Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.war erloschen. So ging ich, mit mir selbst im Reinen, freien Nach kurzer Zeit erhielt ich durch die Post einen Brief "Verehrter Herr! Wenn Sie morgen Abend nichts Besse¬ Ich legte das Schreiben ruhig bei Seite, denn ich dachte war erloſchen. So ging ich, mit mir ſelbſt im Reinen, freien Nach kurzer Zeit erhielt ich durch die Poſt einen Brief „Verehrter Herr! Wenn Sie morgen Abend nichts Beſſe¬ Ich legte das Schreiben ruhig bei Seite, denn ich dachte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0226" n="210"/> war erloſchen. So ging ich, mit mir ſelbſt im Reinen, freien<lb/> und fröhlichen Herzens zu Tiſche. —</p><lb/> <p>Nach kurzer Zeit erhielt ich durch die Poſt einen Brief<lb/> mit gefälligen, etwas flüchtigen Schriftzügen. Er lautete:</p><lb/> <p>„Verehrter Herr! Wenn Sie morgen Abend nichts Beſſe¬<lb/> res vorhaben, ſo ſchenken Sie uns das Vergnügen Ihres Be¬<lb/> ſuches. Sie werden blos in einem Familienkreiſe ſein. Ihre<lb/> dankſchuldigſte Ludovica.“</p><lb/> <p>Ich legte das Schreiben ruhig bei Seite, denn ich dachte<lb/> gar nicht daran, der Einladung nachzukommen. Am andern<lb/> Morgen jedoch fiel mir ein, daß es doch geradezu unartig<lb/> wäre, dieſelbe gänzlich zu ignoriren. Ich mußte mich mit<lb/> einigen Zeilen entſchuldigen und ſetzte mich an den Schreibtiſch.<lb/> Wie ich nun ſo nach einer landläufigen Ausflucht ſuchte, kam<lb/> mir meine Wahrheitsliebe in die Quere, die es mir ſelbſt in<lb/> unbedeutenden Dingen ſchwer macht, eine Lüge zu erſinnen,<lb/> und ich entſchloß mich kurz und gut, hinzugehen. So ſuchte<lb/> ich denn gegen Abend den Stadttheil auf, in welchem die Gei¬<lb/> gerin wohnte. Im dritten Stockwerk eines dichtbevölkerten<lb/> Hauſes ſchellte ich an der bezeichneten Thüre. Eine Magd<lb/> öffnete und wies mich nach dem Empfangszimmer, wo mir<lb/> Ludovica in ſchwarzem Seidenkleide, eine dunkelrothe Blume<lb/> in's Haar geſteckt, mit graziöſem Anſtand entgegen kam und<lb/> mich mit der verſammelten Geſellſchaft bekannt machte. Ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [210/0226]
war erloſchen. So ging ich, mit mir ſelbſt im Reinen, freien
und fröhlichen Herzens zu Tiſche. —
Nach kurzer Zeit erhielt ich durch die Poſt einen Brief
mit gefälligen, etwas flüchtigen Schriftzügen. Er lautete:
„Verehrter Herr! Wenn Sie morgen Abend nichts Beſſe¬
res vorhaben, ſo ſchenken Sie uns das Vergnügen Ihres Be¬
ſuches. Sie werden blos in einem Familienkreiſe ſein. Ihre
dankſchuldigſte Ludovica.“
Ich legte das Schreiben ruhig bei Seite, denn ich dachte
gar nicht daran, der Einladung nachzukommen. Am andern
Morgen jedoch fiel mir ein, daß es doch geradezu unartig
wäre, dieſelbe gänzlich zu ignoriren. Ich mußte mich mit
einigen Zeilen entſchuldigen und ſetzte mich an den Schreibtiſch.
Wie ich nun ſo nach einer landläufigen Ausflucht ſuchte, kam
mir meine Wahrheitsliebe in die Quere, die es mir ſelbſt in
unbedeutenden Dingen ſchwer macht, eine Lüge zu erſinnen,
und ich entſchloß mich kurz und gut, hinzugehen. So ſuchte
ich denn gegen Abend den Stadttheil auf, in welchem die Gei¬
gerin wohnte. Im dritten Stockwerk eines dichtbevölkerten
Hauſes ſchellte ich an der bezeichneten Thüre. Eine Magd
öffnete und wies mich nach dem Empfangszimmer, wo mir
Ludovica in ſchwarzem Seidenkleide, eine dunkelrothe Blume
in's Haar geſteckt, mit graziöſem Anſtand entgegen kam und
mich mit der verſammelten Geſellſchaft bekannt machte. Ich
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