Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

That lobt und billigt bieser Schriftsteller einige Künstler, wel-
che sogar den modern Gesinnten unter den Richtern und Ge-
schichtschreibern der Kunst für Manieristen gelten. Vasari
indeß, der bekanntlich in seiner eignen Darstellung die Mitte
des Rechten und Falschen, der Gesetzmäßigkeit und Willkühr
gehalten, bildet auch in der allgemeinen Ansicht gleichsam nur
einen Uebergang. Denn mit deutlichem Bewußtseyn und ent-
schiedenem Wollen ausgerüstet erblicken wir jenen, für die
moderne Kunst grundverderblichen Irrthum nicht früher, als
in der Zeit, da die vielbesprochene Partheyung der Idealisten
und Naturalisten zuerst verlautete *).

Kein Uebel kommt so leicht allein, und kein Extrem ent-
steht, dem nicht alsobald ein entgegengesetztes gegenüber träte;
daher, denke ich, erscheint der falsche Idealbegriff jederzeit in
Begleitung eines gleich schiefen Naturbegriffes, so daß wir

zione, che da l'arte fuori dell' ordine della natura etc. Also hoff-
ten schon die Zeitgenossen des Vasari die Natur in der Form
zu überbieten; mit welchem Erfolge wissen die Sachkundigen. --
Auch dieses Verhältniß durchschaute Baco (Sermones fideles etc.
XLI. de pulchritudine): -- "Non quin existimem elegantiorem fa-
ciem depingi a pictore posse, quam unquam in vivis fuit; sed hoc
ei contingere oportet ex felicitate quadam et casu -- non autem
ex regulis artis."
Ein solches Glück und Gelingen fällt, wenn
überhaupt, doch nur denen zu, welche durch (wie Baco andeu-
tet) bedachtlose Hingebung in die Natur mit dieser so ganz
eins geworden sind, daß sie, auch unabhängig von einzelnen Vor-
bildern, doch im Sinn und Geist der Natur gestalten und bilden
können.
*) S. die Quellen der modern italien. Kunstgeschichte, welche
bey Fiorillo. Gesch. d. z. K., sehr vollständig nachgewiesen sind. --
Die Naturalisten erhoben sich allerdings um etwas später; ihre
Einseitigkeit wurde durch Ekel an den leeren Zerrbildern der so-
genannten Idealisten hervorgerufen.

That lobt und billigt bieſer Schriftſteller einige Kuͤnſtler, wel-
che ſogar den modern Geſinnten unter den Richtern und Ge-
ſchichtſchreibern der Kunſt fuͤr Manieriſten gelten. Vaſari
indeß, der bekanntlich in ſeiner eignen Darſtellung die Mitte
des Rechten und Falſchen, der Geſetzmaͤßigkeit und Willkuͤhr
gehalten, bildet auch in der allgemeinen Anſicht gleichſam nur
einen Uebergang. Denn mit deutlichem Bewußtſeyn und ent-
ſchiedenem Wollen ausgeruͤſtet erblicken wir jenen, fuͤr die
moderne Kunſt grundverderblichen Irrthum nicht fruͤher, als
in der Zeit, da die vielbeſprochene Partheyung der Idealiſten
und Naturaliſten zuerſt verlautete *).

Kein Uebel kommt ſo leicht allein, und kein Extrem ent-
ſteht, dem nicht alſobald ein entgegengeſetztes gegenuͤber traͤte;
daher, denke ich, erſcheint der falſche Idealbegriff jederzeit in
Begleitung eines gleich ſchiefen Naturbegriffes, ſo daß wir

