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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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"Wozu sollt' ich's brauchen?" fuhr er niedergeschlagen
fort. "Ich habe keine Freude mehr auf der Welt, seit ich
nicht mehr mit Dir arbeiten kann."

"Ich auch nicht", sagte sie leise.

"Weßhalb er uns nur auseinander gejagt hat?" begann
er nach einer Weile. "Ihm könnt' es doch Eins sein, ob wir
beisammen sitzen oder nicht; wenn wir nur unser Tagwerk
ordentlich verrichten."

Sie blickte vor sich hin. "Er ist ein böser Mensch",
sagte sie endlich, "der nicht sehen kann, daß es einem Anderen
wohl ist, und Jeden gern um sein Liebstes bringt."

Tertschka war bei diesen Worten aufgestanden, hatte den
Deckel der Kiste zurückgeschlagen und holte jetzt langsam eine
wollene Jacke, einen Rock von Kattun und ein Paar schwerer
Schuhe hervor. Dann noch ein verschossenes rothes Halstuch
und einen alten Rosenkranz mit einem Kreuzlein von Messing
daran, welche Gegenstände sie sammt und sonders auf dem
wieder herabgelassenen Deckel der Kiste sorglich zurecht legte.

"Was thust Du denn da?" fragte Georg, der ihr zusah.

"Ich will morgen nach Schottwien hinunter in die Kirche
gehen", erwiederte sie. "Er kann's freilich nicht leiden, denn
er kennt keinen Herrgott, und hat schon die Mutter immer
gescholten, weil sie Sonntags niemals die Messe versäumen
wollte und mich immer mit sich nahm. Er weiß mir immer
etwas in den Weg zu legen, und ich bin schon zwei Monate

„Wozu ſollt' ich's brauchen?“ fuhr er niedergeſchlagen
fort. „Ich habe keine Freude mehr auf der Welt, ſeit ich
nicht mehr mit Dir arbeiten kann.“

„Ich auch nicht“, ſagte ſie leiſe.

„Weßhalb er uns nur auseinander gejagt hat?“ begann
er nach einer Weile. „Ihm könnt' es doch Eins ſein, ob wir
beiſammen ſitzen oder nicht; wenn wir nur unſer Tagwerk
ordentlich verrichten.“

Sie blickte vor ſich hin. „Er iſt ein böſer Menſch“,
ſagte ſie endlich, „der nicht ſehen kann, daß es einem Anderen
wohl iſt, und Jeden gern um ſein Liebſtes bringt.“

Tertſchka war bei dieſen Worten aufgeſtanden, hatte den
Deckel der Kiſte zurückgeſchlagen und holte jetzt langſam eine
wollene Jacke, einen Rock von Kattun und ein Paar ſchwerer
Schuhe hervor. Dann noch ein verſchoſſenes rothes Halstuch
und einen alten Roſenkranz mit einem Kreuzlein von Meſſing
daran, welche Gegenſtände ſie ſammt und ſonders auf dem
wieder herabgelaſſenen Deckel der Kiſte ſorglich zurecht legte.

„Was thuſt Du denn da?“ fragte Georg, der ihr zuſah.

„Ich will morgen nach Schottwien hinunter in die Kirche
gehen“, erwiederte ſie. „Er kann's freilich nicht leiden, denn
er kennt keinen Herrgott, und hat ſchon die Mutter immer
geſcholten, weil ſie Sonntags niemals die Meſſe verſäumen
wollte und mich immer mit ſich nahm. Er weiß mir immer
etwas in den Weg zu legen, und ich bin ſchon zwei Monate

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[152/0168] „Wozu ſollt' ich's brauchen?“ fuhr er niedergeſchlagen fort. „Ich habe keine Freude mehr auf der Welt, ſeit ich nicht mehr mit Dir arbeiten kann.“ „Ich auch nicht“, ſagte ſie leiſe. „Weßhalb er uns nur auseinander gejagt hat?“ begann er nach einer Weile. „Ihm könnt' es doch Eins ſein, ob wir beiſammen ſitzen oder nicht; wenn wir nur unſer Tagwerk ordentlich verrichten.“ Sie blickte vor ſich hin. „Er iſt ein böſer Menſch“, ſagte ſie endlich, „der nicht ſehen kann, daß es einem Anderen wohl iſt, und Jeden gern um ſein Liebſtes bringt.“ Tertſchka war bei dieſen Worten aufgeſtanden, hatte den Deckel der Kiſte zurückgeſchlagen und holte jetzt langſam eine wollene Jacke, einen Rock von Kattun und ein Paar ſchwerer Schuhe hervor. Dann noch ein verſchoſſenes rothes Halstuch und einen alten Roſenkranz mit einem Kreuzlein von Meſſing daran, welche Gegenſtände ſie ſammt und ſonders auf dem wieder herabgelaſſenen Deckel der Kiſte ſorglich zurecht legte. „Was thuſt Du denn da?“ fragte Georg, der ihr zuſah. „Ich will morgen nach Schottwien hinunter in die Kirche gehen“, erwiederte ſie. „Er kann's freilich nicht leiden, denn er kennt keinen Herrgott, und hat ſchon die Mutter immer geſcholten, weil ſie Sonntags niemals die Meſſe verſäumen wollte und mich immer mit ſich nahm. Er weiß mir immer etwas in den Weg zu legen, und ich bin ſchon zwei Monate

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/168>, abgerufen am 25.11.2024.