegung, die ſ. g. Rotation und Circulation in den Zellen ausführt. Beſonders lehrreich erwieſen ſich für das Studium dieſer merkwürdigen Subſtanz abermals die Algen; die von Alexander Braun, Thuret, Nägeli, Prings- heim und De Bary an Algen und Pilzen beobachteten Schwärm- ſporen zeigten, daß das Protoplasma ganz unabhängig von der Zellhaut lebensfähig iſt, durch innere Kräfte getrieben ſeine Form verändern und ſelbſt Ortsbewegungen ausführen kann. Schon 1855 wies Unger in ſeinem Lehrbuch auf die Aehnlich- keit dieſer Subſtanz mit der ſ. g. Sarcode der niederſten Thiere hin, eine Aehnlichkeit die noch deutlicher hervortrat als 1859 durch De Bary's Studien über die Myxomyceten klar wurde, daß die Körperſubſtanz auch dieſer Gebilde aus Proto- plasma beſteht, welches hier lange Zeit und oft in mächtigen Klumpen fortlebt, um erſt ſpäter Zellhäute zu bilden. Jetzt nahmen auch die Zootomen an dieſen Ergebniſſen der Botaniker Intereſſe; Max Schultze (1863), Brücke, Kühne ſtudirten das thieriſche und pflanzliche Protoplasma und mehr und mehr gewann man im Laufe der ſechziger Jahre die Ueberzeugung, daß das Protoplasma, die unmittelbare Grundlage ſowohl des vegetativen wie des animaliſchen Lebens iſt; eines der bedeutenſten Ergebniſſe der neueren Naturwiſſenſchaft. 22 *

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/351>, abgerufen am 22.11.2024.