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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Dogma von der Constanz der Arten.
gischen Betrachtungen insofern, als er zuerst versuchte, gewisse
Zahlen- und Formenverhältnisse auf gewisse Ursachen zurückzu-
führen und so das primär Wichtige in der Symmetrie der
Pflanzen von bloß secundären Abweichungen zu unterscheiden,
was namentlich in der von ihm begründeten Lehre vom
Abortus und von der Verwachsung der Organe hervortritt. In
diesen Unterscheidungen legte De Candolle den Grund zu mor-
phologischen Anschauungen, welche, wenn auch zum Theil verän-
dert, noch jetzt die wichtigsten Elemente der Morphologie und
natürlichen Systematik enthalten. Indeß bewegten sich die mor-
phologischen Betrachtungen De Candolle's ausschließlich auf
dem Gebiete der Phanerogamen und vorwiegend war es die
Blüthentheorie, die dadurch gefördert wurde. Bei dem Zustand
der Mikroskopie vor 1820 war an eine Morphologie der Cryp-
togamen ebenso wenig zu denken, wie an die Herbeiziehung der
Entwicklungsgeschichte zur Aufstellung morphologischer Theorieen.

Im Zusammenhang hat De Candolle seine Morphologie
oder die Lehre von der Symmetrie und seine Theorie der Classi-
fication in einem Buch dargestellt, welches unter dem Titel:
Theorie elementaire de la botanique ou exposition des
principes de la classification naturelle et de l'art de d'ecrire
et d'etudier les vegetaux
zuerst 1813 erschien und 1819 ver-
bessert und vermehrt nochmals herauskam. An diese zweite Auf-
lage werde ich mich bei der weiteren Darstellung seiner Ansichten
halten. Von Interesse ist für uns zunächst das zweite Capitel
des zweiten Buches. Nachdem er darauf hingewiesen, daß Ana-
tomie und Physiologie es nur mit der Structur des einzelnen
Organs für sich, zu thun habe, sofern es durch diese im Stande ist,
seine Funktion zu erfüllen, hebt er hervor, daß die physiologische
Betrachtung keineswegs mehr hinreicht, wenn es sich um eine
Vergleichung der Organe verschiedener Pflanzen handelt. Ob-
gleich es richtig sei, daß die Funktion der Organe für den Be-
stand des Individuums das Wichtigste sei, so finde man doch
an homologen Organen verschiedener Pflanzen gerade die Func-
tionen modificirt; für die natürliche Classification aber sei es

Dogma von der Conſtanz der Arten.
giſchen Betrachtungen inſofern, als er zuerſt verſuchte, gewiſſe
Zahlen- und Formenverhältniſſe auf gewiſſe Urſachen zurückzu-
führen und ſo das primär Wichtige in der Symmetrie der
Pflanzen von bloß ſecundären Abweichungen zu unterſcheiden,
was namentlich in der von ihm begründeten Lehre vom
Abortus und von der Verwachſung der Organe hervortritt. In
dieſen Unterſcheidungen legte De Candolle den Grund zu mor-
phologiſchen Anſchauungen, welche, wenn auch zum Theil verän-
dert, noch jetzt die wichtigſten Elemente der Morphologie und
natürlichen Syſtematik enthalten. Indeß bewegten ſich die mor-
phologiſchen Betrachtungen De Candolle's ausſchließlich auf
dem Gebiete der Phanerogamen und vorwiegend war es die
Blüthentheorie, die dadurch gefördert wurde. Bei dem Zuſtand
der Mikroſkopie vor 1820 war an eine Morphologie der Cryp-
togamen ebenſo wenig zu denken, wie an die Herbeiziehung der
Entwicklungsgeſchichte zur Aufſtellung morphologiſcher Theorieen.

Im Zuſammenhang hat De Candolle ſeine Morphologie
oder die Lehre von der Symmetrie und ſeine Theorie der Claſſi-
fication in einem Buch dargeſtellt, welches unter dem Titel:
Théorie élémentaire de la botanique ou exposition des
principes de la classification naturelle et de l'art de d'écrire
et d'étudier les végétaux
zuerſt 1813 erſchien und 1819 ver-
beſſert und vermehrt nochmals herauskam. An dieſe zweite Auf-
lage werde ich mich bei der weiteren Darſtellung ſeiner Anſichten
halten. Von Intereſſe iſt für uns zunächſt das zweite Capitel
des zweiten Buches. Nachdem er darauf hingewieſen, daß Ana-
tomie und Phyſiologie es nur mit der Structur des einzelnen
Organs für ſich, zu thun habe, ſofern es durch dieſe im Stande iſt,
ſeine Funktion zu erfüllen, hebt er hervor, daß die phyſiologiſche
Betrachtung keineswegs mehr hinreicht, wenn es ſich um eine
Vergleichung der Organe verſchiedener Pflanzen handelt. Ob-
gleich es richtig ſei, daß die Funktion der Organe für den Be-
ſtand des Individuums das Wichtigſte ſei, ſo finde man doch
an homologen Organen verſchiedener Pflanzen gerade die Func-
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[139/0151] Dogma von der Conſtanz der Arten. giſchen Betrachtungen inſofern, als er zuerſt verſuchte, gewiſſe Zahlen- und Formenverhältniſſe auf gewiſſe Urſachen zurückzu- führen und ſo das primär Wichtige in der Symmetrie der Pflanzen von bloß ſecundären Abweichungen zu unterſcheiden, was namentlich in der von ihm begründeten Lehre vom Abortus und von der Verwachſung der Organe hervortritt. In dieſen Unterſcheidungen legte De Candolle den Grund zu mor- phologiſchen Anſchauungen, welche, wenn auch zum Theil verän- dert, noch jetzt die wichtigſten Elemente der Morphologie und natürlichen Syſtematik enthalten. Indeß bewegten ſich die mor- phologiſchen Betrachtungen De Candolle's ausſchließlich auf dem Gebiete der Phanerogamen und vorwiegend war es die Blüthentheorie, die dadurch gefördert wurde. Bei dem Zuſtand der Mikroſkopie vor 1820 war an eine Morphologie der Cryp- togamen ebenſo wenig zu denken, wie an die Herbeiziehung der Entwicklungsgeſchichte zur Aufſtellung morphologiſcher Theorieen. Im Zuſammenhang hat De Candolle ſeine Morphologie oder die Lehre von der Symmetrie und ſeine Theorie der Claſſi- fication in einem Buch dargeſtellt, welches unter dem Titel: Théorie élémentaire de la botanique ou exposition des principes de la classification naturelle et de l'art de d'écrire et d'étudier les végétaux zuerſt 1813 erſchien und 1819 ver- beſſert und vermehrt nochmals herauskam. An dieſe zweite Auf- lage werde ich mich bei der weiteren Darſtellung ſeiner Anſichten halten. Von Intereſſe iſt für uns zunächſt das zweite Capitel des zweiten Buches. Nachdem er darauf hingewieſen, daß Ana- tomie und Phyſiologie es nur mit der Structur des einzelnen Organs für ſich, zu thun habe, ſofern es durch dieſe im Stande iſt, ſeine Funktion zu erfüllen, hebt er hervor, daß die phyſiologiſche Betrachtung keineswegs mehr hinreicht, wenn es ſich um eine Vergleichung der Organe verſchiedener Pflanzen handelt. Ob- gleich es richtig ſei, daß die Funktion der Organe für den Be- ſtand des Individuums das Wichtigſte ſei, ſo finde man doch an homologen Organen verſchiedener Pflanzen gerade die Func- tionen modificirt; für die natürliche Claſſification aber ſei es

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/151>, abgerufen am 06.05.2024.