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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Wie man nun immer die Worte deuten wolle, welche
Raphael einmal hingeworfen, ohne sie jemals näher erklärt,
noch, in so fern sie eine allgemeine Ungenügsamkeit mit den
Gestalten der Natur zu bezeugen scheinen, in seiner Kunst-
übung ernstlich befolgt zu haben; so wird dennoch darin kein
hinreichender Grund entdeckt werden können, ihm das ent-
schiedene Eingehen in einen Irrthum beizumessen, welcher da-
zumal überhaupt noch nicht an der Zeit war. Er konnte erst
um Decennien später Beyfall und Eingang finden, als Eitel-
keit und Trägheit unter den Künstlern überhand genommen.
Denn in dem gedoppelten Bestreben, durch Seltsamkeit aufzu-
fallen, und den Geist anstrengenden Studien auszuweichen,
liegt der eigentliche Grund, sowohl der Entstehung, als wie
der schnellen und bereitwilligen Aufnahme der Meinung, daß
es dem Künstler gegeben sey, aus sich selbst Formen zu ent-
wickeln, welche die natürlichen an Bedeutsamkeit und Schön-
heit übertreffen.

Schon in dem späteren Malerleben des Vasari wird
auf die Erfindung und Handhabung dessen, was er die
schöne moderne Manier
benennt, ein Gewicht gelegt,
welches errathen läßt, wie sehr man schon damals in der
Vorstellung befangen war, daß eine löbliche Darstellung nicht
etwa schon aus der Beobachtung und Erforschung des Gege-
benen hervorgehe, vielmehr und vornehmlich aus freyer, muth-
williger Erfindung und willkührlicher Gewandtheit *). In der

*) S. bey Georg Vasari (vite de pittori etc. 1568. P. III.
p. 813.)
die anziehende Erzählung von einem Besuch, den er mit
Michelangeolo bey Tizian abgelegt, und die Reflection am
Schlusse: -- chi non ha disegnato assai e studiato cose scelte an-
tiche o moderne, non puo far bene di pratica da se, ne ajutare le
cose, che si ritranno dal vivo, dando loro quella grazia e perfe-
3 *

Wie man nun immer die Worte deuten wolle, welche
Raphael einmal hingeworfen, ohne ſie jemals naͤher erklaͤrt,
noch, in ſo fern ſie eine allgemeine Ungenuͤgſamkeit mit den
Geſtalten der Natur zu bezeugen ſcheinen, in ſeiner Kunſt-
uͤbung ernſtlich befolgt zu haben; ſo wird dennoch darin kein
hinreichender Grund entdeckt werden koͤnnen, ihm das ent-
ſchiedene Eingehen in einen Irrthum beizumeſſen, welcher da-
zumal uͤberhaupt noch nicht an der Zeit war. Er konnte erſt
um Decennien ſpaͤter Beyfall und Eingang finden, als Eitel-
keit und Traͤgheit unter den Kuͤnſtlern uͤberhand genommen.
Denn in dem gedoppelten Beſtreben, durch Seltſamkeit aufzu-
fallen, und den Geiſt anſtrengenden Studien auszuweichen,
liegt der eigentliche Grund, ſowohl der Entſtehung, als wie
der ſchnellen und bereitwilligen Aufnahme der Meinung, daß
es dem Kuͤnſtler gegeben ſey, aus ſich ſelbſt Formen zu ent-
wickeln, welche die natuͤrlichen an Bedeutſamkeit und Schoͤn-
heit uͤbertreffen.

Schon in dem ſpaͤteren Malerleben des Vaſari wird
auf die Erfindung und Handhabung deſſen, was er die
ſchoͤne moderne Manier
benennt, ein Gewicht gelegt,
welches errathen laͤßt, wie ſehr man ſchon damals in der
Vorſtellung befangen war, daß eine loͤbliche Darſtellung nicht
etwa ſchon aus der Beobachtung und Erforſchung des Gege-
benen hervorgehe, vielmehr und vornehmlich aus freyer, muth-
williger Erfindung und willkuͤhrlicher Gewandtheit *). In der

*) S. bey Georg Vaſari (vite de pittori etc. 1568. P. III.
p. 813.)
die anziehende Erzaͤhlung von einem Beſuch, den er mit
Michelangeolo bey Tizian abgelegt, und die Reflection am
Schluſſe: — chi non ha disegnato assai e studiato cose scelte an-
tiche o moderne, non può far bene di pratica da se, nè ajutare le
cose, che si ritranno dal vivo, dando loro quella grazia e perfe-
3 *
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[35/0053] Wie man nun immer die Worte deuten wolle, welche Raphael einmal hingeworfen, ohne ſie jemals naͤher erklaͤrt, noch, in ſo fern ſie eine allgemeine Ungenuͤgſamkeit mit den Geſtalten der Natur zu bezeugen ſcheinen, in ſeiner Kunſt- uͤbung ernſtlich befolgt zu haben; ſo wird dennoch darin kein hinreichender Grund entdeckt werden koͤnnen, ihm das ent- ſchiedene Eingehen in einen Irrthum beizumeſſen, welcher da- zumal uͤberhaupt noch nicht an der Zeit war. Er konnte erſt um Decennien ſpaͤter Beyfall und Eingang finden, als Eitel- keit und Traͤgheit unter den Kuͤnſtlern uͤberhand genommen. Denn in dem gedoppelten Beſtreben, durch Seltſamkeit aufzu- fallen, und den Geiſt anſtrengenden Studien auszuweichen, liegt der eigentliche Grund, ſowohl der Entſtehung, als wie der ſchnellen und bereitwilligen Aufnahme der Meinung, daß es dem Kuͤnſtler gegeben ſey, aus ſich ſelbſt Formen zu ent- wickeln, welche die natuͤrlichen an Bedeutſamkeit und Schoͤn- heit uͤbertreffen. Schon in dem ſpaͤteren Malerleben des Vaſari wird auf die Erfindung und Handhabung deſſen, was er die ſchoͤne moderne Manier benennt, ein Gewicht gelegt, welches errathen laͤßt, wie ſehr man ſchon damals in der Vorſtellung befangen war, daß eine loͤbliche Darſtellung nicht etwa ſchon aus der Beobachtung und Erforſchung des Gege- benen hervorgehe, vielmehr und vornehmlich aus freyer, muth- williger Erfindung und willkuͤhrlicher Gewandtheit *). In der *) S. bey Georg Vaſari (vite de pittori etc. 1568. P. III. p. 813.) die anziehende Erzaͤhlung von einem Beſuch, den er mit Michelangeolo bey Tizian abgelegt, und die Reflection am Schluſſe: — chi non ha disegnato assai e studiato cose scelte an- tiche o moderne, non può far bene di pratica da se, nè ajutare le cose, che si ritranno dal vivo, dando loro quella grazia e perfe- 3 *

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/53>, abgerufen am 23.11.2024.