Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

S. Niccola di Tolentino für das älteste; es sey in seinem sieb-
zehnten Jahre, also um 1500, gemalt worden. Läge es über-
haupt in des Lanzi historischer Manier, Data zu vergleichen,
hieraus Folgen zu ziehn, so würde er, annehmend, daß Ra-
phael
schon 1500 auf eigene Rechnung gemalt habe, noth-
wendig auf die oben entwickelten, oder ihnen ähnliche Resul-
tate gelangt seyn. Das Bild selbst, welches Vasari aus
Flüchtigkeit, oder weil er es nicht anerkannte, ganz übergeht,
habe ich so wenig, als Castello überhaupt, gesehen; kann auch
nicht angeben, ob es noch an derselben Stelle, oder gleich den
übrigen veräußert sey. Indeß, wenn auch Manches in den
sehr allgemeinen Angaben des Lanzi (die Sprüche in den
Händen der Engel, die architectonische Einfassung des Gan-
zen) die Möglichkeit nicht auszuschließen scheint, daß in jenen
örtlichen Traditionen einiger Grund, das Bild also dem be-
schriebenen der Nonnen des heiligen Anton von Padua etwa
gleichzeitig sey; so wird doch, da Lanzi die früheren Kunst-
stufen des Raphael nicht hinlänglich unterschieden hat, auf
dessen Zeitangabe so wenig, als auf sein Kunsturtheil zu bauen
seyn. Um so weniger, da ihm das Bild des Gekreuzigten,
damals noch zu Castello in der Kirche S. Domenico, beynahe
gleichzeitig (circa quel tempo) zu seyn schien.

Dieses Gemälde, welches gegenwärtig zu Rom die Gal-
lerie des Cardinal Fesch verschönt, zeigt am Fuße des Kreu-
zes die Worte: RAPHAEL VRBINAS P.; das Jahr ist
nicht angedeutet. Es bildet indeß, ungeachtet der trügerischen
Versicherung des Vasari und Lanzi, daß man dasselbe von
den Werken des Perugino kaum unterscheiden könne, doch so-
wohl in der Anordnung, als in der Zeichnung und im Auf-
trage, bereits den Uebergang zu einer bestimmten, neueren

S. Niccola di Tolentino fuͤr das aͤlteſte; es ſey in ſeinem ſieb-
zehnten Jahre, alſo um 1500, gemalt worden. Laͤge es uͤber-
haupt in des Lanzi hiſtoriſcher Manier, Data zu vergleichen,
hieraus Folgen zu ziehn, ſo wuͤrde er, annehmend, daß Ra-
phael
ſchon 1500 auf eigene Rechnung gemalt habe, noth-
wendig auf die oben entwickelten, oder ihnen aͤhnliche Reſul-
tate gelangt ſeyn. Das Bild ſelbſt, welches Vaſari aus
Fluͤchtigkeit, oder weil er es nicht anerkannte, ganz uͤbergeht,
habe ich ſo wenig, als Caſtello uͤberhaupt, geſehen; kann auch
nicht angeben, ob es noch an derſelben Stelle, oder gleich den
uͤbrigen veraͤußert ſey. Indeß, wenn auch Manches in den
ſehr allgemeinen Angaben des Lanzi (die Spruͤche in den
Haͤnden der Engel, die architectoniſche Einfaſſung des Gan-
zen) die Moͤglichkeit nicht auszuſchließen ſcheint, daß in jenen
oͤrtlichen Traditionen einiger Grund, das Bild alſo dem be-
ſchriebenen der Nonnen des heiligen Anton von Padua etwa
gleichzeitig ſey; ſo wird doch, da Lanzi die fruͤheren Kunſt-
ſtufen des Raphael nicht hinlaͤnglich unterſchieden hat, auf
deſſen Zeitangabe ſo wenig, als auf ſein Kunſturtheil zu bauen
ſeyn. Um ſo weniger, da ihm das Bild des Gekreuzigten,
damals noch zu Caſtello in der Kirche S. Domenico, beynahe
gleichzeitig (circa quel tempo) zu ſeyn ſchien.

