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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Bearbeitung des natürlichen Systems unter dem
keiten wichtig, weil sie uns viel größere bei nahe verwandten
Pflanzen vermuthen lassen und jedesmal, wo es in einem gege-
benen Organisationssystem Ungleichheiten zwischen gleichnamigen
Organen gibt, wird die Ungleichheit ein Maximum erreichen
können, d. h. mit der vollständigen Vernichtung des kleinsten
Theiles endigen. So seien es bei den Labiaten mit zwei Staub-
fäden, die beiden auch sonst kleineren, welche hier vollständig
abortiren. Wenn bei den Crassulaceen doppelt so viel Staub-
fäden als Blumenblätter vorhanden sind, so finde man die mit
den letzteren alternirenden größer und zeitiger entwickelt, man
werde also erwarten dürfen, daß die anderen vor den Blumen-
blättern stehenden abortiren können und man werde also eine
Gattung, wo die letzteren zuweilen fehlen, wie Sedum, zu jener
Familie rechnen dürfen; fände man dagegen bloß die den Blumen-
blättern superponirten Staubgefäße, so dürfte dieß nicht geschehen.
-- Es komme vor, daß ein Organ durch theilweisen Abortus
verhindert wird, seine Function zu erfüllen. Dafür könne es
dann aber eine andere übernehmen, wie die abortirenden Blätter
der Wicken und die abortirenden Blüthenrispen des Weinstockes
als Ranken verwendet werden u. s. w. In anderen Fällen
dagegen erscheine das abortirte Organ geradezu nutzlos, so z. B.
viele rudimentäre Blätter ohne Function. Alle derartigen unnützen
Organe, sagt de Candolle, existiren nur in Folge der primi-
tiven Symmetrie aller Organe. Endlich kann der Abortus so
vollständig sein, daß keine Spur des Organs übrig bleibt, wobei
man jedoch zwei Fälle unterscheidet, den einen, wo das Organ
anfangs noch merklich ist, später aber ganz verschwindet, wie bei
den abortirenden Fruchtfächern der Eiche; in anderen Fällen
dagegen finde man von dem abortirenden Organ gleich anfangs
keine Spur, wie von dem fünften Staubfaden des Antirrhinum.

Alles bisher Gesagte könnte wörtlich zum Beweis für die
Descendenztheorie angeführt werden, aber unser Autor ist ein
Anhänger des Dogma's von der Constanz der Arten; was er
sich auf seinem Standpunct unter Abortus eigentlich denkt, ist
schwer zu sagen, denn es fehlt ihm das Object, welches abortirt.

Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem
keiten wichtig, weil ſie uns viel größere bei nahe verwandten
Pflanzen vermuthen laſſen und jedesmal, wo es in einem gege-
benen Organiſationsſyſtem Ungleichheiten zwiſchen gleichnamigen
Organen gibt, wird die Ungleichheit ein Maximum erreichen
können, d. h. mit der vollſtändigen Vernichtung des kleinſten
Theiles endigen. So ſeien es bei den Labiaten mit zwei Staub-
fäden, die beiden auch ſonſt kleineren, welche hier vollſtändig
abortiren. Wenn bei den Craſſulaceen doppelt ſo viel Staub-
fäden als Blumenblätter vorhanden ſind, ſo finde man die mit
den letzteren alternirenden größer und zeitiger entwickelt, man
werde alſo erwarten dürfen, daß die anderen vor den Blumen-
blättern ſtehenden abortiren können und man werde alſo eine
Gattung, wo die letzteren zuweilen fehlen, wie Sedum, zu jener
Familie rechnen dürfen; fände man dagegen bloß die den Blumen-
blättern ſuperponirten Staubgefäße, ſo dürfte dieß nicht geſchehen.
— Es komme vor, daß ein Organ durch theilweiſen Abortus
verhindert wird, ſeine Function zu erfüllen. Dafür könne es
dann aber eine andere übernehmen, wie die abortirenden Blätter
der Wicken und die abortirenden Blüthenriſpen des Weinſtockes
als Ranken verwendet werden u. ſ. w. In anderen Fällen
dagegen erſcheine das abortirte Organ geradezu nutzlos, ſo z. B.
viele rudimentäre Blätter ohne Function. Alle derartigen unnützen
Organe, ſagt de Candolle, exiſtiren nur in Folge der primi-
tiven Symmetrie aller Organe. Endlich kann der Abortus ſo
vollſtändig ſein, daß keine Spur des Organs übrig bleibt, wobei
man jedoch zwei Fälle unterſcheidet, den einen, wo das Organ
anfangs noch merklich iſt, ſpäter aber ganz verſchwindet, wie bei
den abortirenden Fruchtfächern der Eiche; in anderen Fällen
dagegen finde man von dem abortirenden Organ gleich anfangs
keine Spur, wie von dem fünften Staubfaden des Antirrhinum.

