gesammten Botanik und je besser und umsichtiger diese gelegt ist, desto größere Sicherheit gewinnt die ganze Wissenschaft in ihren Fundamenten.
Allein De Candolle erwarb sich vielleicht ein viel größeres Verdienst dadurch, daß er nicht bloß wie Jussieu das System und seine Grundlagen descriptiv bearbeitete, sondern die Theorie der Systematik, die Gesetze der natürlichen Classification mit einer Klarheit und Tiefe entwickelte, wie Niemand vor ihm; zu diesem Zweck aber stützte er sich auf morphologische Untersuchun- gen, die an Tiefe und Gedankenreichthum, an Fruchtbarkeit für die ganze Systematik bei Weitem Alles übertrafen, was Linne und Jussieu geleistet haben. Man sieht es De Candolle's morphologischen und systematischen Untersuchungen an, daß er neben seiner großartigen descriptiven Thätigkeit den modernen Geist der Naturforschung, wie ihn die französischen Natur- forscher am Ende des vorigen Jahrhunderts bethätigten, während seines zehnjährigen Aufenthaltes in Paris in sich aufgenommen hatte. Bei De Candolle ist kaum noch eine Spur des schola- stischen Geistes Caesalpin's und Linne's, der auch bei Jussieu noch gelegentlich zum Vorschein kommt, zu finden. Um nur einige Hauptpuncte vorläufig hervorzuheben, sei darauf hingewiesen, daß De Candolle die Morphologie wesentlich als die Lehre von der Symmetrie der Pflanzengestalt behandelte, d. h. er fand die Grundlage der morphologischen Betrachtung in den Stellungs- und Zahlenverhältnissen der Organe, wogegen die physikalisch-physiologischen Eigenschaften derselben als morpho- logisch werthlos zurücktreten. De Candolle war es daher, der zuerst die so merkwürdige Discordanz der morphologischen Eigenschaften der Organe, welche für die Systematik werthvoll sind und der physiologischen Anpassungen derselben an die Lebens- bedingungen erkannte, wenn auch immerhin sogleich gesagt werden muß, daß er diesen Gedanken nicht consequent durchführte, viel- mehr bei der Aufstellung seines eigenen Systems sich arge Ver- stöße dagegen zu Schulden kommen ließ. Ein Punct von ganz hervorragendem Interesse liegt in De Candolle's morpholo-
Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem
geſammten Botanik und je beſſer und umſichtiger dieſe gelegt iſt, deſto größere Sicherheit gewinnt die ganze Wiſſenſchaft in ihren Fundamenten.
Allein De Candolle erwarb ſich vielleicht ein viel größeres Verdienſt dadurch, daß er nicht bloß wie Juſſieu das Syſtem und ſeine Grundlagen deſcriptiv bearbeitete, ſondern die Theorie der Syſtematik, die Geſetze der natürlichen Claſſification mit einer Klarheit und Tiefe entwickelte, wie Niemand vor ihm; zu dieſem Zweck aber ſtützte er ſich auf morphologiſche Unterſuchun- gen, die an Tiefe und Gedankenreichthum, an Fruchtbarkeit für die ganze Syſtematik bei Weitem Alles übertrafen, was Linné und Juſſieu geleiſtet haben. Man ſieht es De Candolle's morphologiſchen und ſyſtematiſchen Unterſuchungen an, daß er neben ſeiner großartigen deſcriptiven Thätigkeit den modernen Geiſt der Naturforſchung, wie ihn die franzöſiſchen Natur- forſcher am Ende des vorigen Jahrhunderts bethätigten, während ſeines zehnjährigen Aufenthaltes in Paris in ſich aufgenommen hatte. Bei De Candolle iſt kaum noch eine Spur des ſchola- ſtiſchen Geiſtes Caeſalpin's und Linné's, der auch bei Juſſieu noch gelegentlich zum Vorſchein kommt, zu finden. Um nur einige Hauptpuncte vorläufig hervorzuheben, ſei darauf hingewieſen, daß De Candolle die Morphologie weſentlich als die Lehre von der Symmetrie der Pflanzengeſtalt behandelte, d. h. er fand die Grundlage der morphologiſchen Betrachtung in den Stellungs- und Zahlenverhältniſſen der Organe, wogegen die phyſikaliſch-phyſiologiſchen Eigenſchaften derſelben als morpho- logiſch werthlos zurücktreten. De Candolle war es daher, der zuerſt die ſo merkwürdige Discordanz der morphologiſchen Eigenſchaften der Organe, welche für die Syſtematik werthvoll ſind und der phyſiologiſchen Anpaſſungen derſelben an die Lebens- bedingungen erkannte, wenn auch immerhin ſogleich geſagt werden muß, daß er dieſen Gedanken nicht conſequent durchführte, viel- mehr bei der Aufſtellung ſeines eigenen Syſtems ſich arge Ver- ſtöße dagegen zu Schulden kommen ließ. Ein Punct von ganz hervorragendem Intereſſe liegt in De Candolle's morpholo-
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Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem
geſammten Botanik und je beſſer und umſichtiger dieſe gelegt iſt,
deſto größere Sicherheit gewinnt die ganze Wiſſenſchaft in ihren
Fundamenten.
Allein De Candolle erwarb ſich vielleicht ein viel größeres
Verdienſt dadurch, daß er nicht bloß wie Juſſieu das Syſtem
und ſeine Grundlagen deſcriptiv bearbeitete, ſondern die Theorie
der Syſtematik, die Geſetze der natürlichen Claſſification mit
einer Klarheit und Tiefe entwickelte, wie Niemand vor ihm; zu
dieſem Zweck aber ſtützte er ſich auf morphologiſche Unterſuchun-
gen, die an Tiefe und Gedankenreichthum, an Fruchtbarkeit für
die ganze Syſtematik bei Weitem Alles übertrafen, was Linné
und Juſſieu geleiſtet haben. Man ſieht es De Candolle's
morphologiſchen und ſyſtematiſchen Unterſuchungen an, daß er
neben ſeiner großartigen deſcriptiven Thätigkeit den modernen
Geiſt der Naturforſchung, wie ihn die franzöſiſchen Natur-
forſcher am Ende des vorigen Jahrhunderts bethätigten, während
ſeines zehnjährigen Aufenthaltes in Paris in ſich aufgenommen
hatte. Bei De Candolle iſt kaum noch eine Spur des ſchola-
ſtiſchen Geiſtes Caeſalpin's und Linné's, der auch bei
Juſſieu noch gelegentlich zum Vorſchein kommt, zu finden. Um
nur einige Hauptpuncte vorläufig hervorzuheben, ſei darauf
hingewieſen, daß De Candolle die Morphologie weſentlich als
die Lehre von der Symmetrie der Pflanzengeſtalt behandelte,
d. h. er fand die Grundlage der morphologiſchen Betrachtung
in den Stellungs- und Zahlenverhältniſſen der Organe, wogegen
die phyſikaliſch-phyſiologiſchen Eigenſchaften derſelben als morpho-
logiſch werthlos zurücktreten. De Candolle war es daher,
der zuerſt die ſo merkwürdige Discordanz der morphologiſchen
Eigenſchaften der Organe, welche für die Syſtematik werthvoll
ſind und der phyſiologiſchen Anpaſſungen derſelben an die Lebens-
bedingungen erkannte, wenn auch immerhin ſogleich geſagt werden
muß, daß er dieſen Gedanken nicht conſequent durchführte, viel-
mehr bei der Aufſtellung ſeines eigenen Syſtems ſich arge Ver-
ſtöße dagegen zu Schulden kommen ließ. Ein Punct von ganz
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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