Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.liegen meine Geigen verstimmt und bestäubt; seit Monden "Freveln Sie nicht", sagte ich ernst und streng. "Wer¬ "O, Sie sind ein Mann!" rief sie, "und wissen nicht, "Ich weiß es. Die Liebe ist der Lebensinhalt des Wei¬ liegen meine Geigen verſtimmt und beſtäubt; ſeit Monden „Freveln Sie nicht“, ſagte ich ernſt und ſtreng. „Wer¬ „O, Sie ſind ein Mann!“ rief ſie, „und wiſſen nicht, „Ich weiß es. Die Liebe iſt der Lebensinhalt des Wei¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0252" n="236"/> liegen meine Geigen verſtimmt und beſtäubt; ſeit Monden<lb/> ſpiel' ich nicht mehr. Ja früher — da gab es keine größere<lb/> Seligkeit für mich, als die ſtille Sehnſucht, die jubelnde Freude,<lb/> die ſüßen Schmerzen meiner Bruſt in den mitempfindenden<lb/> Saiten austönen zu laſſen. Aber jetzt haſſ' ich ſie, und nur<lb/> manchmal überkommt es mich, darin zu wüthen, daß ſie zer¬<lb/> ſpringen wie mein Herz!“</p><lb/> <p>„Freveln Sie nicht“, ſagte ich ernſt und ſtreng. „Wer¬<lb/> fen Sie nicht thöricht das göttliche Geſchenk von ſich, womit<lb/> Sie das Schickſal vor Tauſenden begnadet hat! Erwägen<lb/> Sie, wie viele Menſchen um Sie her unter der Laſt des<lb/> Elends, des Kummers und der Verzweiflung ſeufzen und nichts<lb/> beſitzen, woran ſie ſich aufrecht halten, woran ſie ſich in eine<lb/> freiere Atmoſphäre emporringen könnten. Erwägen Sie, wie<lb/> viele berechtigte Hoffnungen in dieſem Leben ſcheitern, und ver¬<lb/> zichten Sie auf das, was Sie verloren haben.“</p><lb/> <p>„O, Sie ſind ein Mann!“ rief ſie, „und wiſſen nicht,<lb/> was dem Weibe die Liebe iſt!“</p><lb/> <p>„Ich weiß es. Die Liebe iſt der Lebensinhalt des Wei¬<lb/> bes. Allein die ewigen Ideen, der Fortſchritt im Ganzen und<lb/> Großen, die Sorge für das allgemeine Wohl ſind und waren<lb/> bis jetzt der Lebensinhalt des Mannes. Und wie oft muß<lb/> er, woran er den Schweiß und die ganze Kraft ſeines Daſeins<lb/> gewandt, über Nacht zuſammenbrechen und ſich mit Undank,<lb/> Hohn und Spott, mit der öffentlichen Verachtung belohnt ſehen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [236/0252]
liegen meine Geigen verſtimmt und beſtäubt; ſeit Monden
ſpiel' ich nicht mehr. Ja früher — da gab es keine größere
Seligkeit für mich, als die ſtille Sehnſucht, die jubelnde Freude,
die ſüßen Schmerzen meiner Bruſt in den mitempfindenden
Saiten austönen zu laſſen. Aber jetzt haſſ' ich ſie, und nur
manchmal überkommt es mich, darin zu wüthen, daß ſie zer¬
ſpringen wie mein Herz!“
„Freveln Sie nicht“, ſagte ich ernſt und ſtreng. „Wer¬
fen Sie nicht thöricht das göttliche Geſchenk von ſich, womit
Sie das Schickſal vor Tauſenden begnadet hat! Erwägen
Sie, wie viele Menſchen um Sie her unter der Laſt des
Elends, des Kummers und der Verzweiflung ſeufzen und nichts
beſitzen, woran ſie ſich aufrecht halten, woran ſie ſich in eine
freiere Atmoſphäre emporringen könnten. Erwägen Sie, wie
viele berechtigte Hoffnungen in dieſem Leben ſcheitern, und ver¬
zichten Sie auf das, was Sie verloren haben.“
„O, Sie ſind ein Mann!“ rief ſie, „und wiſſen nicht,
was dem Weibe die Liebe iſt!“
„Ich weiß es. Die Liebe iſt der Lebensinhalt des Wei¬
bes. Allein die ewigen Ideen, der Fortſchritt im Ganzen und
Großen, die Sorge für das allgemeine Wohl ſind und waren
bis jetzt der Lebensinhalt des Mannes. Und wie oft muß
er, woran er den Schweiß und die ganze Kraft ſeines Daſeins
gewandt, über Nacht zuſammenbrechen und ſich mit Undank,
Hohn und Spott, mit der öffentlichen Verachtung belohnt ſehen.
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