Alles bisher Geſagte könnte wörtlich zum Beweis für die
Deſcendenztheorie angeführt werden, aber unſer Autor iſt ein
Anhänger des Dogma's von der Conſtanz der Arten; was er
ſich auf ſeinem Standpunct unter Abortus eigentlich denkt, iſt
ſchwer zu ſagen, denn es fehlt ihm das Object, welches abortirt.

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[142/0154] Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem keiten wichtig, weil ſie uns viel größere bei nahe verwandten Pflanzen vermuthen laſſen und jedesmal, wo es in einem gege- benen Organiſationsſyſtem Ungleichheiten zwiſchen gleichnamigen Organen gibt, wird die Ungleichheit ein Maximum erreichen können, d. h. mit der vollſtändigen Vernichtung des kleinſten Theiles endigen. So ſeien es bei den Labiaten mit zwei Staub- fäden, die beiden auch ſonſt kleineren, welche hier vollſtändig abortiren. Wenn bei den Craſſulaceen doppelt ſo viel Staub- fäden als Blumenblätter vorhanden ſind, ſo finde man die mit den letzteren alternirenden größer und zeitiger entwickelt, man werde alſo erwarten dürfen, daß die anderen vor den Blumen- blättern ſtehenden abortiren können und man werde alſo eine Gattung, wo die letzteren zuweilen fehlen, wie Sedum, zu jener Familie rechnen dürfen; fände man dagegen bloß die den Blumen- blättern ſuperponirten Staubgefäße, ſo dürfte dieß nicht geſchehen. — Es komme vor, daß ein Organ durch theilweiſen Abortus verhindert wird, ſeine Function zu erfüllen. Dafür könne es dann aber eine andere übernehmen, wie die abortirenden Blätter der Wicken und die abortirenden Blüthenriſpen des Weinſtockes als Ranken verwendet werden u. ſ. w. In anderen Fällen dagegen erſcheine das abortirte Organ geradezu nutzlos, ſo z. B. viele rudimentäre Blätter ohne Function. Alle derartigen unnützen Organe, ſagt de Candolle, exiſtiren nur in Folge der primi- tiven Symmetrie aller Organe. Endlich kann der Abortus ſo vollſtändig ſein, daß keine Spur des Organs übrig bleibt, wobei man jedoch zwei Fälle unterſcheidet, den einen, wo das Organ anfangs noch merklich iſt, ſpäter aber ganz verſchwindet, wie bei den abortirenden Fruchtfächern der Eiche; in anderen Fällen dagegen finde man von dem abortirenden Organ gleich anfangs keine Spur, wie von dem fünften Staubfaden des Antirrhinum. Alles bisher Geſagte könnte wörtlich zum Beweis für die Deſcendenztheorie angeführt werden, aber unſer Autor iſt ein Anhänger des Dogma's von der Conſtanz der Arten; was er ſich auf ſeinem Standpunct unter Abortus eigentlich denkt, iſt ſchwer zu ſagen, denn es fehlt ihm das Object, welches abortirt.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/154>, abgerufen am 06.05.2024.