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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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der Organe von Caesalpin bis auf Linne.
gegen den ihm von seinen Zeitgenossen wiederholt gemachten
Vorwurf in Schutz zu nehmen, als ob er die Idee seines Sexual-
Systems diesen beiden verdanke. Allerdings hatten sie, sowie
später Linne, in der großen physiologischen Bedeutung der
Sexualorgane irrthümlich den Grund gefunden, aus ihren Ver-
schiedenheiten die Eintheilungsgründe für ein System abzuleiten;
aber das war eben der Irrthum in der Sache; das richtige,
was nun Linne wirklich that, sich nämlich für den Zweck der
Systematik an rein morphologische Eigenschaften zu halten und
diese zweckmäßig zu verwerthen, das thaten jene nicht. Was
der berühmte Philosoph 1) gelegentlich im Jahre 1701 über den
in Frage stehenden Gegenstand äußerte, ist übrigens so unbe-
deutend und unbestimmt, daß Linne keinesfalls viel daraus
entnehmen konnte; viel besser ist freilich, was Burckhardt 2) in
seinem oft genannten Briefe an Leibnitz 1702 in dieser Be-
ziehung sagt und streift schon ungefähr den Gedanken Linne's;
aber von den dort gemachten Andeutungen bis zu dem durch-
geführten Aufbau eines wohlgegliederten und practisch höchst
brauchbaren System, wie es Linne erfand, ist ein gar weiter Weg.

Einseitig hatten die Botaniker des 16. Jahrhunderts und
im Grunde auch noch Morison und Ray den Schwerpunkt
ihrer Thätigkeit in die Unterscheidung der Species, ebenso hatten
Rivinus und Tournefort das Hauptgewicht in die Aufstellung
der Gattungscharaktere mit Vernachläßigung der Species gelegt;
Linne verwendete dagegen dieselbe Sorgfalt und viel größere
Kunst auf die Beschreibung sowohl der Gattungen wie der Species.
Er brachte zu practischer Geltung, was Rivin als frommen
Wunsch oder als Vorschrift aufgestellt hatte und so darf er,
wenn auch nicht als der Erfinder, so doch als der eigentliche Begrün-
der der binären Nomenclatur der Organismen betrachtet werden.

Wenn hier die Quellen nahmhaft gemacht wurden, aus

1) Abgedruckt in Jesseus Botanik der Gegenwart und Vorzeit p. 287.
2) Epistola ad Godofredum Guielielmum Leibnitzium etc. cum Lau-
rentii Heisteri praefaione Helmstadii
1750.

der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.
gegen den ihm von ſeinen Zeitgenoſſen wiederholt gemachten
Vorwurf in Schutz zu nehmen, als ob er die Idee ſeines Sexual-
Syſtems dieſen beiden verdanke. Allerdings hatten ſie, ſowie
ſpäter Linné, in der großen phyſiologiſchen Bedeutung der
Sexualorgane irrthümlich den Grund gefunden, aus ihren Ver-
ſchiedenheiten die Eintheilungsgründe für ein Syſtem abzuleiten;
aber das war eben der Irrthum in der Sache; das richtige,
was nun Linné wirklich that, ſich nämlich für den Zweck der
Syſtematik an rein morphologiſche Eigenſchaften zu halten und
dieſe zweckmäßig zu verwerthen, das thaten jene nicht. Was
der berühmte Philoſoph 1) gelegentlich im Jahre 1701 über den
in Frage ſtehenden Gegenſtand äußerte, iſt übrigens ſo unbe-
deutend und unbeſtimmt, daß Linné keinesfalls viel daraus
entnehmen konnte; viel beſſer iſt freilich, was Burckhardt 2) in
ſeinem oft genannten Briefe an Leibnitz 1702 in dieſer Be-
ziehung ſagt und ſtreift ſchon ungefähr den Gedanken Linné's;
aber von den dort gemachten Andeutungen bis zu dem durch-
geführten Aufbau eines wohlgegliederten und practiſch höchſt
brauchbaren Syſtem, wie es Linné erfand, iſt ein gar weiter Weg.

