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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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wie den Alterthumskundigen und Idealisten, die Darstellung
irgend einer bestimmten, von Außen gegebenen, oder im In-
neren aufgefaßten Idee, sondern eben nur, nach ihrer jedes-
maligen Schule, entweder die äußere Entfaltung einer allge-
meinen, beziehungslosen Vorstellung der Schönheit, oder eine
mechanische Anreihung durch den Geschmackssinn herbey geta-
steter schöner Theile *).

Diese Ideale, welche, wie man sich verspricht, auch wohl
durch platte Nachahmung schon vorhandener Gestaltungen der
Kunst vermehrt und fortgepflanzt werden können, sind, weil
sie nicht aus einer inneren Belebung des Geistes, oder aus
Ideen entstehen, so leer, daß sogar ihre Verehrer eingestehen,

*) Zu beiden Vorstellungsarten hatte Winck. angeleitet. Nach
ihm sagt Stieglitz (Versuch einer Einrichtung ant. Münzsamm-
lungen. Leipz. 1809. S. 38.) von den Griechen, daß sie auf einer
gewissen Höhe ihrer Kunst, "theils von mehreren Gegenständen das
schönste wählten, theils nach Idealen strebten, um die Form
über die Natur zu erheben," so wollen auch die Herausgeber
der Briefe Winckelmanns: daß Michelangelo zuerst die
neuere Kunst, in dem was die Form betrifft, über die
Beschränktheit des Wirklichen zum Idealischen erho-
ben (Winckelmann
und s. Ih. S. 209.). Wird nun von Ken-
nern dieser Schule dem Raphael, der dem Geist und der Idee
nach dem Michelangelo mindestens nicht nachgestanden, Solches,
was sie Idealform nennen, rund abgesprochen: so ist es klar, daß
obige Worte in vollem Ernst einzig von einem gewissen Zuschnitt
der Form zu verstehen sind. Da zudem Michelangelo's allge-
meinere Kunstansichten, da sein Vorbild, vornehmlich in der spä-
teren Hälfte seines Lebens, so ganz entscheidend mitgewirkt, die
Verirrungen der Manier hervorzurufen; so wird obige Behauptung,
daß Michelangelo unter den Neueren zuerst zum Idealischen
sich aufgeschwungen habe, uns behülflich seyn können, die Stamm-
verwandtschaft der Idealbegriffe italienischer Manieristen und mo-
derner Aesthetiker zu bezeugen.

wie den Alterthumskundigen und Idealiſten, die Darſtellung
irgend einer beſtimmten, von Außen gegebenen, oder im In-
neren aufgefaßten Idee, ſondern eben nur, nach ihrer jedes-
maligen Schule, entweder die aͤußere Entfaltung einer allge-
meinen, beziehungsloſen Vorſtellung der Schoͤnheit, oder eine
mechaniſche Anreihung durch den Geſchmacksſinn herbey geta-
ſteter ſchoͤner Theile *).

Dieſe Ideale, welche, wie man ſich verſpricht, auch wohl
durch platte Nachahmung ſchon vorhandener Geſtaltungen der
Kunſt vermehrt und fortgepflanzt werden koͤnnen, ſind, weil
ſie nicht aus einer inneren Belebung des Geiſtes, oder aus
Ideen entſtehen, ſo leer, daß ſogar ihre Verehrer eingeſtehen,

