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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Richtung; von dieser Seite angesehen, stehet er mit dem ge-
sammten Geistesleben seiner Zeit, oder doch seines Volkes in
einem für jeden Theil ersprießlichen Wechselverhältniß. Aber
die örtliche Naturentwickelung bestimmt, in wie weit er die
Richtung, welche sein Geist und sein Gemüth durch den Be-
griff erhalten, mit Aussicht auf ein fröhliches Gelingen ver-
folgen könne. Die Kunsthistorie zeigt kein Beyspiel, daß
Künstler durch den Begriff über die Anregungen hinaus be-
geistert werden könnten, welche die Natur ihnen eben gewäh-
ren will. Die griechische Kunst veränderte schon im alten
Rom, wenn wir frostige Nachahmungen hintansetzen, und uns
an die genialischen Darstellungen römisch bürgerlicher Größe
halten wollen, mit ihrem Streben zugleich auch den Charak-
ter. Sogar, was man den Griechen nachahmte, erhielt den
Aufdruck italischer Eigenheiten *). Auf das mannichfaltigste

*) Niemand, wie ich glaube, hat jemals bemerkt, oder doch
die Bemerkung ausgesprochen, daß in einigen Theilen Italiens,
welche die germanischen Einwanderer weniger, oder gar nicht ein-
genommen und durchwohnt haben, nemlich in den Niederungen der
Etsch, und vornehmlich im Bezirke von Rom (dem Ducatus Ro-
manus
des früheren Mittelalters) ein eigenthümliches Verhältniß
in der Haupteintheilung des Körpers vorherrscht, welches sowohl
von dem deutschen, als von dem altgriechischen durch verhältniß-
mäßige Länge des Leibes, Kürze des Untergestelles sich unterschei-
det. Dieser Mangel zeigt sich zu Rom nicht selten, wenn auch
minder auffallend, sogar in schönen Modellen, wie kürzlich noch
in dem, Künstlern bekannten, Saverio. -- Da wir nun dieselbe
Eigenthümlichkeit in vielen römischen Bildnißstatuen wahrnehmen,
da sie sogar in vielen Darstellungen von Göttern und Helden vor-
kommt, welche den Aufdruck bekannterer Kunstmanieren der Kai-
serzeit tragen (der Standbilder auf den Rückseiten der Kaiser-
münzen nicht zu gedenken); so werden wir auf der einen Seite
nicht anstehen können, sie in diesen aus dem wiederholten Eindruck

Richtung; von dieſer Seite angeſehen, ſtehet er mit dem ge-
ſammten Geiſtesleben ſeiner Zeit, oder doch ſeines Volkes in
einem fuͤr jeden Theil erſprießlichen Wechſelverhaͤltniß. Aber
die oͤrtliche Naturentwickelung beſtimmt, in wie weit er die
Richtung, welche ſein Geiſt und ſein Gemuͤth durch den Be-
griff erhalten, mit Ausſicht auf ein froͤhliches Gelingen ver-
folgen koͤnne. Die Kunſthiſtorie zeigt kein Beyſpiel, daß
Kuͤnſtler durch den Begriff uͤber die Anregungen hinaus be-
geiſtert werden koͤnnten, welche die Natur ihnen eben gewaͤh-
ren will. Die griechiſche Kunſt veraͤnderte ſchon im alten
Rom, wenn wir froſtige Nachahmungen hintanſetzen, und uns
an die genialiſchen Darſtellungen roͤmiſch buͤrgerlicher Groͤße
halten wollen, mit ihrem Streben zugleich auch den Charak-
ter. Sogar, was man den Griechen nachahmte, erhielt den
Aufdruck italiſcher Eigenheiten *). Auf das mannichfaltigſte

