Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Klar ist es, daß in der Geschichte Raphaels für alle
jene jugendlichsten Erscheinungen weder ein Grund, noch selbst
ein paßlicher Raum vorhanden seyn würde, wäre es unum-
gänglich, dem Vasari hier ohne Einschränkung beyzupflichten.
Er setzt den Anfang der Laufbahn, der selbstständigen Wirk-
samkeit Raphaels in dessen Arbeiten für Citta di Castello.
Diese sind indeß schon sehr ausgebildet; wir müßten also, um
die spätere Entstehung jener jugendlicheren Erscheinungen zu
erklären, Rückschritte annehmen. Wie willkührlich! Nun ist
ferner das Vorzüglichste der Bilder für Castello, das Sposa-
lizio, mit dem Jahre 1504 bezeichnet. Von diesem Zeitpunct
bis zu dem Eintritt Raphaels in einen ganz neuen, zum Ge-
waltigsten ihn fortreißenden Wirkungskreis (zu seiner Ankunft
in Rom) blieben uns demnach nur vier kurze Jahre, welche
ohnehin schon genug der Wunder, der künstlerischen Umwand-
lungen, der verschiedensten Leistungen aufzuweisen haben; so
daß also, wie oben kein rechter Grund, so hier nicht einmal
ein Raum für jene kindlich jugendlichsten Arbeiten vorhanden
wäre, wenn wir nicht annehmen, daß solche sämmtlich vor
dem Jahre 1504 gemalt worden sind.

Unter den Arbeiten für Citta di Castello gilt dem Lanzi
(nach einer Angabe der Einwohner, sagt er) ein Altarblatt in

nachdem Vorstehendes schon geschrieben war, nähere Kunde erhalten, daß
derselbe schon im Jahr 1494 gestorben ist (s. das Testament und den
Todtenschein des Giovanni Santi in Pungileoni's Elogio storico di
Giovanni Santi. Urbino. 1822. p.
135. ff.). Diesem dürfte, wenn
nicht aus den Urkunden selbst, nichts entgegenzustellen seyn. Da Raphael
sich nun um diese Zeit im eilften Jahre befand, er aber, wie wir gese-
hen, erst gegen das Jahr 1500 in die Schule des Pietro Perugino ge-
kommen seyn möchte, so gewinnen durch diesen Umstand alle obige Ver-
muthungen ganz ungemein an Wahrscheinlichkeit.
3 *

Klar iſt es, daß in der Geſchichte Raphaels fuͤr alle
jene jugendlichſten Erſcheinungen weder ein Grund, noch ſelbſt
ein paßlicher Raum vorhanden ſeyn wuͤrde, waͤre es unum-
gaͤnglich, dem Vaſari hier ohne Einſchraͤnkung beyzupflichten.
Er ſetzt den Anfang der Laufbahn, der ſelbſtſtaͤndigen Wirk-
ſamkeit Raphaels in deſſen Arbeiten fuͤr Città di Caſtello.
Dieſe ſind indeß ſchon ſehr ausgebildet; wir muͤßten alſo, um
die ſpaͤtere Entſtehung jener jugendlicheren Erſcheinungen zu
erklaͤren, Ruͤckſchritte annehmen. Wie willkuͤhrlich! Nun iſt
ferner das Vorzuͤglichſte der Bilder fuͤr Caſtello, das Spoſa-
lizio, mit dem Jahre 1504 bezeichnet. Von dieſem Zeitpunct
bis zu dem Eintritt Raphaels in einen ganz neuen, zum Ge-
waltigſten ihn fortreißenden Wirkungskreis (zu ſeiner Ankunft
in Rom) blieben uns demnach nur vier kurze Jahre, welche
ohnehin ſchon genug der Wunder, der kuͤnſtleriſchen Umwand-
lungen, der verſchiedenſten Leiſtungen aufzuweiſen haben; ſo
daß alſo, wie oben kein rechter Grund, ſo hier nicht einmal
ein Raum fuͤr jene kindlich jugendlichſten Arbeiten vorhanden
waͤre, wenn wir nicht annehmen, daß ſolche ſaͤmmtlich vor
dem Jahre 1504 gemalt worden ſind.