Einſeitig hatten die Botaniker des 16. Jahrhunderts und
im Grunde auch noch Moriſon und Ray den Schwerpunkt
ihrer Thätigkeit in die Unterſcheidung der Species, ebenſo hatten
Rivinus und Tournefort das Hauptgewicht in die Aufſtellung
der Gattungscharaktere mit Vernachläßigung der Species gelegt;
Linné verwendete dagegen dieſelbe Sorgfalt und viel größere
Kunſt auf die Beſchreibung ſowohl der Gattungen wie der Species.
Er brachte zu practiſcher Geltung, was Rivin als frommen
Wunſch oder als Vorſchrift aufgeſtellt hatte und ſo darf er,
wenn auch nicht als der Erfinder, ſo doch als der eigentliche Begrün-
der der binären Nomenclatur der Organismen betrachtet werden.

Wenn hier die Quellen nahmhaft gemacht wurden, aus

1) Abgedruckt in Jeſſeus Botanik der Gegenwart und Vorzeit p. 287.
2) Epistola ad Godofredum Guielielmum Leibnitzium etc. cum Lau-
rentii Heisteri praefaione Helmstadii
1750.
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[89/0101] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. gegen den ihm von ſeinen Zeitgenoſſen wiederholt gemachten Vorwurf in Schutz zu nehmen, als ob er die Idee ſeines Sexual- Syſtems dieſen beiden verdanke. Allerdings hatten ſie, ſowie ſpäter Linné, in der großen phyſiologiſchen Bedeutung der Sexualorgane irrthümlich den Grund gefunden, aus ihren Ver- ſchiedenheiten die Eintheilungsgründe für ein Syſtem abzuleiten; aber das war eben der Irrthum in der Sache; das richtige, was nun Linné wirklich that, ſich nämlich für den Zweck der Syſtematik an rein morphologiſche Eigenſchaften zu halten und dieſe zweckmäßig zu verwerthen, das thaten jene nicht. Was der berühmte Philoſoph 1) gelegentlich im Jahre 1701 über den in Frage ſtehenden Gegenſtand äußerte, iſt übrigens ſo unbe- deutend und unbeſtimmt, daß Linné keinesfalls viel daraus entnehmen konnte; viel beſſer iſt freilich, was Burckhardt 2) in ſeinem oft genannten Briefe an Leibnitz 1702 in dieſer Be- ziehung ſagt und ſtreift ſchon ungefähr den Gedanken Linné's; aber von den dort gemachten Andeutungen bis zu dem durch- geführten Aufbau eines wohlgegliederten und practiſch höchſt brauchbaren Syſtem, wie es Linné erfand, iſt ein gar weiter Weg. Einſeitig hatten die Botaniker des 16. Jahrhunderts und im Grunde auch noch Moriſon und Ray den Schwerpunkt ihrer Thätigkeit in die Unterſcheidung der Species, ebenſo hatten Rivinus und Tournefort das Hauptgewicht in die Aufſtellung der Gattungscharaktere mit Vernachläßigung der Species gelegt; Linné verwendete dagegen dieſelbe Sorgfalt und viel größere Kunſt auf die Beſchreibung ſowohl der Gattungen wie der Species. Er brachte zu practiſcher Geltung, was Rivin als frommen Wunſch oder als Vorſchrift aufgeſtellt hatte und ſo darf er, wenn auch nicht als der Erfinder, ſo doch als der eigentliche Begrün- der der binären Nomenclatur der Organismen betrachtet werden. Wenn hier die Quellen nahmhaft gemacht wurden, aus 1) Abgedruckt in Jeſſeus Botanik der Gegenwart und Vorzeit p. 287. 2) Epistola ad Godofredum Guielielmum Leibnitzium etc. cum Lau- rentii Heisteri praefaione Helmstadii 1750.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/101>, abgerufen am 23.11.2024.