Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieser Vorwurf betrifft zuvörderst die italienische Architec-
tur, welche während des zwölften Jahrhundertes, bey oft löb-
licher Anlage des Ganzen, doch in ihren Zierden nichts ist, als
eine völlige Verwirrung antiker Reminiscenzen; im dreyzehnten
aber ohne innere Gründe und aus bloßer Neigung zum Wech-
sel dem gothischen, oder deutschen Baugeschmacke sich anschließt.
Die Einführung einer Bauart, welche, in so fern sie Lob ver-
dient, nur im mittleren und äußersten Norden zu Hause ist,
hingegen im Süden überall gegen die climatischen Foderungen
verstößt, ist unläugbar, was Italien angeht, ein bloßes
Symptom der Schwäche und Unsicherheit *). Gewiß fühlte
man von Anbeginn, daß jene Bauart der stumpfwinkligen
Anlage südlicher Dächer, dem Bedürfniß schattiger Hallen und
Anderem durchaus widerstrebe, da man in Italien sich stets
begnügt hat, bloß ihr Unwesentliches, mehr der Zierde, als
der allgemeineren Anlage Gehörendes nachzuahmen. Die Vor-
seiten der Kirchen, selbst jene bessere der Oberkirche des Hl.
Franz zu Asisi, versah man mit falschen über das Dach hin-
ausragenden Giebeln; den Fenstern, welche man nicht so weit
öffnen wollte, als im Norden beliebt war, suchte man durch
eine Verwickelung überhäufter Zierden den Anschein größerer
Räumigkeit zu geben. Gewiß wird selbst der entschiedenste
Verehrer der Architectur des deutschen Mittelalters deren ita-
lienische Nachahmungen nicht wohl billigen können.

Schon in jener älteren, noch auf einem Gegebenen ru-
henden Bauart des höheren Mittelalters war den bildenden
Künsten nicht überall in dem Maße ihre Stelle gesichert wor-
den, als im classischen Alterthume; doch gab es darin noch

*) S. Thl. II. Abh. XI.

Dieſer Vorwurf betrifft zuvoͤrderſt die italieniſche Architec-
tur, welche waͤhrend des zwoͤlften Jahrhundertes, bey oft loͤb-
licher Anlage des Ganzen, doch in ihren Zierden nichts iſt, als
eine voͤllige Verwirrung antiker Reminiſcenzen; im dreyzehnten
aber ohne innere Gruͤnde und aus bloßer Neigung zum Wech-
ſel dem gothiſchen, oder deutſchen Baugeſchmacke ſich anſchließt.
Die Einfuͤhrung einer Bauart, welche, in ſo fern ſie Lob ver-
dient, nur im mittleren und aͤußerſten Norden zu Hauſe iſt,
hingegen im Suͤden uͤberall gegen die climatiſchen Foderungen
verſtoͤßt, iſt unlaͤugbar, was Italien angeht, ein bloßes
Symptom der Schwaͤche und Unſicherheit *). Gewiß fuͤhlte
man von Anbeginn, daß jene Bauart der ſtumpfwinkligen
Anlage ſuͤdlicher Daͤcher, dem Beduͤrfniß ſchattiger Hallen und
Anderem durchaus widerſtrebe, da man in Italien ſich ſtets
begnuͤgt hat, bloß ihr Unweſentliches, mehr der Zierde, als
der allgemeineren Anlage Gehoͤrendes nachzuahmen. Die Vor-
ſeiten der Kirchen, ſelbſt jene beſſere der Oberkirche des Hl.
Franz zu Aſiſi, verſah man mit falſchen uͤber das Dach hin-
ausragenden Giebeln; den Fenſtern, welche man nicht ſo weit
oͤffnen wollte, als im Norden beliebt war, ſuchte man durch
eine Verwickelung uͤberhaͤufter Zierden den Anſchein groͤßerer
Raͤumigkeit zu geben. Gewiß wird ſelbſt der entſchiedenſte
Verehrer der Architectur des deutſchen Mittelalters deren ita-
lieniſche Nachahmungen nicht wohl billigen koͤnnen.

Schon in jener aͤlteren, noch auf einem Gegebenen ru-
henden Bauart des hoͤheren Mittelalters war den bildenden
Kuͤnſten nicht uͤberall in dem Maße ihre Stelle geſichert wor-
den, als im claſſiſchen Alterthume; doch gab es darin noch

