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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die künstlichen Systeme und die Nomenclatur
Meinung beruhen. Daß Linne die Thätigkeit der Systematiker
nach Caesalpin sowie die Verdienste der deutschen Väter der
Pflanzenkunde bis auf Bauhin in ganz ähnlicher Weise auf-
faßte, wie es in dem hier vorliegenden Buch geschieht, zeigt der
163. Satz, wo er das Wort Habitus erklärt und hinzusetzt,
Caspar Bauhin und die Aelteren hätten aus dem Habitus
die Verwandtschaften der Pflanzen vorzüglich errathen (divina-
runt
), und selbst die ächten Systematiker hätten sich öfter geirrt,
wo der Habitus den richtigen Weg zeigte. Die natürliche An-
ordnung, welche das letzte Ziel der Botanik sei, gründe sich aber,
wie erst die Neueren entdeckt hätten, auf die Fructification, ob-
gleich auch diese nicht alle Classen enthüllt. Sehr interessant ist
es nun zu sehen, wie Linne weiterhin (Satz 168) die Lehre
gibt, daß man bei der Aufstellung der Gattungen, obgleich die-
selbe nach der Fructification geschehen muß, doch auch den Ha-
bitus berücksichtigen müsse, damit nicht etwa wegen eines klein-
lichen Merkmales (levi de causa) eine unrichtige Gattung auf-
gestellt werde. Diese Berücksichtigung des Habitus müsse jedoch
heimlich geschehen, damit er nicht etwa die wissenschaftliche Diag-
nose störe.

Im Folgenden giebt nun Linne sehr ausführlich und bis
ins Einzelne hinein die Regeln, nach denen die Aufstellung der
Species, Gattungen, Ordnungen und Classen und deren Benen-
nung vorgenommen werden müsse und hier ist es, wo Linne
seine unbestrittene Meisterschaft als Systematiker entwickelte.
Diese von ihm aufgestellten Regeln wurden von ihm selbst in
seinen zahlreichen descriptiven Werken pünktlich befolgt und so
durch Linne ein Geist der Ordnung und Klarheit in die Kunst
der Pflanzenbeschreibung eingeführt, durch welchen diese im Ver-
gleich zu allen Vorgängern Linne's plötzlich ein ganz anderes
Ansehen gewann. Wer daher die Genera plantarum, das
Systema naturae und die anderen descriptiven Werke Linne's
mit den Werken von Morison, Ray, Rivinus, Tourne-
fort vergleicht, findet hier einen Umschwung, der nothwendig
den Eindruck hervorruft, als ob mit Linne plötzlich die ganze

Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
Meinung beruhen. Daß Linné die Thätigkeit der Syſtematiker
nach Caeſalpin ſowie die Verdienſte der deutſchen Väter der
Pflanzenkunde bis auf Bauhin in ganz ähnlicher Weiſe auf-
faßte, wie es in dem hier vorliegenden Buch geſchieht, zeigt der
163. Satz, wo er das Wort Habitus erklärt und hinzuſetzt,
Caspar Bauhin und die Aelteren hätten aus dem Habitus
die Verwandtſchaften der Pflanzen vorzüglich errathen (divina-
runt
), und ſelbſt die ächten Syſtematiker hätten ſich öfter geirrt,
wo der Habitus den richtigen Weg zeigte. Die natürliche An-
ordnung, welche das letzte Ziel der Botanik ſei, gründe ſich aber,
wie erſt die Neueren entdeckt hätten, auf die Fructification, ob-
gleich auch dieſe nicht alle Claſſen enthüllt. Sehr intereſſant iſt
es nun zu ſehen, wie Linné weiterhin (Satz 168) die Lehre
gibt, daß man bei der Aufſtellung der Gattungen, obgleich die-
ſelbe nach der Fructification geſchehen muß, doch auch den Ha-
bitus berückſichtigen müſſe, damit nicht etwa wegen eines klein-
lichen Merkmales (levi de causa) eine unrichtige Gattung auf-
geſtellt werde. Dieſe Berückſichtigung des Habitus müſſe jedoch
heimlich geſchehen, damit er nicht etwa die wiſſenſchaftliche Diag-
noſe ſtöre.

