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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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sah die zwei andern Spielerinnen und fand meine Vermuthung
von damals bestätigt; denn Ludovica sagte: "Meine Schwe¬
stern Anna und Mimi." Dann vor einem jungen Manne
mit klugen, offenen Gesichtszügen: "Herr Berger, Kaufmann."
Zuletzt warf sie einen Blick auf den, welchen ich hier zu fin¬
den gewiß war, und fügte etwas undeutlich hinzu: "Herr
Alexis." Dieser hatte sich bei meinem Eintritt vom Sitze er¬
hoben und kam jetzt, während er mir die Hand entgegen
streckte, mit großer Freundlichkeit auf mich zu, wobei er jedoch
eine gewisse Befangenheit nicht verbergen konnte. Man wies
mir neben ihm einen Platz auf dem Sopha an und ich blickte
nun, wie man dies an fremden Orten unwillkürlich zu thun
pflegt, im Gemache umher. Es sah ziemlich kahl aus und in
der Einrichtung gab sich eine gewisse Sorglosigkeit kund. Ein
älteres, aber wohlgebautes Clavier, auf welchem die Geigen
Ludovica's ruhten, fiel zuerst in die Augen, und an den Wän¬
den hingen die Bildnisse Mozart's und Beethoven's, sowie
verschiedener anderer Tonkünstler und Virtuosen. In einem
kleinem Nebenzimmer jedoch, dessen Thüre offen stand, schien
eine bürgerliche, arbeitsame Hand zu walten, und den größten
Raum nahm ein ausgedehnter Tisch ein, der mit angefangenen
weiblichen Kleidungsstücken bedeckt war. Mimi, welche, wie
ich bemerkte, meinen Blicken folgte, rief lachend: "Der Herr
verwundert sich über Anna's Zimmer. Es sieht auch darin
aus, wie in einer Schneiderwerkstätte."

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ſah die zwei andern Spielerinnen und fand meine Vermuthung
von damals beſtätigt; denn Ludovica ſagte: „Meine Schwe¬
ſtern Anna und Mimi.“ Dann vor einem jungen Manne
mit klugen, offenen Geſichtszügen: „Herr Berger, Kaufmann.“
Zuletzt warf ſie einen Blick auf den, welchen ich hier zu fin¬
den gewiß war, und fügte etwas undeutlich hinzu: „Herr
Alexis.“ Dieſer hatte ſich bei meinem Eintritt vom Sitze er¬
hoben und kam jetzt, während er mir die Hand entgegen
ſtreckte, mit großer Freundlichkeit auf mich zu, wobei er jedoch
eine gewiſſe Befangenheit nicht verbergen konnte. Man wies
mir neben ihm einen Platz auf dem Sopha an und ich blickte
nun, wie man dies an fremden Orten unwillkürlich zu thun
pflegt, im Gemache umher. Es ſah ziemlich kahl aus und in
der Einrichtung gab ſich eine gewiſſe Sorgloſigkeit kund. Ein
älteres, aber wohlgebautes Clavier, auf welchem die Geigen
Ludovica's ruhten, fiel zuerſt in die Augen, und an den Wän¬
den hingen die Bildniſſe Mozart's und Beethoven's, ſowie
verſchiedener anderer Tonkünſtler und Virtuoſen. In einem
kleinem Nebenzimmer jedoch, deſſen Thüre offen ſtand, ſchien
eine bürgerliche, arbeitſame Hand zu walten, und den größten
Raum nahm ein ausgedehnter Tiſch ein, der mit angefangenen
weiblichen Kleidungsſtücken bedeckt war. Mimi, welche, wie
ich bemerkte, meinen Blicken folgte, rief lachend: „Der Herr
verwundert ſich über Anna's Zimmer. Es ſieht auch darin
aus, wie in einer Schneiderwerkſtätte.“

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[211/0227] ſah die zwei andern Spielerinnen und fand meine Vermuthung von damals beſtätigt; denn Ludovica ſagte: „Meine Schwe¬ ſtern Anna und Mimi.“ Dann vor einem jungen Manne mit klugen, offenen Geſichtszügen: „Herr Berger, Kaufmann.“ Zuletzt warf ſie einen Blick auf den, welchen ich hier zu fin¬ den gewiß war, und fügte etwas undeutlich hinzu: „Herr Alexis.“ Dieſer hatte ſich bei meinem Eintritt vom Sitze er¬ hoben und kam jetzt, während er mir die Hand entgegen ſtreckte, mit großer Freundlichkeit auf mich zu, wobei er jedoch eine gewiſſe Befangenheit nicht verbergen konnte. Man wies mir neben ihm einen Platz auf dem Sopha an und ich blickte nun, wie man dies an fremden Orten unwillkürlich zu thun pflegt, im Gemache umher. Es ſah ziemlich kahl aus und in der Einrichtung gab ſich eine gewiſſe Sorgloſigkeit kund. Ein älteres, aber wohlgebautes Clavier, auf welchem die Geigen Ludovica's ruhten, fiel zuerſt in die Augen, und an den Wän¬ den hingen die Bildniſſe Mozart's und Beethoven's, ſowie verſchiedener anderer Tonkünſtler und Virtuoſen. In einem kleinem Nebenzimmer jedoch, deſſen Thüre offen ſtand, ſchien eine bürgerliche, arbeitſame Hand zu walten, und den größten Raum nahm ein ausgedehnter Tiſch ein, der mit angefangenen weiblichen Kleidungsſtücken bedeckt war. Mimi, welche, wie ich bemerkte, meinen Blicken folgte, rief lachend: „Der Herr verwundert ſich über Anna's Zimmer. Es ſieht auch darin aus, wie in einer Schneiderwerkſtätte.“ 14*

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/227>, abgerufen am 23.11.2024.