zione, che da l’arte fuori dell’ ordine della natura etc. Alſo hoff-
ten ſchon die Zeitgenoſſen des Vaſari die Natur in der Form
zu uͤberbieten; mit welchem Erfolge wiſſen die Sachkundigen. —
Auch dieſes Verhaͤltniß durchſchaute Baco (Sermones fideles etc.
XLI. de pulchritudine): — „Non quin existimem elegantiorem fa-
ciem depingi a pictore posse, quam unquam in vivis fuit; sed hoc
ei contingere oportet ex felicitate quadam et casu — non autem
ex regulis artis.”
Ein ſolches Gluͤck und Gelingen faͤllt, wenn
uͤberhaupt, doch nur denen zu, welche durch (wie Baco andeu-
tet) bedachtloſe Hingebung in die Natur mit dieſer ſo ganz
eins geworden ſind, daß ſie, auch unabhaͤngig von einzelnen Vor-
bildern, doch im Sinn und Geiſt der Natur geſtalten und bilden
koͤnnen.
*) S. die Quellen der modern italien. Kunſtgeſchichte, welche
bey Fiorillo. Geſch. d. z. K., ſehr vollſtaͤndig nachgewieſen ſind. —
Die Naturaliſten erhoben ſich allerdings um etwas ſpaͤter; ihre
Einſeitigkeit wurde durch Ekel an den leeren Zerrbildern der ſo-
genannten Idealiſten hervorgerufen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="36"/>
That lobt und billigt bie&#x017F;er Schrift&#x017F;teller einige Ku&#x0364;n&#x017F;tler, wel-<lb/>
che &#x017F;ogar den modern Ge&#x017F;innten unter den Richtern und Ge-<lb/>
&#x017F;chicht&#x017F;chreibern der Kun&#x017F;t fu&#x0364;r Manieri&#x017F;ten gelten. <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName></hi><lb/>
indeß, der bekanntlich in &#x017F;einer eignen Dar&#x017F;tellung die Mitte<lb/>
des Rechten und Fal&#x017F;chen, der Ge&#x017F;etzma&#x0364;ßigkeit und Willku&#x0364;hr<lb/>
gehalten, bildet auch in der allgemeinen An&#x017F;icht gleich&#x017F;am nur<lb/>
einen Uebergang. Denn mit deutlichem Bewußt&#x017F;eyn und ent-<lb/>
&#x017F;chiedenem Wollen ausgeru&#x0364;&#x017F;tet erblicken wir jenen, fu&#x0364;r die<lb/>
moderne Kun&#x017F;t grundverderblichen Irrthum nicht fru&#x0364;her, als<lb/>
in der Zeit, da die vielbe&#x017F;prochene Partheyung der Ideali&#x017F;ten<lb/>
und Naturali&#x017F;ten zuer&#x017F;t verlautete <note place="foot" n="*)">S. die Quellen der modern italien. Kun&#x017F;tge&#x017F;chichte, welche<lb/>
bey <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119224364">Fiorillo.</persName></hi> Ge&#x017F;ch. d. z. K., &#x017F;ehr voll&#x017F;ta&#x0364;ndig nachgewie&#x017F;en &#x017F;ind. &#x2014;<lb/>
Die Naturali&#x017F;ten erhoben &#x017F;ich allerdings um etwas &#x017F;pa&#x0364;ter; ihre<lb/>
Ein&#x017F;eitigkeit wurde durch Ekel an den leeren Zerrbildern der &#x017F;o-<lb/>
genannten Ideali&#x017F;ten hervorgerufen.</note>.</p><lb/>
          <p>Kein Uebel kommt &#x017F;o leicht allein, und kein Extrem ent-<lb/>
&#x017F;teht, dem nicht al&#x017F;obald ein entgegenge&#x017F;etztes gegenu&#x0364;ber tra&#x0364;te;<lb/>
daher, denke ich, er&#x017F;cheint der fal&#x017F;che Idealbegriff jederzeit in<lb/>
Begleitung eines gleich &#x017F;chiefen Naturbegriffes, &#x017F;o daß wir<lb/><note xml:id="fn3b" prev="#fn3a" place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">zione, che da l&#x2019;arte <hi rendition="#i"><choice><sic>fuoni</sic><corr>fuori</corr></choice> dell&#x2019; ordine della natura</hi> etc.</hi> Al&#x017F;o hoff-<lb/>
ten &#x017F;chon die Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en des <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName></hi> die Natur in der Form<lb/>