Im Folgenden giebt nun Linné ſehr ausführlich und bis
ins Einzelne hinein die Regeln, nach denen die Aufſtellung der
Species, Gattungen, Ordnungen und Claſſen und deren Benen-
nung vorgenommen werden müſſe und hier iſt es, wo Linné
ſeine unbeſtrittene Meiſterſchaft als Syſtematiker entwickelte.
Dieſe von ihm aufgeſtellten Regeln wurden von ihm ſelbſt in
ſeinen zahlreichen deſcriptiven Werken pünktlich befolgt und ſo
durch Linné ein Geiſt der Ordnung und Klarheit in die Kunſt
der Pflanzenbeſchreibung eingeführt, durch welchen dieſe im Ver-
gleich zu allen Vorgängern Linné's plötzlich ein ganz anderes
Anſehen gewann. Wer daher die Genera plantarum, das
Systema naturae und die anderen deſcriptiven Werke Linné's
mit den Werken von Moriſon, Ray, Rivinus, Tourne-
fort vergleicht, findet hier einen Umſchwung, der nothwendig
den Eindruck hervorruft, als ob mit Linné plötzlich die ganze

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[108/0120] Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur Meinung beruhen. Daß Linné die Thätigkeit der Syſtematiker nach Caeſalpin ſowie die Verdienſte der deutſchen Väter der Pflanzenkunde bis auf Bauhin in ganz ähnlicher Weiſe auf- faßte, wie es in dem hier vorliegenden Buch geſchieht, zeigt der 163. Satz, wo er das Wort Habitus erklärt und hinzuſetzt, Caspar Bauhin und die Aelteren hätten aus dem Habitus die Verwandtſchaften der Pflanzen vorzüglich errathen (divina- runt), und ſelbſt die ächten Syſtematiker hätten ſich öfter geirrt, wo der Habitus den richtigen Weg zeigte. Die natürliche An- ordnung, welche das letzte Ziel der Botanik ſei, gründe ſich aber, wie erſt die Neueren entdeckt hätten, auf die Fructification, ob- gleich auch dieſe nicht alle Claſſen enthüllt. Sehr intereſſant iſt es nun zu ſehen, wie Linné weiterhin (Satz 168) die Lehre gibt, daß man bei der Aufſtellung der Gattungen, obgleich die- ſelbe nach der Fructification geſchehen muß, doch auch den Ha- bitus berückſichtigen müſſe, damit nicht etwa wegen eines klein- lichen Merkmales (levi de causa) eine unrichtige Gattung auf- geſtellt werde. Dieſe Berückſichtigung des Habitus müſſe jedoch heimlich geſchehen, damit er nicht etwa die wiſſenſchaftliche Diag- noſe ſtöre. Im Folgenden giebt nun Linné ſehr ausführlich und bis ins Einzelne hinein die Regeln, nach denen die Aufſtellung der Species, Gattungen, Ordnungen und Claſſen und deren Benen- nung vorgenommen werden müſſe und hier iſt es, wo Linné ſeine unbeſtrittene Meiſterſchaft als Syſtematiker entwickelte. Dieſe von ihm aufgeſtellten Regeln wurden von ihm ſelbſt in ſeinen zahlreichen deſcriptiven Werken pünktlich befolgt und ſo durch Linné ein Geiſt der Ordnung und Klarheit in die Kunſt der Pflanzenbeſchreibung eingeführt, durch welchen dieſe im Ver- gleich zu allen Vorgängern Linné's plötzlich ein ganz anderes Anſehen gewann. Wer daher die Genera plantarum, das Systema naturae und die anderen deſcriptiven Werke Linné's mit den Werken von Moriſon, Ray, Rivinus, Tourne- fort vergleicht, findet hier einen Umſchwung, der nothwendig den Eindruck hervorruft, als ob mit Linné plötzlich die ganze

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/120>, abgerufen am 27.04.2024.