Wunsche, die schönste Göttin darzustellen, ganz entspreche und strebe daher einer gewissen Idee nach."
Genau betrachtet bezeugen diese Worte, auf der einen Seite nur etwa eine augenblickliche Unzufriedenheit mit den eben vorhandenen Modellen; auf der anderen Seite aber die naive Voraussetzung, daß für jede in sich abgeschlossene Idee unter den abgeschlossenen Gestalten der Natur auch ein vollen- detes Gegenbild müsse aufzufinden seyn. Wollten wir indeß annehmen, Raphael habe hier, vielleicht durch Freunde unter den gelehrteren Höflingen zu Rom veranlaßt, eben nur etwas platonisiren wollen, so war Solches für seinen künstlerischen Zweck sicher ohne allen Belang, da es klar ist, daß der frag- liche Schulbegriff, in so fern er Grund hat, schon ohne sich dessen bewußt zu werden, bey Künstlern in Wirkung treten muß; dagegen in so fern er etwa falsch ist, ihr Bestreben und Wirken nur durchkreuzen kann. Ueberhaupt dürfte der Künstler mit der Idee des Schulbegriffes nicht wohl auslan- gen können. Denn die künstlerische Darstellung bedarf, wie es schon einleuchten wird, ganz durchgebildeter Gestalten, kann mithin bey jenen dunklen Erinnerungen der platonischen, oder noch älteren Weisheit auf keine Weise sich beruhigen. Wer aber würde behaupten wollen, daß Raphael nach zwanzigjäh- riger Hingebung in die liebevollste und emsigste Naturbeschau- ung eine solche Verstandesgrille ernstlich habe behaupten wol- len? Wer würde nicht lieber annehmen, sein Ueberdruß an den Gestalten, so die Natur ihm damals darbot, oder nur darzubieten schien, sey nur ein unmuthiges Wort, dem Mü- den um so mehr nachzusehen, als er es, wie seine Göttin zeigt, nicht einmal in dem Augenblicke, da er es aussprach, damit so gar genau genommen.
Wunſche, die ſchoͤnſte Goͤttin darzuſtellen, ganz entſpreche und ſtrebe daher einer gewiſſen Idee nach.“
Genau betrachtet bezeugen dieſe Worte, auf der einen Seite nur etwa eine augenblickliche Unzufriedenheit mit den eben vorhandenen Modellen; auf der anderen Seite aber die naive Vorausſetzung, daß fuͤr jede in ſich abgeſchloſſene Idee unter den abgeſchloſſenen Geſtalten der Natur auch ein vollen- detes Gegenbild muͤſſe aufzufinden ſeyn. Wollten wir indeß annehmen, Raphael habe hier, vielleicht durch Freunde unter den gelehrteren Hoͤflingen zu Rom veranlaßt, eben nur etwas platoniſiren wollen, ſo war Solches fuͤr ſeinen kuͤnſtleriſchen Zweck ſicher ohne allen Belang, da es klar iſt, daß der frag- liche Schulbegriff, in ſo fern er Grund hat, ſchon ohne ſich deſſen bewußt zu werden, bey Kuͤnſtlern in Wirkung treten muß; dagegen in ſo fern er etwa falſch iſt, ihr Beſtreben und Wirken nur durchkreuzen kann. Ueberhaupt duͤrfte der Kuͤnſtler mit der Idee des Schulbegriffes nicht wohl auslan- gen koͤnnen. Denn die kuͤnſtleriſche Darſtellung bedarf, wie es ſchon einleuchten wird, ganz durchgebildeter Geſtalten, kann mithin bey jenen dunklen Erinnerungen der platoniſchen, oder noch aͤlteren Weisheit auf keine Weiſe ſich beruhigen. Wer aber wuͤrde behaupten wollen, daß Raphael nach zwanzigjaͤh- riger Hingebung in die liebevollſte und emſigſte Naturbeſchau- ung eine ſolche Verſtandesgrille ernſtlich habe behaupten wol- len? Wer wuͤrde nicht lieber annehmen, ſein Ueberdruß an den Geſtalten, ſo die Natur ihm damals darbot, oder nur darzubieten ſchien, ſey nur ein unmuthiges Wort, dem Muͤ- den um ſo mehr nachzuſehen, als er es, wie ſeine Goͤttin zeigt, nicht einmal in dem Augenblicke, da er es ausſprach, damit ſo gar genau genommen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0052"n="34"/>
Wunſche, die ſchoͤnſte Goͤttin darzuſtellen, ganz entſpreche und<lb/>ſtrebe daher einer gewiſſen Idee nach.“</p><lb/><p>Genau betrachtet bezeugen dieſe Worte, auf der einen<lb/>