*) S. Thl. II. Abh. XI.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0424" n="406"/>
          <p>Die&#x017F;er Vorwurf betrifft zuvo&#x0364;rder&#x017F;t die italieni&#x017F;che Architec-<lb/>
tur, welche wa&#x0364;hrend des zwo&#x0364;lften Jahrhundertes, bey oft lo&#x0364;b-<lb/>
licher Anlage des Ganzen, doch in ihren Zierden nichts i&#x017F;t, als<lb/>
eine vo&#x0364;llige Verwirrung antiker Remini&#x017F;cenzen; im dreyzehnten<lb/>
aber ohne innere Gru&#x0364;nde und aus bloßer Neigung zum Wech-<lb/>
&#x017F;el dem gothi&#x017F;chen, oder deut&#x017F;chen Bauge&#x017F;chmacke &#x017F;ich an&#x017F;chließt.<lb/>
Die Einfu&#x0364;hrung einer Bauart, welche, in &#x017F;o fern &#x017F;ie Lob ver-<lb/>
dient, nur im mittleren und a&#x0364;ußer&#x017F;ten Norden zu Hau&#x017F;e i&#x017F;t,<lb/>
hingegen im Su&#x0364;den u&#x0364;berall gegen die climati&#x017F;chen Foderungen<lb/>
ver&#x017F;to&#x0364;ßt, i&#x017F;t unla&#x0364;ugbar, was <placeName>Italien</placeName> angeht, ein bloßes<lb/>
Symptom der Schwa&#x0364;che und Un&#x017F;icherheit <note place="foot" n="*)">S. Thl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abh. <hi rendition="#aq">XI.</hi></note>. Gewiß fu&#x0364;hlte<lb/>
man von Anbeginn, daß jene Bauart der &#x017F;tumpfwinkligen<lb/>
Anlage &#x017F;u&#x0364;dlicher Da&#x0364;cher, dem Bedu&#x0364;rfniß &#x017F;chattiger Hallen und<lb/>
Anderem durchaus wider&#x017F;trebe, da man in <placeName>Italien</placeName> &#x017F;ich &#x017F;tets<lb/>
begnu&#x0364;gt hat, bloß ihr Unwe&#x017F;entliches, mehr der Zierde, als<lb/>
der allgemeineren Anlage Geho&#x0364;rendes nachzuahmen. Die Vor-<lb/>
&#x017F;eiten der Kirchen, &#x017F;elb&#x017F;t jene be&#x017F;&#x017F;ere der Oberkirche des Hl.<lb/>
Franz zu <placeName>A&#x017F;i&#x017F;i</placeName>, ver&#x017F;ah man mit fal&#x017F;chen u&#x0364;ber das Dach hin-<lb/>
ausragenden Giebeln; den Fen&#x017F;tern, welche man nicht &#x017F;o weit<lb/>
o&#x0364;ffnen wollte, als im Norden beliebt war, &#x017F;uchte man durch<lb/>
eine Verwickelung u&#x0364;berha&#x0364;ufter Zierden den An&#x017F;chein gro&#x0364;ßerer<lb/>
Ra&#x0364;umigkeit zu geben. Gewiß wird &#x017F;elb&#x017F;t der ent&#x017F;chieden&#x017F;te<lb/>
Verehrer der Architectur des deut&#x017F;chen Mittelalters deren ita-<lb/>
lieni&#x017F;che Nachahmungen nicht wohl billigen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Schon in jener a&#x0364;lteren, noch auf einem Gegebenen ru-<lb/>
henden Bauart des ho&#x0364;heren Mittelalters war den bildenden<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;ten nicht u&#x0364;berall in dem Maße ihre Stelle ge&#x017F;ichert wor-<lb/>
den, als im cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Alterthume; doch gab es darin noch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0424] Dieſer Vorwurf betrifft zuvoͤrderſt die italieniſche Architec- tur, welche waͤhrend des zwoͤlften Jahrhundertes, bey oft loͤb- licher Anlage des Ganzen, doch in ihren Zierden nichts iſt, als eine voͤllige Verwirrung antiker Reminiſcenzen; im dreyzehnten aber ohne innere Gruͤnde und aus bloßer Neigung zum Wech- ſel dem gothiſchen, oder deutſchen Baugeſchmacke ſich anſchließt. Die Einfuͤhrung einer Bauart, welche, in ſo fern ſie Lob ver- dient, nur im mittleren und aͤußerſten Norden zu Hauſe iſt, hingegen im Suͤden uͤberall gegen die climatiſchen Foderungen verſtoͤßt, iſt unlaͤugbar, was Italien angeht, ein bloßes Symptom der Schwaͤche und Unſicherheit *). Gewiß fuͤhlte man von Anbeginn, daß jene Bauart der ſtumpfwinkligen Anlage ſuͤdlicher Daͤcher, dem Beduͤrfniß ſchattiger Hallen und Anderem durchaus widerſtrebe, da man in Italien ſich ſtets begnuͤgt hat, bloß ihr Unweſentliches, mehr der Zierde, als der allgemeineren Anlage Gehoͤrendes nachzuahmen. Die Vor- ſeiten der Kirchen, ſelbſt jene beſſere der Oberkirche des Hl. Franz zu Aſiſi, verſah man mit falſchen uͤber das Dach hin- ausragenden Giebeln; den Fenſtern, welche man nicht ſo weit oͤffnen wollte, als im Norden beliebt war, ſuchte man durch eine Verwickelung uͤberhaͤufter Zierden den Anſchein groͤßerer Raͤumigkeit zu geben. Gewiß wird ſelbſt der entſchiedenſte Verehrer der Architectur des deutſchen Mittelalters deren ita- lieniſche Nachahmungen nicht wohl billigen koͤnnen. Schon in jener aͤlteren, noch auf einem Gegebenen ru- henden Bauart des hoͤheren Mittelalters war den bildenden Kuͤnſten nicht uͤberall in dem Maße ihre Stelle geſichert wor- den, als im claſſiſchen Alterthume; doch gab es darin noch *) S. Thl. II. Abh. XI.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/424
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/424>, abgerufen am 25.11.2024.