zu u&#x0364;berbieten; mit welchem Erfolge wi&#x017F;&#x017F;en die Sachkundigen. &#x2014;<lb/>
Auch die&#x017F;es Verha&#x0364;ltniß durch&#x017F;chaute <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118505696">Baco</persName></hi> <hi rendition="#aq">(Sermones fideles etc.<lb/>
XLI. de pulchritudine): &#x2014; &#x201E;Non quin existimem elegantiorem fa-<lb/>
ciem depingi a pictore posse, quam unquam in vivis fuit; sed hoc<lb/>
ei contingere oportet ex felicitate quadam et casu &#x2014; non autem<lb/><hi rendition="#i">ex regulis artis.&#x201D;</hi></hi> Ein &#x017F;olches Glu&#x0364;ck und Gelingen fa&#x0364;llt, wenn<lb/>
u&#x0364;berhaupt, doch nur denen zu, welche durch (wie <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118505696">Baco</persName></hi> andeu-<lb/>
tet) <hi rendition="#g">bedachtlo&#x017F;e</hi> Hingebung in die Natur mit die&#x017F;er &#x017F;o ganz<lb/>
eins geworden &#x017F;ind, daß &#x017F;ie, auch unabha&#x0364;ngig von einzelnen Vor-<lb/>
bildern, doch im Sinn und Gei&#x017F;t der Natur ge&#x017F;talten und bilden<lb/>
ko&#x0364;nnen.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0054] That lobt und billigt bieſer Schriftſteller einige Kuͤnſtler, wel- che ſogar den modern Geſinnten unter den Richtern und Ge- ſchichtſchreibern der Kunſt fuͤr Manieriſten gelten. Vaſari indeß, der bekanntlich in ſeiner eignen Darſtellung die Mitte des Rechten und Falſchen, der Geſetzmaͤßigkeit und Willkuͤhr gehalten, bildet auch in der allgemeinen Anſicht gleichſam nur einen Uebergang. Denn mit deutlichem Bewußtſeyn und ent- ſchiedenem Wollen ausgeruͤſtet erblicken wir jenen, fuͤr die moderne Kunſt grundverderblichen Irrthum nicht fruͤher, als in der Zeit, da die vielbeſprochene Partheyung der Idealiſten und Naturaliſten zuerſt verlautete *). Kein Uebel kommt ſo leicht allein, und kein Extrem ent- ſteht, dem nicht alſobald ein entgegengeſetztes gegenuͤber traͤte; daher, denke ich, erſcheint der falſche Idealbegriff jederzeit in Begleitung eines gleich ſchiefen Naturbegriffes, ſo daß wir *) *) S. die Quellen der modern italien. Kunſtgeſchichte, welche bey Fiorillo. Geſch. d. z. K., ſehr vollſtaͤndig nachgewieſen ſind. — Die Naturaliſten erhoben ſich allerdings um etwas ſpaͤter; ihre Einſeitigkeit wurde durch Ekel an den leeren Zerrbildern der ſo- genannten Idealiſten hervorgerufen. *) zione, che da l’arte fuori dell’ ordine della natura etc. Alſo hoff- ten ſchon die Zeitgenoſſen des Vaſari die Natur in der Form zu uͤberbieten; mit welchem Erfolge wiſſen die Sachkundigen. — Auch dieſes Verhaͤltniß durchſchaute Baco (Sermones fideles etc. XLI. de pulchritudine): — „Non quin existimem elegantiorem fa- ciem depingi a pictore posse, quam unquam in vivis fuit; sed hoc ei contingere oportet ex felicitate quadam et casu — non autem ex regulis artis.” Ein ſolches Gluͤck und Gelingen faͤllt, wenn uͤberhaupt, doch nur denen zu, welche durch (wie Baco andeu- tet) bedachtloſe Hingebung in die Natur mit dieſer ſo ganz eins geworden ſind, daß ſie, auch unabhaͤngig von einzelnen Vor- bildern, doch im Sinn und Geiſt der Natur geſtalten und bilden koͤnnen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/54
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/54>, abgerufen am 03.05.2024.