Dieſes Gemaͤlde, welches gegenwaͤrtig zu Rom die Gal-
lerie des Cardinal Feſch verſchoͤnt, zeigt am Fuße des Kreu-
zes die Worte: RAPHAEL VRBINAS P.; das Jahr iſt
nicht angedeutet. Es bildet indeß, ungeachtet der truͤgeriſchen
Verſicherung des Vaſari und Lanzi, daß man daſſelbe von
den Werken des Perugino kaum unterſcheiden koͤnne, doch ſo-
wohl in der Anordnung, als in der Zeichnung und im Auf-
trage, bereits den Uebergang zu einer beſtimmten, neueren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0058" n="36"/>
S. Niccola di Tolentino fu&#x0364;r das a&#x0364;lte&#x017F;te; es &#x017F;ey in &#x017F;einem &#x017F;ieb-<lb/>
zehnten Jahre, al&#x017F;o um 1500, gemalt worden. La&#x0364;ge es u&#x0364;ber-<lb/>
haupt in des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/17414444X">Lanzi</persName> hi&#x017F;tori&#x017F;cher Manier, Data zu vergleichen,<lb/>
hieraus Folgen zu ziehn, &#x017F;o wu&#x0364;rde er, annehmend, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Ra-<lb/>
phael</persName> &#x017F;chon 1500 auf eigene Rechnung gemalt habe, noth-<lb/>
wendig auf die oben entwickelten, oder ihnen a&#x0364;hnliche Re&#x017F;ul-<lb/>
tate gelangt &#x017F;eyn. Das Bild &#x017F;elb&#x017F;t, welches <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> aus<lb/>
Flu&#x0364;chtigkeit, oder weil er es nicht anerkannte, ganz u&#x0364;bergeht,<lb/>
habe ich &#x017F;o wenig, als <placeName>Ca&#x017F;tello</placeName> u&#x0364;berhaupt, ge&#x017F;ehen; kann auch<lb/>
nicht angeben, ob es noch an der&#x017F;elben Stelle, oder gleich den<lb/>
u&#x0364;brigen vera&#x0364;ußert &#x017F;ey. Indeß, wenn auch Manches in den<lb/>
&#x017F;ehr allgemeinen Angaben des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/17414444X">Lanzi</persName> (die Spru&#x0364;che in den<lb/>
Ha&#x0364;nden der Engel, die architectoni&#x017F;che Einfa&#x017F;&#x017F;ung des Gan-<lb/>
zen) die Mo&#x0364;glichkeit nicht auszu&#x017F;chließen &#x017F;cheint, daß in jenen<lb/>
o&#x0364;rtlichen Traditionen einiger Grund, das Bild al&#x017F;o dem be-<lb/>
&#x017F;chriebenen der Nonnen des heiligen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118503510">Anton von Padua</persName> etwa<lb/>
gleichzeitig &#x017F;ey; &#x017F;o wird doch, da <persName ref="http://d-nb.info/gnd/17414444X">Lanzi</persName> die fru&#x0364;heren Kun&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;tufen des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> nicht hinla&#x0364;nglich unter&#x017F;chieden hat, auf<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Zeitangabe &#x017F;o wenig, als auf &#x017F;ein Kun&#x017F;turtheil zu bauen<lb/>
&#x017F;eyn. Um &#x017F;o weniger, da ihm das Bild des Gekreuzigten,<lb/>
damals noch zu <placeName>Ca&#x017F;tello</placeName> in der Kirche S. Domenico, beynahe<lb/>
gleichzeitig (<hi rendition="#aq">circa quel tempo</hi>) zu &#x017F;eyn &#x017F;chien.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es Gema&#x0364;lde, welches gegenwa&#x0364;rtig zu <placeName>Rom</placeName> die Gal-<lb/>
lerie des Cardinal <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116473894">Fe&#x017F;ch</persName> ver&#x017F;cho&#x0364;nt, zeigt am Fuße des Kreu-<lb/>
zes die Worte: <hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">RAPHAEL VRBINAS</persName> P.</hi>; das Jahr i&#x017F;t<lb/>
nicht angedeutet. Es bildet indeß, ungeachtet der tru&#x0364;geri&#x017F;chen<lb/>
Ver&#x017F;icherung des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/17414444X">Lanzi</persName>, daß man da&#x017F;&#x017F;elbe von<lb/>
den Werken des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119091771">Perugino</persName> kaum unter&#x017F;cheiden ko&#x0364;nne, doch &#x017F;o-<lb/>
wohl in der Anordnung, als in der Zeichnung und im Auf-<lb/>
trage, bereits den Uebergang zu einer be&#x017F;timmten, neueren<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0058] S. Niccola di Tolentino fuͤr das aͤlteſte; es ſey in ſeinem ſieb- zehnten Jahre, alſo um 1500, gemalt worden. Laͤge es uͤber- haupt in des Lanzi hiſtoriſcher Manier, Data zu vergleichen, hieraus Folgen zu ziehn, ſo wuͤrde er, annehmend, daß Ra- phael ſchon 1500 auf eigene Rechnung gemalt habe, noth- wendig auf die oben entwickelten, oder ihnen aͤhnliche Reſul- tate gelangt ſeyn. Das Bild ſelbſt, welches Vaſari aus Fluͤchtigkeit, oder weil er es nicht anerkannte, ganz uͤbergeht, habe ich ſo wenig, als Caſtello uͤberhaupt, geſehen; kann auch nicht angeben, ob es noch an derſelben Stelle, oder gleich den uͤbrigen veraͤußert ſey. Indeß, wenn auch Manches in den ſehr allgemeinen Angaben des Lanzi (die Spruͤche in den Haͤnden der Engel, die architectoniſche Einfaſſung des Gan- zen) die Moͤglichkeit nicht auszuſchließen ſcheint, daß in jenen oͤrtlichen Traditionen einiger Grund, das Bild alſo dem be- ſchriebenen der Nonnen des heiligen Anton von Padua etwa gleichzeitig ſey; ſo wird doch, da Lanzi die fruͤheren Kunſt- ſtufen des Raphael nicht hinlaͤnglich unterſchieden hat, auf deſſen Zeitangabe ſo wenig, als auf ſein Kunſturtheil zu bauen ſeyn. Um ſo weniger, da ihm das Bild des Gekreuzigten, damals noch zu Caſtello in der Kirche S. Domenico, beynahe gleichzeitig (circa quel tempo) zu ſeyn ſchien. Dieſes Gemaͤlde, welches gegenwaͤrtig zu Rom die Gal- lerie des Cardinal Feſch verſchoͤnt, zeigt am Fuße des Kreu- zes die Worte: RAPHAEL VRBINAS P.; das Jahr iſt nicht angedeutet. Es bildet indeß, ungeachtet der truͤgeriſchen Verſicherung des Vaſari und Lanzi, daß man daſſelbe von den Werken des Perugino kaum unterſcheiden koͤnne, doch ſo- wohl in der Anordnung, als in der Zeichnung und im Auf- trage, bereits den Uebergang zu einer beſtimmten, neueren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/58
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/58>, abgerufen am 04.05.2024.