Unter den Arbeiten fuͤr Città di Caſtello gilt dem Lanzi
(nach einer Angabe der Einwohner, ſagt er) ein Altarblatt in

nachdem Vorſtehendes ſchon geſchrieben war, nähere Kunde erhalten, daß
derſelbe ſchon im Jahr 1494 geſtorben iſt (ſ. das Teſtament und den
Todtenſchein des Giovanni Santi in Pungileoni’s Elogio storico di
Giovanni Santi. Urbino. 1822. p.
135. ff.). Dieſem dürfte, wenn
nicht aus den Urkunden ſelbſt, nichts entgegenzuſtellen ſeyn. Da Raphael
ſich nun um dieſe Zeit im eilften Jahre befand, er aber, wie wir geſe-
hen, erſt gegen das Jahr 1500 in die Schule des Pietro Perugino ge-
kommen ſeyn möchte, ſo gewinnen durch dieſen Umſtand alle obige Ver-
muthungen ganz ungemein an Wahrſcheinlichkeit.
3 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0057" n="35"/>
            <p>Klar i&#x017F;t es, daß in der Ge&#x017F;chichte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> fu&#x0364;r alle<lb/>
jene jugendlich&#x017F;ten Er&#x017F;cheinungen weder ein Grund, noch &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ein paßlicher Raum vorhanden &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wa&#x0364;re es unum-<lb/>
ga&#x0364;nglich, dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> hier ohne Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung beyzupflichten.<lb/>
Er &#x017F;etzt den Anfang der Laufbahn, der &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigen Wirk-<lb/>
&#x017F;amkeit <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> in de&#x017F;&#x017F;en Arbeiten fu&#x0364;r <placeName>Citt<hi rendition="#aq">à</hi> di Ca&#x017F;tello</placeName>.<lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;ind indeß &#x017F;chon &#x017F;ehr ausgebildet; wir mu&#x0364;ßten al&#x017F;o, um<lb/>
die &#x017F;pa&#x0364;tere Ent&#x017F;tehung jener jugendlicheren Er&#x017F;cheinungen zu<lb/>
erkla&#x0364;ren, Ru&#x0364;ck&#x017F;chritte annehmen. Wie willku&#x0364;hrlich! Nun i&#x017F;t<lb/>
ferner das Vorzu&#x0364;glich&#x017F;te der Bilder fu&#x0364;r <placeName>Ca&#x017F;tello</placeName>, das Spo&#x017F;a-<lb/>
lizio, mit dem Jahre 1504 bezeichnet. Von die&#x017F;em Zeitpunct<lb/>
bis zu dem Eintritt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> in einen ganz neuen, zum Ge-<lb/>
waltig&#x017F;ten ihn fortreißenden Wirkungskreis (zu &#x017F;einer Ankunft<lb/>
in <placeName>Rom</placeName>) blieben uns demnach nur vier kurze Jahre, welche<lb/>
ohnehin &#x017F;chon genug der Wunder, der ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;chen Umwand-<lb/>
lungen, der ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Lei&#x017F;tungen aufzuwei&#x017F;en haben; &#x017F;o<lb/>
daß al&#x017F;o, wie oben kein rechter Grund, &#x017F;o hier nicht einmal<lb/>
ein Raum fu&#x0364;r jene kindlich jugendlich&#x017F;ten Arbeiten vorhanden<lb/>
wa&#x0364;re, wenn wir nicht annehmen, daß &#x017F;olche &#x017F;a&#x0364;mmtlich vor<lb/>
dem Jahre 1504 gemalt worden &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>Unter den Arbeiten fu&#x0364;r <placeName>Citt<hi rendition="#aq">à</hi> di Ca&#x017F;tello</placeName> gilt dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/17414444X">Lanzi</persName><lb/>
