Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Dogma von der Constanz der Arten.
Sind nämlich die Arten constant, also auch absolut verschie-
denen Ursprungs, so dürfte man überhaupt nicht von Abortus
reden, sondern man könnte nur sagen, ein Organ, welches bei
der einen Species vorhanden oder groß ist, sei bei der anderen
klein oder es fehle ganz. Mit der Einführung des Begriffes
Abortus überschreitet also De Candolle bereits die Constanz
der Arten, freilich ohne sich selbst über diesen wichtigen Schritt
klar zu werden. De Candolle's Verfahren zeigt eben, daß
die Thatsachen sogar einen Vertheidiger der Constanz wider
seinen Willen zu theoretischen Annahmen führen, welche dem
Dogma zuwider laufen. Dieß bestätigt sich auch bei seiner
Wahrnehmung der Correlation des Wachsthums, die sich mit
dem Abortus verbindet; er weist darauf hin, wie durch das
Schwinden der Sexualorgane in den Randblüthen von Vibur-
num Opulus
die Blumenkronen, wie ebenso die Deckblätter der
abortirten Blüthen von Salvia Horminum sich vergrößern; in
ähnlichem Sinne betrachtet er das Schwinden der Samen bei
der Ananas, der Banane, dem Brodfruchtbaum als die Ursache
der Vergrößerung der Perikarpien; ebenso entgeht ihm nicht, daß
bei Rhus Cotinus die fruchtbaren Blüthenstiele nackt bleiben,
während an den unfruchtbaren eine elegante Behaarung sich
bildet; auch die blattartige Ausbreitung solcher Blattstiele von
Acacia heterophylla, welche ihre Lamina nicht entwickeln,
führt er auf diese Correlation des Wachsthums zurück. Das
merkwürdigste Beispiel dieser Art findet er bei der Füllung der
Blumen, wo seiner Ansicht nach das Schwinden der Antheren,
die corollinische Ausbildung der Filamente bedingt; ähnlich werde
auch zuweilen durch das Schwinden der Narben das Carpell in
ein Blumenblatt verwandelt. Obgleich man in manchen dieser
Fälle das Causalverhältniß gewiß auch umgekehrt denken kann,
so bleibt doch jedenfalls De Candolle's Auffassung derselben
unter dem Begriff der Correlation richtig.

Die zweite obengenannte Ursache, durch welche der Symme-
trieplan unkenntlich gemacht werden könne, die Degeneration,
macht sich in der Bildung von Dornen, fadenförmigen Ver-

Dogma von der Conſtanz der Arten.
Sind nämlich die Arten conſtant, alſo auch abſolut verſchie-
denen Urſprungs, ſo dürfte man überhaupt nicht von Abortus
reden, ſondern man könnte nur ſagen, ein Organ, welches bei
der einen Species vorhanden oder groß iſt, ſei bei der anderen
klein oder es fehle ganz. Mit der Einführung des Begriffes
Abortus überſchreitet alſo De Candolle bereits die Conſtanz
der Arten, freilich ohne ſich ſelbſt über dieſen wichtigen Schritt
klar zu werden. De Candolle's Verfahren zeigt eben, daß
die Thatſachen ſogar einen Vertheidiger der Conſtanz wider
ſeinen Willen zu theoretiſchen Annahmen führen, welche dem
Dogma zuwider laufen. Dieß beſtätigt ſich auch bei ſeiner
Wahrnehmung der Correlation des Wachsthums, die ſich mit
dem Abortus verbindet; er weiſt darauf hin, wie durch das
Schwinden der Sexualorgane in den Randblüthen von Vibur-
num Opulus
die Blumenkronen, wie ebenſo die Deckblätter der
abortirten Blüthen von Salvia Horminum ſich vergrößern; in
ähnlichem Sinne betrachtet er das Schwinden der Samen bei
der Ananas, der Banane, dem Brodfruchtbaum als die Urſache
der Vergrößerung der Perikarpien; ebenſo entgeht ihm nicht, daß
bei Rhus Cotinus die fruchtbaren Blüthenſtiele nackt bleiben,
während an den unfruchtbaren eine elegante Behaarung ſich
bildet; auch die blattartige Ausbreitung ſolcher Blattſtiele von
Acacia heterophylla, welche ihre Lamina nicht entwickeln,
führt er auf dieſe Correlation des Wachsthums zurück. Das
merkwürdigſte Beiſpiel dieſer Art findet er bei der Füllung der
Blumen, wo ſeiner Anſicht nach das Schwinden der Antheren,
die corolliniſche Ausbildung der Filamente bedingt; ähnlich werde
auch zuweilen durch das Schwinden der Narben das Carpell in
ein Blumenblatt verwandelt. Obgleich man in manchen dieſer
Fälle das Cauſalverhältniß gewiß auch umgekehrt denken kann,
ſo bleibt doch jedenfalls De Candolle's Auffaſſung derſelben
unter dem Begriff der Correlation richtig.

