Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Entwicklungsgeschichte und Kryptogamenkunde.
Fälle fiel. Nun folgten die Entdeckungen sexueller Vorgänge
Schlag auf Schlag; Pringsheim löste das alte Räthsel bei
Vaucheria 1855, schon 1856-1858 bei den Oedogonieen
Saprolegnieen
, Coleochaeten; Cohn beobachtete 1855
die sexuelle Sporenbildung der Sphaeroplea. Pringsheim
ließ es aber nicht bei der sorgfältigsten Beobachtung des Sexual-
actes bewenden; vielmehr gab er von den betreffenden Familien
ausführliche, Zelle für Zelle fortschreitende Wachsthumsgeschichten,
der Entstehung der Geschlechtsorgane, der Entwicklung des ge-
schlechtlichen Products. Die in die Vegetation und in die Em-
bryologie eingreifenden ungeschlechtlichen Fortpflanzungen wurden
in ihrem wahren Zusammenhang nachgewiesen. Vorgänge, welche
vielfach an den Generationswechsel der Muscineen erinnerten,
wurden erkannt und dabei gezeigt, daß unter den Algen ganz
verschiedene Formen der Sexualität und der Gesammtentwicklung
vorkommen, welche zur Bildung systematischer Gruppen führten,
die gänzlich von den auf oberflächliche Beobachtung der Sammler
gegründeten abwichen. Es zeigte sich bald, daß hier, wie später
auch bei den Pilzen und Flechten, die eigentliche Forschung ganz
neuen Grund legen mußte. Aus dem Durcheinander unverstan-
dener Formen zog Pringsheim eine Reihe von characteristischen
Gruppen hervor, die allseitig beleuchtet, meisterhaft in Wort und
Bild dargestellt, sich wie Inseln aus dem Chaos der noch un-
erforschten Formen erhoben, aber auch auf ihre Umgebung viel-
fach Licht warfen. Noch vor 1860 wurden auch die Conjugaten
in dieser Weise von de Bary gründlich morphologisch bearbeitet
(1858); Bruchstücke algologischer Entwicklungsgeschichten lieferte
ferner Thuret und noch bevor die sechziger Jahre schlossen,
wurde von Thuret und Bornet die merkwürdige Embryologie
der Florideen 1867, von Pringsheim die Paarung der
Schwärmsporen 1869 bei Volvocineen festgestellt. Die Algen
bieten gegenwärtig eine Mannigfaltigkeit der Entwicklungsvorgänge
wie keine andere Pflanzenklasse: sexuelle, ungeschlechtliche Fort-
pflanzung und Wachsthum greifen da in einer Weise ineinander,
welche ganz neue Einblicke in das Wesen der Pflanzenwelt eröffnen.

Sachs, Geschichte der Botanik. 15

Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
Fälle fiel. Nun folgten die Entdeckungen ſexueller Vorgänge
Schlag auf Schlag; Pringsheim löſte das alte Räthſel bei
Vaucheria 1855, ſchon 1856-1858 bei den Oedogonieen
Saprolegnieen
, Coleochaeten; Cohn beobachtete 1855
die ſexuelle Sporenbildung der Sphaeroplea. Pringsheim
ließ es aber nicht bei der ſorgfältigſten Beobachtung des Sexual-
actes bewenden; vielmehr gab er von den betreffenden Familien
ausführliche, Zelle für Zelle fortſchreitende Wachsthumsgeſchichten,
der Entſtehung der Geſchlechtsorgane, der Entwicklung des ge-
ſchlechtlichen Products. Die in die Vegetation und in die Em-
bryologie eingreifenden ungeſchlechtlichen Fortpflanzungen wurden
in ihrem wahren Zuſammenhang nachgewieſen. Vorgänge, welche
vielfach an den Generationswechſel der Muscineen erinnerten,
wurden erkannt und dabei gezeigt, daß unter den Algen ganz
verſchiedene Formen der Sexualität und der Geſammtentwicklung
vorkommen, welche zur Bildung ſyſtematiſcher Gruppen führten,
die gänzlich von den auf oberflächliche Beobachtung der Sammler
gegründeten abwichen. Es zeigte ſich bald, daß hier, wie ſpäter
auch bei den Pilzen und Flechten, die eigentliche Forſchung ganz
neuen Grund legen mußte. Aus dem Durcheinander unverſtan-
dener Formen zog Pringsheim eine Reihe von characteriſtiſchen
Gruppen hervor, die allſeitig beleuchtet, meiſterhaft in Wort und
Bild dargeſtellt, ſich wie Inſeln aus dem Chaos der noch un-
erforſchten Formen erhoben, aber auch auf ihre Umgebung viel-
fach Licht warfen. Noch vor 1860 wurden auch die Conjugaten
in dieſer Weiſe von de Bary gründlich morphologiſch bearbeitet
(1858); Bruchſtücke algologiſcher Entwicklungsgeſchichten lieferte
ferner Thuret und noch bevor die ſechziger Jahre ſchloſſen,
wurde von Thuret und Bornet die merkwürdige Embryologie
der Florideen 1867, von Pringsheim die Paarung der
Schwärmſporen 1869 bei Volvocineen feſtgeſtellt. Die Algen
bieten gegenwärtig eine Mannigfaltigkeit der Entwicklungsvorgänge
wie keine andere Pflanzenklaſſe: ſexuelle, ungeſchlechtliche Fort-
pflanzung und Wachsthum greifen da in einer Weiſe ineinander,
welche ganz neue Einblicke in das Weſen der Pflanzenwelt eröffnen.

