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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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immer Flächen und Abtheilungen, welche zu geordneten, ar-
chitectonisch zusammenhängenden Werken einluden. Jene schon
berührten Wandgemälde in byzantinischer Manier, welche das
Mittelschiff der alten Basilica s. Pietro in Grado unweit Pisa
verzieren, sind, abgesehn von ihrem malerischen Verdienste,
noch immer als wohlgeordnete Arbeiten zu betrachten. In der
Folge aber, während der Herrschaft eines verstümmelten deut-
schen Baugeschmackes, ward es die schwierigste Aufgabe, die
so häufig durchbrochenen und in die seltsamsten Figuren durch-
schnittenen Räume bildnerisch oder malerisch auszuzieren. Daher
ein fortdauernder Kampf des Stylsinnes damaliger Künstler,
welche in dieser Beziehung dem classischen Alterthume verwandt
und von dem moderneren absichtlichen Ausgehn auf Verwir-
rung noch sehr weit entfernt waren; ein Kampf, in welchem
bisweilen das Talent, öfter die äußeren Verhältnisse siegten.
Ich erinnere hier an die ungeordnete malerische Verzierung der
Rathhäuser zu Siena und s. Gimignano und anderer Gebäude
dieser Zeit; oder an jene verworrene Abtheilung der italie-
nischen Altartafeln des vierzehnten Jahrhundertes, welche die
Künstler nöthigte, wider Willen allen ihnen geläufigen Vor-
theilen der Zusammenstellung zu entsagen, ohne sie durch ent-
schiednere Absonderungen zu statuarischer Ausbildung der ein-
zelnen Gestalten zu berechtigen und aufzufordern. Indeß kann
der Maler auch da, wo er unvermeidlich das Stylgefühl ver-
letzet, viel andere Vorzüge geltend machen, welche ihn über
jenen Mißstand hinausheben; der Bildner hingegen dessen
Stoff nie aufhört, sich dem Gefühle aufzudrängen, mithin die
Abstraction von den räumlichen Verhältnissen ganz ausschließt,
mußte jene architectonischen Ungemächlichkeiten entweder ver-
drängen, oder ihnen ganz unterliegen.


immer Flaͤchen und Abtheilungen, welche zu geordneten, ar-
chitectoniſch zuſammenhaͤngenden Werken einluden. Jene ſchon
beruͤhrten Wandgemaͤlde in byzantiniſcher Manier, welche das
Mittelſchiff der alten Baſilica ſ. Pietro in Grado unweit Piſa
verzieren, ſind, abgeſehn von ihrem maleriſchen Verdienſte,
noch immer als wohlgeordnete Arbeiten zu betrachten. In der
Folge aber, waͤhrend der Herrſchaft eines verſtuͤmmelten deut-
ſchen Baugeſchmackes, ward es die ſchwierigſte Aufgabe, die
ſo haͤufig durchbrochenen und in die ſeltſamſten Figuren durch-
ſchnittenen Raͤume bildneriſch oder maleriſch auszuzieren. Daher
ein fortdauernder Kampf des Stylſinnes damaliger Kuͤnſtler,
welche in dieſer Beziehung dem claſſiſchen Alterthume verwandt
und von dem moderneren abſichtlichen Ausgehn auf Verwir-
rung noch ſehr weit entfernt waren; ein Kampf, in welchem
bisweilen das Talent, oͤfter die aͤußeren Verhaͤltniſſe ſiegten.
Ich erinnere hier an die ungeordnete maleriſche Verzierung der
Rathhaͤuſer zu Siena und ſ. Gimignano und anderer Gebaͤude
dieſer Zeit; oder an jene verworrene Abtheilung der italie-
niſchen Altartafeln des vierzehnten Jahrhundertes, welche die
Kuͤnſtler noͤthigte, wider Willen allen ihnen gelaͤufigen Vor-
theilen der Zuſammenſtellung zu entſagen, ohne ſie durch ent-
ſchiednere Abſonderungen zu ſtatuariſcher Ausbildung der ein-
zelnen Geſtalten zu berechtigen und aufzufordern. Indeß kann
der Maler auch da, wo er unvermeidlich das Stylgefuͤhl ver-
letzet, viel andere Vorzuͤge geltend machen, welche ihn uͤber
jenen Mißſtand hinausheben; der Bildner hingegen deſſen
Stoff nie aufhoͤrt, ſich dem Gefuͤhle aufzudraͤngen, mithin die
Abſtraction von den raͤumlichen Verhaͤltniſſen ganz ausſchließt,
mußte jene architectoniſchen Ungemaͤchlichkeiten entweder ver-
draͤngen, oder ihnen ganz unterliegen.


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[407/0425] immer Flaͤchen und Abtheilungen, welche zu geordneten, ar- chitectoniſch zuſammenhaͤngenden Werken einluden. Jene ſchon beruͤhrten Wandgemaͤlde in byzantiniſcher Manier, welche das Mittelſchiff der alten Baſilica ſ. Pietro in Grado unweit Piſa verzieren, ſind, abgeſehn von ihrem maleriſchen Verdienſte, noch immer als wohlgeordnete Arbeiten zu betrachten. In der Folge aber, waͤhrend der Herrſchaft eines verſtuͤmmelten deut- ſchen Baugeſchmackes, ward es die ſchwierigſte Aufgabe, die ſo haͤufig durchbrochenen und in die ſeltſamſten Figuren durch- ſchnittenen Raͤume bildneriſch oder maleriſch auszuzieren. Daher ein fortdauernder Kampf des Stylſinnes damaliger Kuͤnſtler, welche in dieſer Beziehung dem claſſiſchen Alterthume verwandt und von dem moderneren abſichtlichen Ausgehn auf Verwir- rung noch ſehr weit entfernt waren; ein Kampf, in welchem bisweilen das Talent, oͤfter die aͤußeren Verhaͤltniſſe ſiegten. Ich erinnere hier an die ungeordnete maleriſche Verzierung der Rathhaͤuſer zu Siena und ſ. Gimignano und anderer Gebaͤude dieſer Zeit; oder an jene verworrene Abtheilung der italie- niſchen Altartafeln des vierzehnten Jahrhundertes, welche die Kuͤnſtler noͤthigte, wider Willen allen ihnen gelaͤufigen Vor- theilen der Zuſammenſtellung zu entſagen, ohne ſie durch ent- ſchiednere Abſonderungen zu ſtatuariſcher Ausbildung der ein- zelnen Geſtalten zu berechtigen und aufzufordern. Indeß kann der Maler auch da, wo er unvermeidlich das Stylgefuͤhl ver- letzet, viel andere Vorzuͤge geltend machen, welche ihn uͤber jenen Mißſtand hinausheben; der Bildner hingegen deſſen Stoff nie aufhoͤrt, ſich dem Gefuͤhle aufzudraͤngen, mithin die Abſtraction von den raͤumlichen Verhaͤltniſſen ganz ausſchließt, mußte jene architectoniſchen Ungemaͤchlichkeiten entweder ver- draͤngen, oder ihnen ganz unterliegen.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/425>, abgerufen am 03.05.2024.