das will ich Dir austreiben! Wenn ich Euch noch einmal beisammen seh', so ist der Kerl die längste Zeit hier gewesen, und Du erblickst mir kein Tageslicht mehr!" --
So wurden sie rauh und plötzlich aus einander gerissen. Georg mußte in den nächsten Tagen unten am Bahngeleise arbeiten, und wenn sie um die Mittagsstunde oder nach Son¬ nenuntergang in der Hütte zusammen trafen, so wagten sie kaum sich anzusehen, geschweige nur ein Wort mit einander zu reden. Denn der Aufseher behielt sie scharf im Auge und auch die Andern schienen mit stumpfer Schadenfreude über ihnen zu wachen.
Eines Abends jedoch -- es war Samstag -- hatte sich der Aufseher mit einigen Zechgenossen in die Schenke einer nahen Ortschaft begeben, indeß die Zurückgebliebenen, wie ge¬ wöhnlich, den eben erhaltenen Wochenlohn an ein Spiel Kar¬ ten wagten, dessen beschmutzte Blätter in ihren Händen die Runde machten. Während es dabei immer wüster und lär¬ mender herging, faßte Georg Muth, sich verstohlen Tertschka zu nähern, die in ihrem Schlafwinkel auf einer alten Kiste saß, das Haupt auf die Hände gestützt. "Tertschka", sagte er leise, indem er ein kleines ledernes Beutelchen aus der Tasche zog, "hier ist das Letzte von dem Gelde, das ich Dir schuldig bin." Und dabei legte er sachte einige Kreuzer in ihren Schooß.
"Ach, laß' es", erwiederte sie; "Du wirst es noch brauchen."
das will ich Dir austreiben! Wenn ich Euch noch einmal beiſammen ſeh', ſo iſt der Kerl die längſte Zeit hier geweſen, und Du erblickſt mir kein Tageslicht mehr!“ —
So wurden ſie rauh und plötzlich aus einander geriſſen. Georg mußte in den nächſten Tagen unten am Bahngeleiſe arbeiten, und wenn ſie um die Mittagsſtunde oder nach Son¬ nenuntergang in der Hütte zuſammen trafen, ſo wagten ſie kaum ſich anzuſehen, geſchweige nur ein Wort mit einander zu reden. Denn der Aufſeher behielt ſie ſcharf im Auge und auch die Andern ſchienen mit ſtumpfer Schadenfreude über ihnen zu wachen.
Eines Abends jedoch — es war Samſtag — hatte ſich der Aufſeher mit einigen Zechgenoſſen in die Schenke einer nahen Ortſchaft begeben, indeß die Zurückgebliebenen, wie ge¬ wöhnlich, den eben erhaltenen Wochenlohn an ein Spiel Kar¬ ten wagten, deſſen beſchmutzte Blätter in ihren Händen die Runde machten. Während es dabei immer wüſter und lär¬ mender herging, faßte Georg Muth, ſich verſtohlen Tertſchka zu nähern, die in ihrem Schlafwinkel auf einer alten Kiſte ſaß, das Haupt auf die Hände geſtützt. „Tertſchka“, ſagte er leiſe, indem er ein kleines ledernes Beutelchen aus der Taſche zog, „hier iſt das Letzte von dem Gelde, das ich Dir ſchuldig bin.“ Und dabei legte er ſachte einige Kreuzer in ihren Schooß.
„Ach, laß' es“, erwiederte ſie; „Du wirſt es noch brauchen.“
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das will ich Dir austreiben! Wenn ich Euch noch einmal
beiſammen ſeh', ſo iſt der Kerl die längſte Zeit hier geweſen,
und Du erblickſt mir kein Tageslicht mehr!“ —
So wurden ſie rauh und plötzlich aus einander geriſſen.
Georg mußte in den nächſten Tagen unten am Bahngeleiſe
arbeiten, und wenn ſie um die Mittagsſtunde oder nach Son¬
nenuntergang in der Hütte zuſammen trafen, ſo wagten ſie
kaum ſich anzuſehen, geſchweige nur ein Wort mit einander
zu reden. Denn der Aufſeher behielt ſie ſcharf im Auge und
auch die Andern ſchienen mit ſtumpfer Schadenfreude über
ihnen zu wachen.
Eines Abends jedoch — es war Samſtag — hatte ſich
der Aufſeher mit einigen Zechgenoſſen in die Schenke einer
nahen Ortſchaft begeben, indeß die Zurückgebliebenen, wie ge¬
wöhnlich, den eben erhaltenen Wochenlohn an ein Spiel Kar¬
ten wagten, deſſen beſchmutzte Blätter in ihren Händen die
Runde machten. Während es dabei immer wüſter und lär¬
mender herging, faßte Georg Muth, ſich verſtohlen Tertſchka
zu nähern, die in ihrem Schlafwinkel auf einer alten Kiſte
ſaß, das Haupt auf die Hände geſtützt. „Tertſchka“, ſagte
er leiſe, indem er ein kleines ledernes Beutelchen aus der
Taſche zog, „hier iſt das Letzte von dem Gelde, das ich Dir
ſchuldig bin.“ Und dabei legte er ſachte einige Kreuzer in
ihren Schooß.
„Ach, laß' es“, erwiederte ſie; „Du wirſt es noch brauchen.“
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/167>, abgerufen am 19.07.2024.
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