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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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der Organe von Caesalpin bis auf Linne.
Botanik erst zu einer Wissenschaft geworden sei; alles Frühere
erscheint stümperhaft und ungeordnet im Vergleich zu Linne's
Darstellungsweise. Ganz unzweifelhaft liegt in der großen
Sicherheit und Bestimmtheit, welche Linne in die Beschreibungs-
kunst einführte, sein größtes und dauerndes Verdienst nicht nur
in der Botanik, sondern auch in der Zoologie. Man darf aber
nicht übersehen, daß, wenn hiemit auch eine Reformation der
Botanik, wie es Linne selbst gern nannte, eingetreten war,
doch die Grundanschauungen vom Wesen der Pflanze eher einen
Rückschritt als einen Fortschritt durch ihn gemacht hatten.
Ray, Rivinus und zum Theil Tournefort und Morison
hatten sich bereits in hohem Grade frei gemacht von dem Ein-
fluß der Scholastik, sie machen auch uns noch den Eindruck ächter
Naturforscher; Linne dagegen war ganz in die scholastische
Anschauungsweise zurückgefallen und mit seiner glänzenden,
formalen Leistung verband sich die Scholastik so innig, daß sie
seinen Nachfolgern wie von der Systematik untrennbar erschien.

Derselbe Sinn für Ordnung und Klarheit, durch welchen
Linne zum Reformator der Beschreibungskunst wurde, in Ver-
bindung mit seiner Scholastik, war es, der ihn offenbar hinderte,
dem natürlichen System eine energischere Arbeit zuzuwenden.
Wiederholt habe ich bereits hervorgehoben, daß er es war, der
zuerst schon 1738 in seinem Fragment 65 natürliche Gruppen
aufstellte; auch zeigt sich ein gewisses Gefühl für natürliche Ver-
wandtschaft in der Aufstellung der sieben Familien, der Pilze,
Algen, Moose, Farne, Gräser, Palmen und der eigentlichen
übrigen Pflanzen. Ferner führt er in dem 163. Satz der
Philosophia botanica die Eintheilung des ganzen Pflanzenreichs
in Akotyledonen, Monokotyledonen und Polykotyledonen mit
ihren Unterabtheilungen trefflich durch; und so tritt bei ihm
immer wieder der Drang nach einer natürlichen Anordnung
hervor, ohne daß er demselben jedoch mit energischer Gedanken-
arbeit Genüge gethan hätte.

So blieben bei Linne zwei ganz verschiedene Auffassungen
der Systematik neben einander bestehen: eine flachere, für den

der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.
Botanik erſt zu einer Wiſſenſchaft geworden ſei; alles Frühere
erſcheint ſtümperhaft und ungeordnet im Vergleich zu Linné's
Darſtellungsweiſe. Ganz unzweifelhaft liegt in der großen
Sicherheit und Beſtimmtheit, welche Linné in die Beſchreibungs-
kunſt einführte, ſein größtes und dauerndes Verdienſt nicht nur
in der Botanik, ſondern auch in der Zoologie. Man darf aber
nicht überſehen, daß, wenn hiemit auch eine Reformation der
Botanik, wie es Linné ſelbſt gern nannte, eingetreten war,
doch die Grundanſchauungen vom Weſen der Pflanze eher einen
Rückſchritt als einen Fortſchritt durch ihn gemacht hatten.
Ray, Rivinus und zum Theil Tournefort und Moriſon
hatten ſich bereits in hohem Grade frei gemacht von dem Ein-
fluß der Scholaſtik, ſie machen auch uns noch den Eindruck ächter
Naturforſcher; Linné dagegen war ganz in die ſcholaſtiſche
Anſchauungsweiſe zurückgefallen und mit ſeiner glänzenden,
formalen Leiſtung verband ſich die Scholaſtik ſo innig, daß ſie
ſeinen Nachfolgern wie von der Syſtematik untrennbar erſchien.