*) Zu beiden Vorſtellungsarten hatte Winck. angeleitet. Nach
ihm ſagt Stieglitz (Verſuch einer Einrichtung ant. Muͤnzſamm-
lungen. Leipz. 1809. S. 38.) von den Griechen, daß ſie auf einer
gewiſſen Hoͤhe ihrer Kunſt, „theils von mehreren Gegenſtaͤnden das
ſchoͤnſte waͤhlten, theils nach Idealen ſtrebten, um die Form
uͤber die Natur zu erheben,“ ſo wollen auch die Herausgeber
der Briefe Winckelmanns: daß Michelangelo zuerſt die
neuere Kunſt, in dem was die Form betrifft, uͤber die
Beſchraͤnktheit des Wirklichen zum Idealiſchen erho-
ben (Winckelmann
und ſ. Ih. S. 209.). Wird nun von Ken-
nern dieſer Schule dem Raphael, der dem Geiſt und der Idee
nach dem Michelangelo mindeſtens nicht nachgeſtanden, Solches,
was ſie Idealform nennen, rund abgeſprochen: ſo iſt es klar, daß
obige Worte in vollem Ernſt einzig von einem gewiſſen Zuſchnitt
der Form zu verſtehen ſind. Da zudem Michelangelo’s allge-
meinere Kunſtanſichten, da ſein Vorbild, vornehmlich in der ſpaͤ-
teren Haͤlfte ſeines Lebens, ſo ganz entſcheidend mitgewirkt, die
Verirrungen der Manier hervorzurufen; ſo wird obige Behauptung,
daß Michelangelo unter den Neueren zuerſt zum Idealiſchen
ſich aufgeſchwungen habe, uns behuͤlflich ſeyn koͤnnen, die Stamm-
verwandtſchaft der Idealbegriffe italieniſcher Manieriſten und mo-
derner Aeſthetiker zu bezeugen.
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[53/0071] wie den Alterthumskundigen und Idealiſten, die Darſtellung irgend einer beſtimmten, von Außen gegebenen, oder im In- neren aufgefaßten Idee, ſondern eben nur, nach ihrer jedes- maligen Schule, entweder die aͤußere Entfaltung einer allge- meinen, beziehungsloſen Vorſtellung der Schoͤnheit, oder eine mechaniſche Anreihung durch den Geſchmacksſinn herbey geta- ſteter ſchoͤner Theile *). Dieſe Ideale, welche, wie man ſich verſpricht, auch wohl durch platte Nachahmung ſchon vorhandener Geſtaltungen der Kunſt vermehrt und fortgepflanzt werden koͤnnen, ſind, weil ſie nicht aus einer inneren Belebung des Geiſtes, oder aus Ideen entſtehen, ſo leer, daß ſogar ihre Verehrer eingeſtehen, *) Zu beiden Vorſtellungsarten hatte Winck. angeleitet. Nach ihm ſagt Stieglitz (Verſuch einer Einrichtung ant. Muͤnzſamm- lungen. Leipz. 1809. S. 38.) von den Griechen, daß ſie auf einer gewiſſen Hoͤhe ihrer Kunſt, „theils von mehreren Gegenſtaͤnden das ſchoͤnſte waͤhlten, theils nach Idealen ſtrebten, um die Form uͤber die Natur zu erheben,“ ſo wollen auch die Herausgeber der Briefe Winckelmanns: daß Michelangelo zuerſt die neuere Kunſt, in dem was die Form betrifft, uͤber die Beſchraͤnktheit des Wirklichen zum Idealiſchen erho- ben (Winckelmann und ſ. Ih. S. 209.). Wird nun von Ken- nern dieſer Schule dem Raphael, der dem Geiſt und der Idee nach dem Michelangelo mindeſtens nicht nachgeſtanden, Solches, was ſie Idealform nennen, rund abgeſprochen: ſo iſt es klar, daß obige Worte in vollem Ernſt einzig von einem gewiſſen Zuſchnitt der Form zu verſtehen ſind. Da zudem Michelangelo’s allge- meinere Kunſtanſichten, da ſein Vorbild, vornehmlich in der ſpaͤ- teren Haͤlfte ſeines Lebens, ſo ganz entſcheidend mitgewirkt, die Verirrungen der Manier hervorzurufen; ſo wird obige Behauptung, daß Michelangelo unter den Neueren zuerſt zum Idealiſchen ſich aufgeſchwungen habe, uns behuͤlflich ſeyn koͤnnen, die Stamm- verwandtſchaft der Idealbegriffe italieniſcher Manieriſten und mo- derner Aeſthetiker zu bezeugen.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/71>, abgerufen am 03.05.2024.