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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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man müsse ihnen ein gewisses Beygewicht von Individualität
auf den Weg geben, mit welchem Worte diese Kunstlehrer
nicht etwa Untheilbarkeit, oder Abgeschlossenheit in sich selbst
zu bezeichnen gewohnt sind, sondern eben nur einige schroffe
Züge zufällig erreichbarer Vorbilder, oder Modelle, welche zu
jener dünnen Geschmacksbrühe gleichsam als Würze hinzuge-
fügt werden sollen *).

Doch scheint es, daß dieser unläugbar ärmlichste Ideal-
begriff einer anderen Ursache seine Entstehung, einer anderen
wiederum seine verbreitete Aufnahme verdanke. Entsprungen
ist er offenbar aus der Anwendung jenes eben so schiefen, als
hochmüthigen Vorbegriffes der Manieristen auf die Ansichten
und Wünsche der Schönheitslehre. Denn schon Lessing setzte
bey den Künstlern die Fähigkeit rund voraus, die Formen
der Natur, sogar die Formen der Darstellung bestimmter, sey
es individueller, oder ideeller Kunstaufgaben ins Schönere
umzumodeln, und wenn er an einer anderen Stelle den Ge-
danken hinwirft, die Landschaft habe kein Ideal **), so scheint

*) Fernow (in seinem Leben. S. 364.) sagt, nachdem er,
was er Idealgestalt nennt, dem Charakter des Gegenstandes (dem
Idealen der Archäologen) entgegengestellt: "Leere Idealfor-
men und Bildungen
, ohne Physiognomie und Charakter, sind
eben so wenig genügend, als charakteristische Gestalten ohne Adel
und Schönheit."
**) Laokoon. Anh. XXXI. Diese Andeutung ward von denen,
welche die Schönheitstheorie weiter ausgesponnen, durchaus besei-
tigt; sie hatten Freunde unter den Landschaftsmalern, oder Freude
an ihren Werken, oder sie entdeckten, wie Fernow in Ruisdael
und Claude, auch in der Landschaft ein Ideal. In der entgegen-
gesetzten Richtung ward sie indeß, lange, nachdem Lessing sie
hingeworfen, die erste Veranlassung zur Geringschätzung einer Be-
ziehung des Kunstvermögens, in welcher Anmuthsvolles und Er-

man muͤſſe ihnen ein gewiſſes Beygewicht von Individualitaͤt
auf den Weg geben, mit welchem Worte dieſe Kunſtlehrer
nicht etwa Untheilbarkeit, oder Abgeſchloſſenheit in ſich ſelbſt
zu bezeichnen gewohnt ſind, ſondern eben nur einige ſchroffe
Zuͤge zufaͤllig erreichbarer Vorbilder, oder Modelle, welche zu
jener duͤnnen Geſchmacksbruͤhe gleichſam als Wuͤrze hinzuge-
fuͤgt werden ſollen *).

Doch ſcheint es, daß dieſer unlaͤugbar aͤrmlichſte Ideal-
begriff einer anderen Urſache ſeine Entſtehung, einer anderen
wiederum ſeine verbreitete Aufnahme verdanke. Entſprungen
iſt er offenbar aus der Anwendung jenes eben ſo ſchiefen, als
hochmuͤthigen Vorbegriffes der Manieriſten auf die Anſichten
und Wuͤnſche der Schoͤnheitslehre. Denn ſchon Leſſing ſetzte
bey den Kuͤnſtlern die Faͤhigkeit rund voraus, die Formen
der Natur, ſogar die Formen der Darſtellung beſtimmter, ſey
es individueller, oder ideeller Kunſtaufgaben ins Schoͤnere
umzumodeln, und wenn er an einer anderen Stelle den Ge-
danken hinwirft, die Landſchaft habe kein Ideal **), ſo ſcheint

*) Fernow (in ſeinem Leben. S. 364.) ſagt, nachdem er,
was er Idealgeſtalt nennt, dem Charakter des Gegenſtandes (dem
Idealen der Archaͤologen) entgegengeſtellt: „Leere Idealfor-
men und Bildungen
, ohne Phyſiognomie und Charakter, ſind
eben ſo wenig genuͤgend, als charakteriſtiſche Geſtalten ohne Adel
und Schoͤnheit.“
**) Laokoon. Anh. XXXI. Dieſe Andeutung ward von denen,
welche die Schoͤnheitstheorie weiter ausgeſponnen, durchaus beſei-
tigt; ſie hatten Freunde unter den Landſchaftsmalern, oder Freude
an ihren Werken, oder ſie entdeckten, wie Fernow in Ruisdael
und Claude, auch in der Landſchaft ein Ideal. In der entgegen-
geſetzten Richtung ward ſie indeß, lange, nachdem Leſſing ſie
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[54/0072] man muͤſſe ihnen ein gewiſſes Beygewicht von Individualitaͤt auf den Weg geben, mit welchem Worte dieſe Kunſtlehrer nicht etwa Untheilbarkeit, oder Abgeſchloſſenheit in ſich ſelbſt zu bezeichnen gewohnt ſind, ſondern eben nur einige ſchroffe Zuͤge zufaͤllig erreichbarer Vorbilder, oder Modelle, welche zu jener duͤnnen Geſchmacksbruͤhe gleichſam als Wuͤrze hinzuge- fuͤgt werden ſollen *). Doch ſcheint es, daß dieſer unlaͤugbar aͤrmlichſte Ideal- begriff einer anderen Urſache ſeine Entſtehung, einer anderen wiederum ſeine verbreitete Aufnahme verdanke. Entſprungen iſt er offenbar aus der Anwendung jenes eben ſo ſchiefen, als hochmuͤthigen Vorbegriffes der Manieriſten auf die Anſichten und Wuͤnſche der Schoͤnheitslehre. Denn ſchon Leſſing ſetzte bey den Kuͤnſtlern die Faͤhigkeit rund voraus, die Formen der Natur, ſogar die Formen der Darſtellung beſtimmter, ſey es individueller, oder ideeller Kunſtaufgaben ins Schoͤnere umzumodeln, und wenn er an einer anderen Stelle den Ge- danken hinwirft, die Landſchaft habe kein Ideal **), ſo ſcheint *) Fernow (in ſeinem Leben. S. 364.) ſagt, nachdem er, was er Idealgeſtalt nennt, dem Charakter des Gegenſtandes (dem Idealen der Archaͤologen) entgegengeſtellt: „Leere Idealfor- men und Bildungen, ohne Phyſiognomie und Charakter, ſind eben ſo wenig genuͤgend, als charakteriſtiſche Geſtalten ohne Adel und Schoͤnheit.“ **) Laokoon. Anh. XXXI. Dieſe Andeutung ward von denen, welche die Schoͤnheitstheorie weiter ausgeſponnen, durchaus beſei- tigt; ſie hatten Freunde unter den Landſchaftsmalern, oder Freude an ihren Werken, oder ſie entdeckten, wie Fernow in Ruisdael und Claude, auch in der Landſchaft ein Ideal. In der entgegen- geſetzten Richtung ward ſie indeß, lange, nachdem Leſſing ſie hingeworfen, die erſte Veranlaſſung zur Geringſchaͤtzung einer Be- ziehung des Kunſtvermoͤgens, in welcher Anmuthsvolles und Er-

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/72>, abgerufen am 25.11.2024.