Derſelbe Sinn für Ordnung und Klarheit, durch welchen
Linné zum Reformator der Beſchreibungskunſt wurde, in Ver-
bindung mit ſeiner Scholaſtik, war es, der ihn offenbar hinderte,
dem natürlichen Syſtem eine energiſchere Arbeit zuzuwenden.
Wiederholt habe ich bereits hervorgehoben, daß er es war, der
zuerſt ſchon 1738 in ſeinem Fragment 65 natürliche Gruppen
aufſtellte; auch zeigt ſich ein gewiſſes Gefühl für natürliche Ver-
wandtſchaft in der Aufſtellung der ſieben Familien, der Pilze,
Algen, Mooſe, Farne, Gräſer, Palmen und der eigentlichen
übrigen Pflanzen. Ferner führt er in dem 163. Satz der
Philosophia botanica die Eintheilung des ganzen Pflanzenreichs
in Akotyledonen, Monokotyledonen und Polykotyledonen mit
ihren Unterabtheilungen trefflich durch; und ſo tritt bei ihm
immer wieder der Drang nach einer natürlichen Anordnung
hervor, ohne daß er demſelben jedoch mit energiſcher Gedanken-
arbeit Genüge gethan hätte.

So blieben bei Linné zwei ganz verſchiedene Auffaſſungen
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[109/0121] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. Botanik erſt zu einer Wiſſenſchaft geworden ſei; alles Frühere erſcheint ſtümperhaft und ungeordnet im Vergleich zu Linné's Darſtellungsweiſe. Ganz unzweifelhaft liegt in der großen Sicherheit und Beſtimmtheit, welche Linné in die Beſchreibungs- kunſt einführte, ſein größtes und dauerndes Verdienſt nicht nur in der Botanik, ſondern auch in der Zoologie. Man darf aber nicht überſehen, daß, wenn hiemit auch eine Reformation der Botanik, wie es Linné ſelbſt gern nannte, eingetreten war, doch die Grundanſchauungen vom Weſen der Pflanze eher einen Rückſchritt als einen Fortſchritt durch ihn gemacht hatten. Ray, Rivinus und zum Theil Tournefort und Moriſon hatten ſich bereits in hohem Grade frei gemacht von dem Ein- fluß der Scholaſtik, ſie machen auch uns noch den Eindruck ächter Naturforſcher; Linné dagegen war ganz in die ſcholaſtiſche Anſchauungsweiſe zurückgefallen und mit ſeiner glänzenden, formalen Leiſtung verband ſich die Scholaſtik ſo innig, daß ſie ſeinen Nachfolgern wie von der Syſtematik untrennbar erſchien. Derſelbe Sinn für Ordnung und Klarheit, durch welchen Linné zum Reformator der Beſchreibungskunſt wurde, in Ver- bindung mit ſeiner Scholaſtik, war es, der ihn offenbar hinderte, dem natürlichen Syſtem eine energiſchere Arbeit zuzuwenden. Wiederholt habe ich bereits hervorgehoben, daß er es war, der zuerſt ſchon 1738 in ſeinem Fragment 65 natürliche Gruppen aufſtellte; auch zeigt ſich ein gewiſſes Gefühl für natürliche Ver- wandtſchaft in der Aufſtellung der ſieben Familien, der Pilze, Algen, Mooſe, Farne, Gräſer, Palmen und der eigentlichen übrigen Pflanzen. Ferner führt er in dem 163. Satz der Philosophia botanica die Eintheilung des ganzen Pflanzenreichs in Akotyledonen, Monokotyledonen und Polykotyledonen mit ihren Unterabtheilungen trefflich durch; und ſo tritt bei ihm immer wieder der Drang nach einer natürlichen Anordnung hervor, ohne daß er demſelben jedoch mit energiſcher Gedanken- arbeit Genüge gethan hätte. So blieben bei Linné zwei ganz verſchiedene Auffaſſungen der Syſtematik neben einander beſtehen: eine flachere, für den

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/121>, abgerufen am 27.04.2024.