Sie -- und auch keinen Anderen. Mimi gehört zu den Frauen, die erst dann lieben, wenn sie selbst nicht mehr fähig sind, Liebe zu erwecken."
Er schritt langsam zu seinem Stuhl und setzte sich wieder. Schweigend, mit gesenktem Haupte schien er einem geheimni߬ vollen Echo zu lauschen, das meine Worte in seinem Innern wachgerufen. Er mußte bereits selbst schwer und oft gezwei¬ felt haben und kämpfte jetzt mit seinen Gedanken.
"Ich bin nicht in der Absicht hiehergekommen", fuhr ich, mich ihm nähernd, fort, "Gluthen anzufachen, die erloschen sind: das vermag keine Macht der Erde. Aber lassen Sie uns offen mit einander reden. Was Sie an Mimi fesselt, ist die Macht ihrer jugendlichen Reize. Sie finden bei ihr Freu¬ den und Genüsse, die Ihnen Ludovica nicht mehr zu bieten vermag. Allein bedenken Sie, daß das Dasein nicht blos im Genießen besteht, daß wir auch zu entbehren und so manches Opfer uns selbst und Anderen zu bringen haben. Bedenken Sie, daß es Pflichten gibt, die, sofern sie nicht mit unserem besseren Ich im Widerspruche stehen, unter allen Umständen erfüllt werden müssen. Erkennen Sie, daß man eine Ver¬ gangenheit nicht so leicht abschüttelt wie ein Kleid, das man wechselt. Und welchen Tausch wollen Sie treffen? Hier ein Weib, sanft und zärtlich, voll Hingebung und Treue; zu¬ frieden, mit Ihnen in ein und derselben Luft athmen zu kön¬ nen; dort ein Geschöpf, mehr stachelnd als anziehend; zwar
Sie — und auch keinen Anderen. Mimi gehört zu den Frauen, die erſt dann lieben, wenn ſie ſelbſt nicht mehr fähig ſind, Liebe zu erwecken.“
Er ſchritt langſam zu ſeinem Stuhl und ſetzte ſich wieder. Schweigend, mit geſenktem Haupte ſchien er einem geheimni߬ vollen Echo zu lauſchen, das meine Worte in ſeinem Innern wachgerufen. Er mußte bereits ſelbſt ſchwer und oft gezwei¬ felt haben und kämpfte jetzt mit ſeinen Gedanken.
„Ich bin nicht in der Abſicht hiehergekommen“, fuhr ich, mich ihm nähernd, fort, „Gluthen anzufachen, die erloſchen ſind: das vermag keine Macht der Erde. Aber laſſen Sie uns offen mit einander reden. Was Sie an Mimi feſſelt, iſt die Macht ihrer jugendlichen Reize. Sie finden bei ihr Freu¬ den und Genüſſe, die Ihnen Ludovica nicht mehr zu bieten vermag. Allein bedenken Sie, daß das Daſein nicht blos im Genießen beſteht, daß wir auch zu entbehren und ſo manches Opfer uns ſelbſt und Anderen zu bringen haben. Bedenken Sie, daß es Pflichten gibt, die, ſofern ſie nicht mit unſerem beſſeren Ich im Widerſpruche ſtehen, unter allen Umſtänden erfüllt werden müſſen. Erkennen Sie, daß man eine Ver¬ gangenheit nicht ſo leicht abſchüttelt wie ein Kleid, das man wechſelt. Und welchen Tauſch wollen Sie treffen? Hier ein Weib, ſanft und zärtlich, voll Hingebung und Treue; zu¬ frieden, mit Ihnen in ein und derſelben Luft athmen zu kön¬ nen; dort ein Geſchöpf, mehr ſtachelnd als anziehend; zwar
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Sie — und auch keinen Anderen. Mimi gehört zu den Frauen,
die erſt dann lieben, wenn ſie ſelbſt nicht mehr fähig ſind,
Liebe zu erwecken.“
Er ſchritt langſam zu ſeinem Stuhl und ſetzte ſich wieder.
Schweigend, mit geſenktem Haupte ſchien er einem geheimni߬
vollen Echo zu lauſchen, das meine Worte in ſeinem Innern
wachgerufen. Er mußte bereits ſelbſt ſchwer und oft gezwei¬
felt haben und kämpfte jetzt mit ſeinen Gedanken.
„Ich bin nicht in der Abſicht hiehergekommen“, fuhr ich,
mich ihm nähernd, fort, „Gluthen anzufachen, die erloſchen
ſind: das vermag keine Macht der Erde. Aber laſſen Sie
uns offen mit einander reden. Was Sie an Mimi feſſelt, iſt
die Macht ihrer jugendlichen Reize. Sie finden bei ihr Freu¬
den und Genüſſe, die Ihnen Ludovica nicht mehr zu bieten
vermag. Allein bedenken Sie, daß das Daſein nicht blos im
Genießen beſteht, daß wir auch zu entbehren und ſo manches
Opfer uns ſelbſt und Anderen zu bringen haben. Bedenken
Sie, daß es Pflichten gibt, die, ſofern ſie nicht mit unſerem
beſſeren Ich im Widerſpruche ſtehen, unter allen Umſtänden
erfüllt werden müſſen. Erkennen Sie, daß man eine Ver¬
gangenheit nicht ſo leicht abſchüttelt wie ein Kleid, das man
wechſelt. Und welchen Tauſch wollen Sie treffen? Hier
ein Weib, ſanft und zärtlich, voll Hingebung und Treue; zu¬
frieden, mit Ihnen in ein und derſelben Luft athmen zu kön¬
nen; dort ein Geſchöpf, mehr ſtachelnd als anziehend; zwar
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/247>, abgerufen am 22.07.2024.
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