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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die künstlichen Systeme und die Nomenclatur
und den Rhizomen, während die radicula ungefähr das bedeutet,
was wir jetzt Nebenwurzel nennen.

Das Kraut ist derjenige Theil eines Vegetabils, welcher
aus der Wurzel entspringt und von der Fructification begrenzt
ist; es besteht aus dem Stamm, den Blättern, den Blattstützen
(fulcrum) und den Ueberwinterungsorganen (hibernaculum).
Es folgen nun die weiteren Distinctionen des Stammes und der
Blätter; die noch jetzt zum Theil übliche Nomenclatur wird hier,
im Wesentlichen auf die Definitionen des Jungius gestützt, mit
großer Ausführlichkeit aufgestellt. Der merkwürdigen, auf die
Symmetrieverhältnisse gegründeten Unterscheidung von Stamm und
Blatt bei Jungius erwähnt Linne jedoch nicht, wie er über-
haupt in seiner Nomenclatur weniger tiefe Auffassung als dieser
verräth, sich mehr an die unmittelbar sinnliche Wahrnehmung
hält und so Vieles unterscheidet, was objektiv gleichartig ist.
Davon giebt sogleich der die fulcra behandelnde Paragraph Bei-
spiele; mit diesem Terminus bezeichnet er nämlich Hülfsorgane
der Pflanze, zu denen er die Nebenblätter, Deckblätter, Dornen,
Stacheln, Ranken, Drüsen und Haare rechnet. Es geht daraus
hervor, daß Linne den Begriff Blatt (folium) nicht auf die
Deckblätter und Nebenblätter ausdehnte und die für die Ranken
aufgeführten Beispiele zeigen zugleich, daß er die ganz verschiedene
morphologische Bedeutung einer solchen bei Vitis und bei Pisum
durchaus nicht kannte. Die Zusammenstellung der genannten
sieben Organe unter dem Begriff fulcrum zeigt recht deutlich,
wie Linne bei der Aufstellung seiner Nomenclatur nur darauf
ausging, das sinnlich Verschiedene mit bestimmten Worten zu be-
zeichnen, um so die Mittel zu einer kurzen Diagnose der Species
und Gattungen zu gewinnen; ihm lag es fern, aus der ver-
gleichenden Formbetrachtung der Pflanzen allgemeinere Sätze ab-
zuleiten, um so einen tieferen Einblick in die Natur der Pflanze
zu gewinnen. Dasselbe erkennt man in der Aufstellung des Be-
griffes hibernaculum, worunter er einen Theil der Pflanze
versteht, welcher das noch embryonale Kraut umschließt und vor
äußerer Unbill schützt; er unterscheidet hier die Zwiebel und die

Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
und den Rhizomen, während die radicula ungefähr das bedeutet,
was wir jetzt Nebenwurzel nennen.

