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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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des jedesmaligen derben Kunststoffes. In beiden Beziehungen
zeigt den übrigen Künsten die Baukunst den Weg, sowohl,
weil sie durch ihren Beruf auf abgesonderte Auffassung und
höhere Ausbildung der Schönheit der Verhältnisse, zugleich auf
besondere Berücksichtigung des derben Materiales angewiesen
ist, als auch, weil sie nothwendig den übrigen Künsten vor-
angeht. Die Entstehung des Stylsinnes läßt sich, wie schon
erinnert worden, bis in das aegyptische und indische *) Al-
terthum, also aufwärts bis zu jenen Zeiten hin verfolgen,
welche der Entstehung, oder Erfindung eigentlicher Kunst um
ein Weltalter vorangehn.

Indeß nahm die neuere Kunst, wie man immer das
Gegentheil wünschen und behaupten möge, einen ganz anderen
Lauf, als die ursprüngliche und älteste. Diese erhob sich über
wohlgesicherten Grundlagen, welche bereits die Bedingungen,
ich möchte sagen, die Nothwendigkeit ihrer künftigen Entwicke-
lung enthielten. Hingegen entstand die neuere, wenn wir sie
rein als Kunst und abgesondert von begeisternden Einwirkun-
gen betrachten, aus einer allmählichen Entwirrung halbdeut-
licher Reminiscenzen von den künstlerischen Absichten und Lei-
stungen der classischen Vorwelt. Daher zeigte sie sich auf ih-
ren ersten Stufen nicht, wie im höchsten Alterthume, in gro-
ßen Massen und einfachen Eintheilungen, denen eben nur noch
die Ausbildung ins Einzelne fehlet, sondern zunächst überhäuft
und verworren, voll einzelner Anregungen, welche ihre Stelle,
ihr rechtes Maß noch nicht gefunden hatten.


*) Das Kön. Museum zu Berlin besitzt in einem bildnerischen
Fragmente ein Probestück des indischen Stylsinnes, von welchem
Gypsabgüsse zu haben sind.

des jedesmaligen derben Kunſtſtoffes. In beiden Beziehungen
zeigt den uͤbrigen Kuͤnſten die Baukunſt den Weg, ſowohl,
weil ſie durch ihren Beruf auf abgeſonderte Auffaſſung und
hoͤhere Ausbildung der Schoͤnheit der Verhaͤltniſſe, zugleich auf
beſondere Beruͤckſichtigung des derben Materiales angewieſen
iſt, als auch, weil ſie nothwendig den uͤbrigen Kuͤnſten vor-
angeht. Die Entſtehung des Stylſinnes laͤßt ſich, wie ſchon
erinnert worden, bis in das aegyptiſche und indiſche *) Al-
terthum, alſo aufwaͤrts bis zu jenen Zeiten hin verfolgen,
welche der Entſtehung, oder Erfindung eigentlicher Kunſt um
ein Weltalter vorangehn.

Indeß nahm die neuere Kunſt, wie man immer das
Gegentheil wuͤnſchen und behaupten moͤge, einen ganz anderen
Lauf, als die urſpruͤngliche und aͤlteſte. Dieſe erhob ſich uͤber
wohlgeſicherten Grundlagen, welche bereits die Bedingungen,
ich moͤchte ſagen, die Nothwendigkeit ihrer kuͤnftigen Entwicke-
lung enthielten. Hingegen entſtand die neuere, wenn wir ſie
rein als Kunſt und abgeſondert von begeiſternden Einwirkun-
gen betrachten, aus einer allmaͤhlichen Entwirrung halbdeut-
licher Reminiſcenzen von den kuͤnſtleriſchen Abſichten und Lei-
ſtungen der claſſiſchen Vorwelt. Daher zeigte ſie ſich auf ih-
ren erſten Stufen nicht, wie im hoͤchſten Alterthume, in gro-
ßen Maſſen und einfachen Eintheilungen, denen eben nur noch
die Ausbildung ins Einzelne fehlet, ſondern zunaͤchſt uͤberhaͤuft
und verworren, voll einzelner Anregungen, welche ihre Stelle,
ihr rechtes Maß noch nicht gefunden hatten.


*) Das Koͤn. Muſeum zu Berlin beſitzt in einem bildneriſchen
Fragmente ein Probeſtuͤck des indiſchen Stylſinnes, von welchem
Gypsabguͤſſe zu haben ſind.
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[405/0423] des jedesmaligen derben Kunſtſtoffes. In beiden Beziehungen zeigt den uͤbrigen Kuͤnſten die Baukunſt den Weg, ſowohl, weil ſie durch ihren Beruf auf abgeſonderte Auffaſſung und hoͤhere Ausbildung der Schoͤnheit der Verhaͤltniſſe, zugleich auf beſondere Beruͤckſichtigung des derben Materiales angewieſen iſt, als auch, weil ſie nothwendig den uͤbrigen Kuͤnſten vor- angeht. Die Entſtehung des Stylſinnes laͤßt ſich, wie ſchon erinnert worden, bis in das aegyptiſche und indiſche *) Al- terthum, alſo aufwaͤrts bis zu jenen Zeiten hin verfolgen, welche der Entſtehung, oder Erfindung eigentlicher Kunſt um ein Weltalter vorangehn. Indeß nahm die neuere Kunſt, wie man immer das Gegentheil wuͤnſchen und behaupten moͤge, einen ganz anderen Lauf, als die urſpruͤngliche und aͤlteſte. Dieſe erhob ſich uͤber wohlgeſicherten Grundlagen, welche bereits die Bedingungen, ich moͤchte ſagen, die Nothwendigkeit ihrer kuͤnftigen Entwicke- lung enthielten. Hingegen entſtand die neuere, wenn wir ſie rein als Kunſt und abgeſondert von begeiſternden Einwirkun- gen betrachten, aus einer allmaͤhlichen Entwirrung halbdeut- licher Reminiſcenzen von den kuͤnſtleriſchen Abſichten und Lei- ſtungen der claſſiſchen Vorwelt. Daher zeigte ſie ſich auf ih- ren erſten Stufen nicht, wie im hoͤchſten Alterthume, in gro- ßen Maſſen und einfachen Eintheilungen, denen eben nur noch die Ausbildung ins Einzelne fehlet, ſondern zunaͤchſt uͤberhaͤuft und verworren, voll einzelner Anregungen, welche ihre Stelle, ihr rechtes Maß noch nicht gefunden hatten. *) Das Koͤn. Muſeum zu Berlin beſitzt in einem bildneriſchen Fragmente ein Probeſtuͤck des indiſchen Stylſinnes, von welchem Gypsabguͤſſe zu haben ſind.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/423>, abgerufen am 25.11.2024.