Sachs, Geſchichte der Botanik. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0237" n="225"/><fw place="top" type="header">Entwicklungsge&#x017F;chichte und Kryptogamenkunde.</fw><lb/>
Fälle fiel. Nun folgten die Entdeckungen &#x017F;exueller Vorgänge<lb/>
Schlag auf Schlag; <hi rendition="#g">Pringsheim</hi>&#x017F;te das alte Räth&#x017F;el bei<lb/><hi rendition="#aq">Vaucheria</hi> 1855, &#x017F;chon 1856-1858 bei den <hi rendition="#g">Oedogonieen<lb/>
Saprolegnieen</hi>, <hi rendition="#g">Coleochaeten</hi>; <hi rendition="#g">Cohn</hi> beobachtete 1855<lb/>
die &#x017F;exuelle Sporenbildung der <hi rendition="#aq">Sphaeroplea</hi>. <hi rendition="#g">Pringsheim</hi><lb/>
ließ es aber nicht bei der &#x017F;orgfältig&#x017F;ten Beobachtung des Sexual-<lb/>
actes bewenden; vielmehr gab er von den betreffenden Familien<lb/>
ausführliche, Zelle für Zelle fort&#x017F;chreitende Wachsthumsge&#x017F;chichten,<lb/>
der Ent&#x017F;tehung der Ge&#x017F;chlechtsorgane, der Entwicklung des ge-<lb/>
&#x017F;chlechtlichen Products. Die in die Vegetation und in die Em-<lb/>
bryologie eingreifenden unge&#x017F;chlechtlichen Fortpflanzungen wurden<lb/>
in ihrem wahren Zu&#x017F;ammenhang nachgewie&#x017F;en. Vorgänge, welche<lb/>
vielfach an den Generationswech&#x017F;el der Muscineen erinnerten,<lb/>
wurden erkannt und dabei gezeigt, daß unter den Algen ganz<lb/>
ver&#x017F;chiedene Formen der Sexualität und der Ge&#x017F;ammtentwicklung<lb/>
vorkommen, welche zur Bildung &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;cher Gruppen führten,<lb/>
die gänzlich von den auf oberflächliche Beobachtung der Sammler<lb/>
gegründeten abwichen. Es zeigte &#x017F;ich bald, daß hier, wie &#x017F;päter<lb/>
auch bei den Pilzen und Flechten, die eigentliche For&#x017F;chung ganz<lb/>
neuen Grund legen mußte. Aus dem Durcheinander unver&#x017F;tan-<lb/>
dener Formen zog <hi rendition="#g">Pringsheim</hi> eine Reihe von characteri&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Gruppen hervor, die all&#x017F;eitig beleuchtet, mei&#x017F;terhaft in Wort und<lb/>
Bild darge&#x017F;tellt, &#x017F;ich wie In&#x017F;eln aus dem <hi rendition="#g">Chaos</hi> der noch un-<lb/>
erfor&#x017F;chten Formen erhoben, aber auch auf ihre Umgebung viel-<lb/>
fach Licht warfen. Noch vor 1860 wurden auch die Conjugaten<lb/>
in die&#x017F;er Wei&#x017F;e von <hi rendition="#g">de Bary</hi> gründlich morphologi&#x017F;ch bearbeitet<lb/>
(1858); Bruch&#x017F;tücke algologi&#x017F;cher Entwicklungsge&#x017F;chichten lieferte<lb/>
ferner <hi rendition="#g">Thuret</hi> und noch bevor die &#x017F;echziger Jahre &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wurde von <hi rendition="#g">Thuret</hi> und <hi rendition="#g">Bornet</hi> die merkwürdige Embryologie<lb/>
der <hi rendition="#g">Florideen</hi> 1867, von <hi rendition="#g">Pringsheim</hi> die Paarung der<lb/>