Das Kraut iſt derjenige Theil eines Vegetabils, welcher
aus der Wurzel entſpringt und von der Fructification begrenzt
iſt; es beſteht aus dem Stamm, den Blättern, den Blattſtützen
(fulcrum) und den Ueberwinterungsorganen (hibernaculum).
Es folgen nun die weiteren Diſtinctionen des Stammes und der
Blätter; die noch jetzt zum Theil übliche Nomenclatur wird hier,
im Weſentlichen auf die Definitionen des Jungius geſtützt, mit
großer Ausführlichkeit aufgeſtellt. Der merkwürdigen, auf die
Symmetrieverhältniſſe gegründeten Unterſcheidung von Stamm und
Blatt bei Jungius erwähnt Linné jedoch nicht, wie er über-
haupt in ſeiner Nomenclatur weniger tiefe Auffaſſung als dieſer
verräth, ſich mehr an die unmittelbar ſinnliche Wahrnehmung
hält und ſo Vieles unterſcheidet, was objektiv gleichartig iſt.
Davon giebt ſogleich der die fulcra behandelnde Paragraph Bei-
ſpiele; mit dieſem Terminus bezeichnet er nämlich Hülfsorgane
der Pflanze, zu denen er die Nebenblätter, Deckblätter, Dornen,
Stacheln, Ranken, Drüſen und Haare rechnet. Es geht daraus
hervor, daß Linné den Begriff Blatt (folium) nicht auf die
Deckblätter und Nebenblätter ausdehnte und die für die Ranken
aufgeführten Beiſpiele zeigen zugleich, daß er die ganz verſchiedene
morphologiſche Bedeutung einer ſolchen bei Vitis und bei Pisum
durchaus nicht kannte. Die Zuſammenſtellung der genannten
ſieben Organe unter dem Begriff fulcrum zeigt recht deutlich,
wie Linné bei der Aufſtellung ſeiner Nomenclatur nur darauf
ausging, das ſinnlich Verſchiedene mit beſtimmten Worten zu be-
zeichnen, um ſo die Mittel zu einer kurzen Diagnoſe der Species
und Gattungen zu gewinnen; ihm lag es fern, aus der ver-
gleichenden Formbetrachtung der Pflanzen allgemeinere Sätze ab-
zuleiten, um ſo einen tieferen Einblick in die Natur der Pflanze
zu gewinnen. Dasſelbe erkennt man in der Aufſtellung des Be-
griffes hibernaculum, worunter er einen Theil der Pflanze
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äußerer Unbill ſchützt; er unterſcheidet hier die Zwiebel und die

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[102/0114] Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur und den Rhizomen, während die radicula ungefähr das bedeutet, was wir jetzt Nebenwurzel nennen. Das Kraut iſt derjenige Theil eines Vegetabils, welcher aus der Wurzel entſpringt und von der Fructification begrenzt iſt; es beſteht aus dem Stamm, den Blättern, den Blattſtützen (fulcrum) und den Ueberwinterungsorganen (hibernaculum). Es folgen nun die weiteren Diſtinctionen des Stammes und der Blätter; die noch jetzt zum Theil übliche Nomenclatur wird hier, im Weſentlichen auf die Definitionen des Jungius geſtützt, mit großer Ausführlichkeit aufgeſtellt. Der merkwürdigen, auf die Symmetrieverhältniſſe gegründeten Unterſcheidung von Stamm und Blatt bei Jungius erwähnt Linné jedoch nicht, wie er über- haupt in ſeiner Nomenclatur weniger tiefe Auffaſſung als dieſer verräth, ſich mehr an die unmittelbar ſinnliche Wahrnehmung hält und ſo Vieles unterſcheidet, was objektiv gleichartig iſt. Davon giebt ſogleich der die fulcra behandelnde Paragraph Bei- ſpiele; mit dieſem Terminus bezeichnet er nämlich Hülfsorgane der Pflanze, zu denen er die Nebenblätter, Deckblätter, Dornen, Stacheln, Ranken, Drüſen und Haare rechnet. Es geht daraus hervor, daß Linné den Begriff Blatt (folium) nicht auf die Deckblätter und Nebenblätter ausdehnte und die für die Ranken aufgeführten Beiſpiele zeigen zugleich, daß er die ganz verſchiedene morphologiſche Bedeutung einer ſolchen bei Vitis und bei Pisum durchaus nicht kannte. Die Zuſammenſtellung der genannten ſieben Organe unter dem Begriff fulcrum zeigt recht deutlich, wie Linné bei der Aufſtellung ſeiner Nomenclatur nur darauf ausging, das ſinnlich Verſchiedene mit beſtimmten Worten zu be- zeichnen, um ſo die Mittel zu einer kurzen Diagnoſe der Species und Gattungen zu gewinnen; ihm lag es fern, aus der ver- gleichenden Formbetrachtung der Pflanzen allgemeinere Sätze ab- zuleiten, um ſo einen tieferen Einblick in die Natur der Pflanze zu gewinnen. Dasſelbe erkennt man in der Aufſtellung des Be- griffes hibernaculum, worunter er einen Theil der Pflanze verſteht, welcher das noch embryonale Kraut umſchließt und vor äußerer Unbill ſchützt; er unterſcheidet hier die Zwiebel und die

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/114>, abgerufen am 27.04.2024.