Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Vasari berührt, ist der Carton mit den ersten Menschen im
Paradiese verschollen; eben so die beiden Medusenhäupter;
denn jener, den man in der Gallerie der Uffizj zu Florenz
zeigt, ist sicher eine Arbeit der Mitte des sechzehnten Jahrhun-
dertes. Indeß besitzen wir noch das kleine Halbrund im obe-
ren Kreuzgange des Klosters s. Onofrio zu Rom, in welchem
die Madonna mit dem Kinde und das Brustbild des damali-
gen Vorstehers der klösterlichen Gemeinde; eine Arbeit, welche
ihrer größeren Sicherheit ungeachtet, noch an die übrigen Flo-
rentiner der späteren Decennien des funfzehnten Jahrhunder-
tes und besonders eben an seinen Mitschüler Lorenzo di Credi,
erinnert. Und allerdings mußten seine frühere Arbeiten in die
Zeit und Schule sehen, von welcher seine Bestrebungen ausge-
gangen waren; nicht in jene spätere, welche seine unermüdli-
chen Forschungen in der Folge hervorgerufen. Auch die kleine
Madonna im Hause Buonvist zu Lucca, welche dort, ich glaube
mit vollem Grunde, für eine Jugendarbeit des Lionardo gilt,
vereinigt den Aufdruck seines eigenthümlichen Strebens mit
einigen Förmlichkeiten und Beschränktheiten der florentinischen
Maler der Zeit des Domenico Ghirlandajo; und die köstliche,
leider verschollene Carita, ehmals die größte Zierde der chur-
fürstlichen Gemäldesammlung zu Cassel, zeugte, bey hoher Aus-
bildung der Köpfe und fast bildnerischem Style der Anordnung,
doch in der Ausführung des Nackten für die Vermuthung:
daß Lionardo eine längere Zeit hindurch gemalt habe, bevor
er zu jener Gründlichkeit des Wissens, zu jener Sicherheit der
Zeichnung gelangte, welche wir ihn um das Jahr 1490. in
seinen mayländischen Arbeiten darlegen sehn. Eine Ueber-
gangsepoche möchte die schöne Hl. Katharina der kön. Gallerie
zu Copenhagen andeuten, auf dieses Bild wiederum die geist-

20 *

Vaſari beruͤhrt, iſt der Carton mit den erſten Menſchen im
Paradieſe verſchollen; eben ſo die beiden Meduſenhaͤupter;
denn jener, den man in der Gallerie der Uffizj zu Florenz
zeigt, iſt ſicher eine Arbeit der Mitte des ſechzehnten Jahrhun-
dertes. Indeß beſitzen wir noch das kleine Halbrund im obe-
ren Kreuzgange des Kloſters ſ. Onofrio zu Rom, in welchem
die Madonna mit dem Kinde und das Bruſtbild des damali-
gen Vorſtehers der kloͤſterlichen Gemeinde; eine Arbeit, welche
ihrer groͤßeren Sicherheit ungeachtet, noch an die uͤbrigen Flo-
rentiner der ſpaͤteren Decennien des funfzehnten Jahrhunder-
tes und beſonders eben an ſeinen Mitſchuͤler Lorenzo di Credi,
erinnert. Und allerdings mußten ſeine fruͤhere Arbeiten in die
Zeit und Schule ſehen, von welcher ſeine Beſtrebungen ausge-
gangen waren; nicht in jene ſpaͤtere, welche ſeine unermuͤdli-
chen Forſchungen in der Folge hervorgerufen. Auch die kleine
Madonna im Hauſe Buonviſt zu Lucca, welche dort, ich glaube
mit vollem Grunde, fuͤr eine Jugendarbeit des Lionardo gilt,
vereinigt den Aufdruck ſeines eigenthuͤmlichen Strebens mit
einigen Foͤrmlichkeiten und Beſchraͤnktheiten der florentiniſchen
Maler der Zeit des Domenico Ghirlandajo; und die koͤſtliche,
leider verſchollene Carità, ehmals die groͤßte Zierde der chur-
fuͤrſtlichen Gemaͤldeſammlung zu Caſſel, zeugte, bey hoher Aus-
bildung der Koͤpfe und faſt bildneriſchem Style der Anordnung,
doch in der Ausfuͤhrung des Nackten fuͤr die Vermuthung:
daß Lionardo eine laͤngere Zeit hindurch gemalt habe, bevor
er zu jener Gruͤndlichkeit des Wiſſens, zu jener Sicherheit der
Zeichnung gelangte, welche wir ihn um das Jahr 1490. in
ſeinen maylaͤndiſchen Arbeiten darlegen ſehn. Eine Ueber-
gangsepoche moͤchte die ſchoͤne Hl. Katharina der koͤn. Gallerie
zu Copenhagen andeuten, auf dieſes Bild wiederum die geiſt-