*) Niemand, wie ich glaube, hat jemals bemerkt, oder doch
die Bemerkung ausgeſprochen, daß in einigen Theilen Italiens,
welche die germaniſchen Einwanderer weniger, oder gar nicht ein-
genommen und durchwohnt haben, nemlich in den Niederungen der
Etſch, und vornehmlich im Bezirke von Rom (dem Ducatus Ro-
manus
des fruͤheren Mittelalters) ein eigenthuͤmliches Verhaͤltniß
in der Haupteintheilung des Koͤrpers vorherrſcht, welches ſowohl
von dem deutſchen, als von dem altgriechiſchen durch verhaͤltniß-
maͤßige Laͤnge des Leibes, Kuͤrze des Untergeſtelles ſich unterſchei-
det. Dieſer Mangel zeigt ſich zu Rom nicht ſelten, wenn auch
minder auffallend, ſogar in ſchoͤnen Modellen, wie kuͤrzlich noch
in dem, Kuͤnſtlern bekannten, Saverio. — Da wir nun dieſelbe
Eigenthuͤmlichkeit in vielen roͤmiſchen Bildnißſtatuen wahrnehmen,
da ſie ſogar in vielen Darſtellungen von Goͤttern und Helden vor-
kommt, welche den Aufdruck bekannterer Kunſtmanieren der Kai-
ſerzeit tragen (der Standbilder auf den Ruͤckſeiten der Kaiſer-
muͤnzen nicht zu gedenken); ſo werden wir auf der einen Seite
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[78/0096] Richtung; von dieſer Seite angeſehen, ſtehet er mit dem ge- ſammten Geiſtesleben ſeiner Zeit, oder doch ſeines Volkes in einem fuͤr jeden Theil erſprießlichen Wechſelverhaͤltniß. Aber die oͤrtliche Naturentwickelung beſtimmt, in wie weit er die Richtung, welche ſein Geiſt und ſein Gemuͤth durch den Be- griff erhalten, mit Ausſicht auf ein froͤhliches Gelingen ver- folgen koͤnne. Die Kunſthiſtorie zeigt kein Beyſpiel, daß Kuͤnſtler durch den Begriff uͤber die Anregungen hinaus be- geiſtert werden koͤnnten, welche die Natur ihnen eben gewaͤh- ren will. Die griechiſche Kunſt veraͤnderte ſchon im alten Rom, wenn wir froſtige Nachahmungen hintanſetzen, und uns an die genialiſchen Darſtellungen roͤmiſch buͤrgerlicher Groͤße halten wollen, mit ihrem Streben zugleich auch den Charak- ter. Sogar, was man den Griechen nachahmte, erhielt den Aufdruck italiſcher Eigenheiten *). Auf das mannichfaltigſte *) Niemand, wie ich glaube, hat jemals bemerkt, oder doch die Bemerkung ausgeſprochen, daß in einigen Theilen Italiens, welche die germaniſchen Einwanderer weniger, oder gar nicht ein- genommen und durchwohnt haben, nemlich in den Niederungen der Etſch, und vornehmlich im Bezirke von Rom (dem Ducatus Ro- manus des fruͤheren Mittelalters) ein eigenthuͤmliches Verhaͤltniß in der Haupteintheilung des Koͤrpers vorherrſcht, welches ſowohl von dem deutſchen, als von dem altgriechiſchen durch verhaͤltniß- maͤßige Laͤnge des Leibes, Kuͤrze des Untergeſtelles ſich unterſchei- det. Dieſer Mangel zeigt ſich zu Rom nicht ſelten, wenn auch minder auffallend, ſogar in ſchoͤnen Modellen, wie kuͤrzlich noch in dem, Kuͤnſtlern bekannten, Saverio. — Da wir nun dieſelbe Eigenthuͤmlichkeit in vielen roͤmiſchen Bildnißſtatuen wahrnehmen, da ſie ſogar in vielen Darſtellungen von Goͤttern und Helden vor- kommt, welche den Aufdruck bekannterer Kunſtmanieren der Kai- ſerzeit tragen (der Standbilder auf den Ruͤckſeiten der Kaiſer- muͤnzen nicht zu gedenken); ſo werden wir auf der einen Seite nicht anſtehen koͤnnen, ſie in dieſen aus dem wiederholten Eindruck

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/96>, abgerufen am 03.05.2024.