(nach einer Angabe der Einwohner, &#x017F;agt er) ein Altarblatt in<lb/><note xml:id="seg2pn_1_2" prev="#seg2pn_1_1" place="foot" n="*)">nachdem Vor&#x017F;tehendes &#x017F;chon ge&#x017F;chrieben war, nähere Kunde erhalten, daß<lb/>
der&#x017F;elbe &#x017F;chon im Jahr 1494 ge&#x017F;torben i&#x017F;t (&#x017F;. das Te&#x017F;tament und den<lb/>
Todten&#x017F;chein des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119006561">Giovanni Santi</persName> in <persName ref="http://d-nb.info/gnd/100387985">Pungileoni&#x2019;s</persName> <hi rendition="#aq">Elogio storico di<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119006561">Giovanni Santi</persName>. <placeName>Urbino</placeName>. 1822. p.</hi> 135. ff.). Die&#x017F;em dürfte, wenn<lb/>
nicht aus den Urkunden &#x017F;elb&#x017F;t, nichts entgegenzu&#x017F;tellen &#x017F;eyn. Da <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName><lb/>
&#x017F;ich nun um die&#x017F;e Zeit im eilften Jahre befand, er aber, wie wir ge&#x017F;e-<lb/>
hen, er&#x017F;t gegen das Jahr 1500 in die Schule des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119091771">Pietro Perugino</persName> ge-<lb/>
kommen &#x017F;eyn möchte, &#x017F;o gewinnen durch die&#x017F;en Um&#x017F;tand alle obige Ver-<lb/>
muthungen ganz ungemein an Wahr&#x017F;cheinlichkeit.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0057] Klar iſt es, daß in der Geſchichte Raphaels fuͤr alle jene jugendlichſten Erſcheinungen weder ein Grund, noch ſelbſt ein paßlicher Raum vorhanden ſeyn wuͤrde, waͤre es unum- gaͤnglich, dem Vaſari hier ohne Einſchraͤnkung beyzupflichten. Er ſetzt den Anfang der Laufbahn, der ſelbſtſtaͤndigen Wirk- ſamkeit Raphaels in deſſen Arbeiten fuͤr Città di Caſtello. Dieſe ſind indeß ſchon ſehr ausgebildet; wir muͤßten alſo, um die ſpaͤtere Entſtehung jener jugendlicheren Erſcheinungen zu erklaͤren, Ruͤckſchritte annehmen. Wie willkuͤhrlich! Nun iſt ferner das Vorzuͤglichſte der Bilder fuͤr Caſtello, das Spoſa- lizio, mit dem Jahre 1504 bezeichnet. Von dieſem Zeitpunct bis zu dem Eintritt Raphaels in einen ganz neuen, zum Ge- waltigſten ihn fortreißenden Wirkungskreis (zu ſeiner Ankunft in Rom) blieben uns demnach nur vier kurze Jahre, welche ohnehin ſchon genug der Wunder, der kuͤnſtleriſchen Umwand- lungen, der verſchiedenſten Leiſtungen aufzuweiſen haben; ſo daß alſo, wie oben kein rechter Grund, ſo hier nicht einmal ein Raum fuͤr jene kindlich jugendlichſten Arbeiten vorhanden waͤre, wenn wir nicht annehmen, daß ſolche ſaͤmmtlich vor dem Jahre 1504 gemalt worden ſind. Unter den Arbeiten fuͤr Città di Caſtello gilt dem Lanzi (nach einer Angabe der Einwohner, ſagt er) ein Altarblatt in *) *) nachdem Vorſtehendes ſchon geſchrieben war, nähere Kunde erhalten, daß derſelbe ſchon im Jahr 1494 geſtorben iſt (ſ. das Teſtament und den Todtenſchein des Giovanni Santi in Pungileoni’s Elogio storico di Giovanni Santi. Urbino. 1822. p. 135. ff.). Dieſem dürfte, wenn nicht aus den Urkunden ſelbſt, nichts entgegenzuſtellen ſeyn. Da Raphael ſich nun um dieſe Zeit im eilften Jahre befand, er aber, wie wir geſe- hen, erſt gegen das Jahr 1500 in die Schule des Pietro Perugino ge- kommen ſeyn möchte, ſo gewinnen durch dieſen Umſtand alle obige Ver- muthungen ganz ungemein an Wahrſcheinlichkeit. 3 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/57
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/57>, abgerufen am 23.11.2024.