Wer hätte nicht irgend ein Mal jene bekannteste Antithese vernommen: daß die Malerey den neueren und christlichen Zeiten, die Bildnerey hingegen der antiken Bildung angehöre. Indeß beruhet dieser Satz, in so fern er aus der Erfahrung abgezogen worden, auf seichter und wenig gründlicher Beobach- tung; in so fern derselbe aus der sicher höchst abweichenden Richtung und Gesinnung antiker und neuerer Zeiten erkläret wird, auf einer gänzlichen Verwechselung des Geistes mit den Formen seiner Thätigkeit und Aeußerung.
Historisch falsch ist er, weil die Alten unzweifelhaft auch in der Malerey das Ueberschwengliche geleistet, die neueren Bildner aber bis gegen das Ende des funfzehnten Jahrhun- dertes die Leistungen der gleichzeitigen Maler durchhin über- troffen haben und nicht früher, als nach dem Jahre 1500 in Abweichungen verfallen sind, deren Ursprung einer nachzu- holenden Betrachtung angehört. In sich selbst ist er falsch, weil die Bildnerey der Malerkunst keinesweges so entschie- den entgegensteht, daß man annehmen dürfte, bestimmte Richtungen des Geistes werden bald nur in der einen, bald wiederum nur in der anderen sich ausdrücken können. In beiden Künsten beruhet die Darstellung an und für sich auf derselben Bedingung einer inneren, gegebenen, nothwendigen Bedeutsamkeit von Formen, deren Beziehung zur menschlichen Seele durch die körperliche Nachbildung der einen, durch die scheinbare der anderen nicht wesentlich verändert wird; denn jene Verbreitung über den Reiz des Erscheinens an sich selbst, welche der Malerey gewährt ist, jenes vielseitige, erschöpfende Eingehn in die mannichfaltigsten Verschmelzungen und Thei- lungen der Form, welches die Bildnerey zuläßt, gehöret, wie es einleuchten müßte, durchhin zu den untergeordneten Evolu-
Wer haͤtte nicht irgend ein Mal jene bekannteſte Antitheſe vernommen: daß die Malerey den neueren und chriſtlichen Zeiten, die Bildnerey hingegen der antiken Bildung angehoͤre. Indeß beruhet dieſer Satz, in ſo fern er aus der Erfahrung abgezogen worden, auf ſeichter und wenig gruͤndlicher Beobach- tung; in ſo fern derſelbe aus der ſicher hoͤchſt abweichenden Richtung und Geſinnung antiker und neuerer Zeiten erklaͤret wird, auf einer gaͤnzlichen Verwechſelung des Geiſtes mit den Formen ſeiner Thaͤtigkeit und Aeußerung.
Hiſtoriſch falſch iſt er, weil die Alten unzweifelhaft auch in der Malerey das Ueberſchwengliche geleiſtet, die neueren Bildner aber bis gegen das Ende des funfzehnten Jahrhun- dertes die Leiſtungen der gleichzeitigen Maler durchhin uͤber- troffen haben und nicht fruͤher, als nach dem Jahre 1500 in Abweichungen verfallen ſind, deren Urſprung einer nachzu- holenden Betrachtung angehoͤrt. In ſich ſelbſt iſt er falſch, weil die Bildnerey der Malerkunſt keinesweges ſo entſchie- den entgegenſteht, daß man annehmen duͤrfte, beſtimmte Richtungen des Geiſtes werden bald nur in der einen, bald wiederum nur in der anderen ſich ausdruͤcken koͤnnen. In beiden Kuͤnſten beruhet die Darſtellung an und fuͤr ſich auf derſelben Bedingung einer inneren, gegebenen, nothwendigen Bedeutſamkeit von Formen, deren Beziehung zur menſchlichen Seele durch die koͤrperliche Nachbildung der einen, durch die ſcheinbare der anderen nicht weſentlich veraͤndert wird; denn jene Verbreitung uͤber den Reiz des Erſcheinens an ſich ſelbſt, welche der Malerey gewaͤhrt iſt, jenes vielſeitige, erſchoͤpfende Eingehn in die mannichfaltigſten Verſchmelzungen und Thei- lungen der Form, welches die Bildnerey zulaͤßt, gehoͤret, wie es einleuchten muͤßte, durchhin zu den untergeordneten Evolu-
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Wer haͤtte nicht irgend ein Mal jene bekannteſte Antitheſe
vernommen: daß die Malerey den neueren und chriſtlichen
Zeiten, die Bildnerey hingegen der antiken Bildung angehoͤre.
Indeß beruhet dieſer Satz, in ſo fern er aus der Erfahrung
abgezogen worden, auf ſeichter und wenig gruͤndlicher Beobach-
tung; in ſo fern derſelbe aus der ſicher hoͤchſt abweichenden
Richtung und Geſinnung antiker und neuerer Zeiten erklaͤret
wird, auf einer gaͤnzlichen Verwechſelung des Geiſtes mit den
Formen ſeiner Thaͤtigkeit und Aeußerung.
Hiſtoriſch falſch iſt er, weil die Alten unzweifelhaft auch
in der Malerey das Ueberſchwengliche geleiſtet, die neueren
Bildner aber bis gegen das Ende des funfzehnten Jahrhun-
dertes die Leiſtungen der gleichzeitigen Maler durchhin uͤber-
troffen haben und nicht fruͤher, als nach dem Jahre 1500 in
Abweichungen verfallen ſind, deren Urſprung einer nachzu-
holenden Betrachtung angehoͤrt. In ſich ſelbſt iſt er falſch,
weil die Bildnerey der Malerkunſt keinesweges ſo entſchie-
den entgegenſteht, daß man annehmen duͤrfte, beſtimmte
Richtungen des Geiſtes werden bald nur in der einen, bald
wiederum nur in der anderen ſich ausdruͤcken koͤnnen. In
beiden Kuͤnſten beruhet die Darſtellung an und fuͤr ſich auf
derſelben Bedingung einer inneren, gegebenen, nothwendigen
Bedeutſamkeit von Formen, deren Beziehung zur menſchlichen
Seele durch die koͤrperliche Nachbildung der einen, durch die
ſcheinbare der anderen nicht weſentlich veraͤndert wird; denn
jene Verbreitung uͤber den Reiz des Erſcheinens an ſich ſelbſt,
welche der Malerey gewaͤhrt iſt, jenes vielſeitige, erſchoͤpfende
Eingehn in die mannichfaltigſten Verſchmelzungen und Thei-
lungen der Form, welches die Bildnerey zulaͤßt, gehoͤret, wie
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/426>, abgerufen am 25.11.2024.
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