Die zweite obengenannte Urſache, durch welche der Symme-
trieplan unkenntlich gemacht werden könne, die Degeneration,
macht ſich in der Bildung von Dornen, fadenförmigen Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="143"/><fw place="top" type="header">Dogma von der Con&#x017F;tanz der Arten.</fw><lb/>
Sind nämlich die Arten con&#x017F;tant, al&#x017F;o auch ab&#x017F;olut ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Ur&#x017F;prungs, &#x017F;o dürfte man überhaupt nicht von Abortus<lb/>
reden, &#x017F;ondern man könnte nur &#x017F;agen, ein Organ, welches bei<lb/>
der einen Species vorhanden oder groß i&#x017F;t, &#x017F;ei bei der anderen<lb/>
klein oder es fehle ganz. Mit der Einführung des Begriffes<lb/>
Abortus über&#x017F;chreitet al&#x017F;o <hi rendition="#g">De Candolle</hi> bereits die Con&#x017F;tanz<lb/>
der Arten, freilich ohne &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t über die&#x017F;en wichtigen Schritt<lb/>
klar zu werden. <hi rendition="#g">De Candolle</hi>'s Verfahren zeigt eben, daß<lb/>
die That&#x017F;achen &#x017F;ogar einen Vertheidiger der Con&#x017F;tanz wider<lb/>
&#x017F;einen Willen zu theoreti&#x017F;chen Annahmen führen, welche dem<lb/>
Dogma zuwider laufen. Dieß be&#x017F;tätigt &#x017F;ich auch bei &#x017F;einer<lb/>
Wahrnehmung der Correlation des Wachsthums, die &#x017F;ich mit<lb/>
dem Abortus verbindet; er wei&#x017F;t darauf hin, wie durch das<lb/>
Schwinden der Sexualorgane in den Randblüthen von <hi rendition="#aq">Vibur-<lb/>
num Opulus</hi> die Blumenkronen, wie eben&#x017F;o die Deckblätter der<lb/>
abortirten Blüthen von <hi rendition="#aq">Salvia Horminum</hi> &#x017F;ich vergrößern; in<lb/>
ähnlichem Sinne betrachtet er das Schwinden der Samen bei<lb/>
der Ananas, der Banane, dem Brodfruchtbaum als die Ur&#x017F;ache<lb/>
der Vergrößerung der Perikarpien; eben&#x017F;o entgeht ihm nicht, daß<lb/>
bei <hi rendition="#aq">Rhus Cotinus</hi> die fruchtbaren Blüthen&#x017F;tiele nackt bleiben,<lb/>
während an den unfruchtbaren eine elegante Behaarung &#x017F;ich<lb/>
bildet; auch die blattartige Ausbreitung &#x017F;olcher Blatt&#x017F;tiele von<lb/><hi rendition="#aq">Acacia heterophylla</hi>, welche ihre Lamina nicht entwickeln,<lb/>
führt er auf die&#x017F;e Correlation des Wachsthums zurück. Das<lb/>
merkwürdig&#x017F;te Bei&#x017F;piel die&#x017F;er Art findet er bei der Füllung der<lb/>
Blumen, wo &#x017F;einer An&#x017F;icht nach das Schwinden der Antheren,<lb/>
die corollini&#x017F;che Ausbildung der Filamente bedingt; ähnlich werde<lb/>
auch zuweilen durch das Schwinden der Narben das Carpell in<lb/>
ein Blumenblatt verwandelt. Obgleich man in manchen die&#x017F;er<lb/>