Schwärm&#x017F;poren 1869 bei Volvocineen fe&#x017F;tge&#x017F;tellt. Die Algen<lb/>
bieten gegenwärtig eine Mannigfaltigkeit der Entwicklungsvorgänge<lb/>
wie keine andere Pflanzenkla&#x017F;&#x017F;e: &#x017F;exuelle, unge&#x017F;chlechtliche Fort-<lb/>
pflanzung und Wachsthum greifen da in einer Wei&#x017F;e ineinander,<lb/>
welche ganz neue Einblicke in das We&#x017F;en der Pflanzenwelt eröffnen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Sachs</hi>, Ge&#x017F;chichte der Botanik. 15</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0237] Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde. Fälle fiel. Nun folgten die Entdeckungen ſexueller Vorgänge Schlag auf Schlag; Pringsheim löſte das alte Räthſel bei Vaucheria 1855, ſchon 1856-1858 bei den Oedogonieen Saprolegnieen, Coleochaeten; Cohn beobachtete 1855 die ſexuelle Sporenbildung der Sphaeroplea. Pringsheim ließ es aber nicht bei der ſorgfältigſten Beobachtung des Sexual- actes bewenden; vielmehr gab er von den betreffenden Familien ausführliche, Zelle für Zelle fortſchreitende Wachsthumsgeſchichten, der Entſtehung der Geſchlechtsorgane, der Entwicklung des ge- ſchlechtlichen Products. Die in die Vegetation und in die Em- bryologie eingreifenden ungeſchlechtlichen Fortpflanzungen wurden in ihrem wahren Zuſammenhang nachgewieſen. Vorgänge, welche vielfach an den Generationswechſel der Muscineen erinnerten, wurden erkannt und dabei gezeigt, daß unter den Algen ganz verſchiedene Formen der Sexualität und der Geſammtentwicklung vorkommen, welche zur Bildung ſyſtematiſcher Gruppen führten, die gänzlich von den auf oberflächliche Beobachtung der Sammler gegründeten abwichen. Es zeigte ſich bald, daß hier, wie ſpäter auch bei den Pilzen und Flechten, die eigentliche Forſchung ganz neuen Grund legen mußte. Aus dem Durcheinander unverſtan- dener Formen zog Pringsheim eine Reihe von characteriſtiſchen Gruppen hervor, die allſeitig beleuchtet, meiſterhaft in Wort und Bild dargeſtellt, ſich wie Inſeln aus dem Chaos der noch un- erforſchten Formen erhoben, aber auch auf ihre Umgebung viel- fach Licht warfen. Noch vor 1860 wurden auch die Conjugaten in dieſer Weiſe von de Bary gründlich morphologiſch bearbeitet (1858); Bruchſtücke algologiſcher Entwicklungsgeſchichten lieferte ferner Thuret und noch bevor die ſechziger Jahre ſchloſſen, wurde von Thuret und Bornet die merkwürdige Embryologie der Florideen 1867, von Pringsheim die Paarung der Schwärmſporen 1869 bei Volvocineen feſtgeſtellt. Die Algen bieten gegenwärtig eine Mannigfaltigkeit der Entwicklungsvorgänge wie keine andere Pflanzenklaſſe: ſexuelle, ungeſchlechtliche Fort- pflanzung und Wachsthum greifen da in einer Weiſe ineinander, welche ganz neue Einblicke in das Weſen der Pflanzenwelt eröffnen. Sachs, Geſchichte der Botanik. 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/237
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/237>, abgerufen am 04.05.2024.