Seite nur etwa eine augenblickliche Unzufriedenheit mit den<lb/>
eben vorhandenen Modellen; auf der anderen Seite aber die<lb/>
naive Vorausſetzung, daß fuͤr jede in ſich abgeſchloſſene Idee<lb/>
unter den abgeſchloſſenen Geſtalten der Natur auch ein vollen-<lb/>
detes Gegenbild muͤſſe aufzufinden ſeyn. Wollten wir indeß<lb/>
annehmen, <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> habe hier, vielleicht durch Freunde unter<lb/>
den gelehrteren Hoͤflingen zu <placeName>Rom</placeName> veranlaßt, eben nur etwas<lb/>
platoniſiren wollen, ſo war Solches fuͤr ſeinen kuͤnſtleriſchen<lb/>
Zweck ſicher ohne allen Belang, da es klar iſt, daß der frag-<lb/>
liche Schulbegriff, in ſo fern er Grund hat, ſchon ohne ſich<lb/>
deſſen bewußt zu werden, bey Kuͤnſtlern in Wirkung treten<lb/>
muß; dagegen in ſo fern er etwa falſch iſt, ihr Beſtreben<lb/>
und Wirken nur durchkreuzen kann. Ueberhaupt duͤrfte der<lb/>
Kuͤnſtler mit der Idee des Schulbegriffes nicht wohl auslan-<lb/>
gen koͤnnen. Denn die kuͤnſtleriſche Darſtellung bedarf, wie<lb/>
es ſchon einleuchten wird, ganz durchgebildeter Geſtalten, kann<lb/>
mithin bey jenen dunklen Erinnerungen der platoniſchen, oder<lb/>
noch aͤlteren Weisheit auf keine Weiſe ſich beruhigen. Wer<lb/>
aber wuͤrde behaupten wollen, daß <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> nach zwanzigjaͤh-<lb/>
riger Hingebung in die liebevollſte und emſigſte Naturbeſchau-<lb/>
ung eine ſolche Verſtandesgrille ernſtlich habe behaupten wol-<lb/>
len? Wer wuͤrde nicht lieber annehmen, ſein Ueberdruß an<lb/>
den Geſtalten, ſo die Natur ihm damals darbot, oder nur<lb/>
darzubieten ſchien, ſey nur ein unmuthiges Wort, dem Muͤ-<lb/>
den um ſo mehr nachzuſehen, als er es, wie ſeine Goͤttin<lb/>
zeigt, nicht einmal in dem Augenblicke, da er es ausſprach,<lb/>
damit ſo gar genau genommen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[34/0052]
Wunſche, die ſchoͤnſte Goͤttin darzuſtellen, ganz entſpreche und
ſtrebe daher einer gewiſſen Idee nach.“
Genau betrachtet bezeugen dieſe Worte, auf der einen
Seite nur etwa eine augenblickliche Unzufriedenheit mit den
eben vorhandenen Modellen; auf der anderen Seite aber die
naive Vorausſetzung, daß fuͤr jede in ſich abgeſchloſſene Idee
unter den abgeſchloſſenen Geſtalten der Natur auch ein vollen-
detes Gegenbild muͤſſe aufzufinden ſeyn. Wollten wir indeß
annehmen, Raphael habe hier, vielleicht durch Freunde unter
den gelehrteren Hoͤflingen zu Rom veranlaßt, eben nur etwas
platoniſiren wollen, ſo war Solches fuͤr ſeinen kuͤnſtleriſchen
Zweck ſicher ohne allen Belang, da es klar iſt, daß der frag-
liche Schulbegriff, in ſo fern er Grund hat, ſchon ohne ſich
deſſen bewußt zu werden, bey Kuͤnſtlern in Wirkung treten
muß; dagegen in ſo fern er etwa falſch iſt, ihr Beſtreben
und Wirken nur durchkreuzen kann. Ueberhaupt duͤrfte der
Kuͤnſtler mit der Idee des Schulbegriffes nicht wohl auslan-
gen koͤnnen. Denn die kuͤnſtleriſche Darſtellung bedarf, wie
es ſchon einleuchten wird, ganz durchgebildeter Geſtalten, kann
mithin bey jenen dunklen Erinnerungen der platoniſchen, oder
noch aͤlteren Weisheit auf keine Weiſe ſich beruhigen. Wer
aber wuͤrde behaupten wollen, daß Raphael nach zwanzigjaͤh-
riger Hingebung in die liebevollſte und emſigſte Naturbeſchau-
ung eine ſolche Verſtandesgrille ernſtlich habe behaupten wol-
len? Wer wuͤrde nicht lieber annehmen, ſein Ueberdruß an
den Geſtalten, ſo die Natur ihm damals darbot, oder nur
darzubieten ſchien, ſey nur ein unmuthiges Wort, dem Muͤ-
den um ſo mehr nachzuſehen, als er es, wie ſeine Goͤttin
zeigt, nicht einmal in dem Augenblicke, da er es ausſprach,
damit ſo gar genau genommen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/52>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.