Fälle das Cau&#x017F;alverhältniß gewiß auch umgekehrt denken kann,<lb/>
&#x017F;o bleibt doch jedenfalls <hi rendition="#g">De Candolle</hi>'s Auffa&#x017F;&#x017F;ung der&#x017F;elben<lb/>
unter dem Begriff der Correlation richtig.</p><lb/>
          <p>Die zweite obengenannte Ur&#x017F;ache, durch welche der Symme-<lb/>
trieplan unkenntlich gemacht werden könne, die Degeneration,<lb/>
macht &#x017F;ich in der Bildung von Dornen, fadenförmigen Ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0155] Dogma von der Conſtanz der Arten. Sind nämlich die Arten conſtant, alſo auch abſolut verſchie- denen Urſprungs, ſo dürfte man überhaupt nicht von Abortus reden, ſondern man könnte nur ſagen, ein Organ, welches bei der einen Species vorhanden oder groß iſt, ſei bei der anderen klein oder es fehle ganz. Mit der Einführung des Begriffes Abortus überſchreitet alſo De Candolle bereits die Conſtanz der Arten, freilich ohne ſich ſelbſt über dieſen wichtigen Schritt klar zu werden. De Candolle's Verfahren zeigt eben, daß die Thatſachen ſogar einen Vertheidiger der Conſtanz wider ſeinen Willen zu theoretiſchen Annahmen führen, welche dem Dogma zuwider laufen. Dieß beſtätigt ſich auch bei ſeiner Wahrnehmung der Correlation des Wachsthums, die ſich mit dem Abortus verbindet; er weiſt darauf hin, wie durch das Schwinden der Sexualorgane in den Randblüthen von Vibur- num Opulus die Blumenkronen, wie ebenſo die Deckblätter der abortirten Blüthen von Salvia Horminum ſich vergrößern; in ähnlichem Sinne betrachtet er das Schwinden der Samen bei der Ananas, der Banane, dem Brodfruchtbaum als die Urſache der Vergrößerung der Perikarpien; ebenſo entgeht ihm nicht, daß bei Rhus Cotinus die fruchtbaren Blüthenſtiele nackt bleiben, während an den unfruchtbaren eine elegante Behaarung ſich bildet; auch die blattartige Ausbreitung ſolcher Blattſtiele von Acacia heterophylla, welche ihre Lamina nicht entwickeln, führt er auf dieſe Correlation des Wachsthums zurück. Das merkwürdigſte Beiſpiel dieſer Art findet er bei der Füllung der Blumen, wo ſeiner Anſicht nach das Schwinden der Antheren, die corolliniſche Ausbildung der Filamente bedingt; ähnlich werde auch zuweilen durch das Schwinden der Narben das Carpell in ein Blumenblatt verwandelt. Obgleich man in manchen dieſer Fälle das Cauſalverhältniß gewiß auch umgekehrt denken kann, ſo bleibt doch jedenfalls De Candolle's Auffaſſung derſelben unter dem Begriff der Correlation richtig. Die zweite obengenannte Urſache, durch welche der Symme- trieplan unkenntlich gemacht werden könne, die Degeneration, macht ſich in der Bildung von Dornen, fadenförmigen Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/155
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/155>, abgerufen am 07.05.2024.