20 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0325" n="307"/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> beru&#x0364;hrt, i&#x017F;t der Carton mit den er&#x017F;ten Men&#x017F;chen im<lb/>
Paradie&#x017F;e ver&#x017F;chollen; eben &#x017F;o die beiden Medu&#x017F;enha&#x0364;upter;<lb/>
denn jener, den man in der Gallerie der Uffizj zu <placeName>Florenz</placeName><lb/>
zeigt, i&#x017F;t &#x017F;icher eine Arbeit der Mitte des &#x017F;echzehnten Jahrhun-<lb/>
dertes. Indeß be&#x017F;itzen wir noch das kleine Halbrund im obe-<lb/>
ren Kreuzgange des Klo&#x017F;ters &#x017F;. Onofrio zu <placeName>Rom</placeName>, in welchem<lb/>
die Madonna mit dem Kinde und das Bru&#x017F;tbild des damali-<lb/>
gen Vor&#x017F;tehers der klo&#x0364;&#x017F;terlichen Gemeinde; eine Arbeit, welche<lb/>
ihrer gro&#x0364;ßeren Sicherheit ungeachtet, noch an die u&#x0364;brigen Flo-<lb/>
rentiner der &#x017F;pa&#x0364;teren Decennien des funfzehnten Jahrhunder-<lb/>
tes und be&#x017F;onders eben an &#x017F;einen Mit&#x017F;chu&#x0364;ler <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119248506">Lorenzo di Credi</persName>,<lb/>
erinnert. Und allerdings mußten &#x017F;eine fru&#x0364;here Arbeiten in die<lb/>
Zeit und Schule &#x017F;ehen, von welcher &#x017F;eine Be&#x017F;trebungen ausge-<lb/>
gangen waren; nicht in jene &#x017F;pa&#x0364;tere, welche &#x017F;eine unermu&#x0364;dli-<lb/>
chen For&#x017F;chungen in der Folge hervorgerufen. Auch die kleine<lb/>
Madonna im Hau&#x017F;e Buonvi&#x017F;t zu <placeName>Lucca</placeName>, welche dort, ich glaube<lb/>
mit vollem Grunde, fu&#x0364;r eine Jugendarbeit des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118640445">Lionardo</persName> gilt,<lb/>
vereinigt den Aufdruck &#x017F;eines eigenthu&#x0364;mlichen Strebens mit<lb/>
einigen Fo&#x0364;rmlichkeiten und Be&#x017F;chra&#x0364;nktheiten der florentini&#x017F;chen<lb/>
Maler der Zeit des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118717227">Domenico Ghirlandajo</persName>; und die ko&#x0364;&#x017F;tliche,<lb/>
leider ver&#x017F;chollene Carit<hi rendition="#aq">à</hi>, ehmals die gro&#x0364;ßte Zierde der chur-<lb/>
fu&#x0364;r&#x017F;tlichen Gema&#x0364;lde&#x017F;ammlung zu <placeName>Ca&#x017F;&#x017F;el</placeName>, zeugte, bey hoher Aus-<lb/>
bildung der Ko&#x0364;pfe und fa&#x017F;t bildneri&#x017F;chem Style der Anordnung,<lb/>
doch in der Ausfu&#x0364;hrung des Nackten fu&#x0364;r die Vermuthung:<lb/>
daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118640445">Lionardo</persName> eine la&#x0364;ngere Zeit hindurch gemalt habe, bevor<lb/>
er zu jener Gru&#x0364;ndlichkeit des Wi&#x017F;&#x017F;ens, zu jener Sicherheit der<lb/>
Zeichnung gelangte, welche wir ihn um das Jahr 1490. in<lb/>
&#x017F;einen mayla&#x0364;ndi&#x017F;chen Arbeiten darlegen &#x017F;ehn. Eine Ueber-<lb/>
gangsepoche mo&#x0364;chte die &#x017F;cho&#x0364;ne Hl. Katharina der ko&#x0364;n. Gallerie<lb/>
zu <placeName>Copenhagen</placeName> andeuten, auf die&#x017F;es Bild wiederum die gei&#x017F;t-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0325] Vaſari beruͤhrt, iſt der Carton mit den erſten Menſchen im Paradieſe verſchollen; eben ſo die beiden Meduſenhaͤupter; denn jener, den man in der Gallerie der Uffizj zu Florenz zeigt, iſt ſicher eine Arbeit der Mitte des ſechzehnten Jahrhun- dertes. Indeß beſitzen wir noch das kleine Halbrund im obe- ren Kreuzgange des Kloſters ſ. Onofrio zu Rom, in welchem die Madonna mit dem Kinde und das Bruſtbild des damali- gen Vorſtehers der kloͤſterlichen Gemeinde; eine Arbeit, welche ihrer groͤßeren Sicherheit ungeachtet, noch an die uͤbrigen Flo- rentiner der ſpaͤteren Decennien des funfzehnten Jahrhunder- tes und beſonders eben an ſeinen Mitſchuͤler Lorenzo di Credi, erinnert. Und allerdings mußten ſeine fruͤhere Arbeiten in die Zeit und Schule ſehen, von welcher ſeine Beſtrebungen ausge- gangen waren; nicht in jene ſpaͤtere, welche ſeine unermuͤdli- chen Forſchungen in der Folge hervorgerufen. Auch die kleine Madonna im Hauſe Buonviſt zu Lucca, welche dort, ich glaube mit vollem Grunde, fuͤr eine Jugendarbeit des Lionardo gilt, vereinigt den Aufdruck ſeines eigenthuͤmlichen Strebens mit einigen Foͤrmlichkeiten und Beſchraͤnktheiten der florentiniſchen Maler der Zeit des Domenico Ghirlandajo; und die koͤſtliche, leider verſchollene Carità, ehmals die groͤßte Zierde der chur- fuͤrſtlichen Gemaͤldeſammlung zu Caſſel, zeugte, bey hoher Aus- bildung der Koͤpfe und faſt bildneriſchem Style der Anordnung, doch in der Ausfuͤhrung des Nackten fuͤr die Vermuthung: daß Lionardo eine laͤngere Zeit hindurch gemalt habe, bevor er zu jener Gruͤndlichkeit des Wiſſens, zu jener Sicherheit der Zeichnung gelangte, welche wir ihn um das Jahr 1490. in ſeinen maylaͤndiſchen Arbeiten darlegen ſehn. Eine Ueber- gangsepoche moͤchte die ſchoͤne Hl. Katharina der koͤn. Gallerie zu Copenhagen andeuten, auf dieſes Bild wiederum die geiſt- 20 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/325
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/325>, abgerufen am 21.05.2024.